Wird Michel Barnier, der vor gerade einmal drei Monaten zum französischen Premierminister ernannt wurde, Ende der Woche noch im Amt sein? Oder beschert Marine Le Pen, die mächtige Fraktionsvorsitzende des rechtsextremen Rassemblement National (RN), ihm und der gesamten Regierung noch vorher das politische Aus?
Bis zuletzt feilschten sie und Barnier miteinander, bevor dieser der Nationalversammlung am Montagnachmittag den Entwurf für den Sozialhaushalt vorlegte – aber ohne darüber abstimmen zu lassen. Aufgrund des Risikos einer Ablehnung setzte er einen Sonderartikel, mit dem er das Gesetz am Parlament vorbei durchsetzen kann. „Die Französinnen und Franzosen erwarten Stabilität“, rechtfertigte der 73-Jährige seine brisante Entscheidung.
Le Pen erhöht Druck auf Frankreichs Regierungschef
Die linken Oppositionsparteien kündigten sofort einen Misstrauensantrag an, über den am Mittwoch abgestimmt wird. Seit Tagen erhöhten Le Pen und ihre Mitstreiter den Druck auf den Premierminister, indem sie durchscheinen ließen, dass sie sich dem anschließen wollen, um die Regierung zu stürzen. Angesichts von Barniers Unbeweglichkeit sei das quasi unvermeidbar geworden, sagte RN-Chef Jordan Bardella am Montag. „Wir wurden seit Monaten bewusst ignoriert und missachtet.“
In einem Fernsehinterview hatte der Regierungschef eindrücklich vor einem „Gewittersturm“ und „schweren Turbulenzen auf den Finanzmärkten“ gewarnt, sollte der Sparhaushalt nicht beschlossen werden .Trotzdem kam der ehemalige EU-Kommissar und Brexit-Unterhändler dem RN in mehreren Punkten entgegen. Unter anderem verzichtete er auf die Erhöhung der Stromsteuern sowie der Eigenbeteiligung an verschreibungspflichtigen Medikamenten.
Barnier galt als Premierminister „von Le Pens Gnaden“
Von Anfang an galt er als Premierminister „von Le Pens Gnaden“, weil sie versprochen hatte, Barnier im Gegensatz zu anderen Kandidaten zumindest eine Chance zu geben. Seine Mitte-Rechts-Regierung hat keine eigene Mehrheit und das Bündnis aus linken und grünen Parteien will ihn stürzen, da es die Parlamentswahlen im Sommer gewonnen, aber keinen Regierungsauftrag von Präsident Emmanuel Macron erhalten hatte. Dafür braucht es die Stimmen des RN, dem somit die Rolle als Zünglein an der Waage zukommt.
Le Pen tritt mit neuer Härte auf, seit die Staatsanwaltschaft im Prozess wegen Veruntreuung von EU-Geldern gegen sie und weitere Parteifreunde den Entzug des passiven Wahlrechts mit sofortiger Wirkung gefordert hat; in dem Fall dürfte sie bei den nächsten Wahlen nicht kandidieren. Das Urteil fällt am 31. März. Beobachtern zufolge könnte sie versuchen, die Regierung sowie Präsident Emmanuel Macron schnell zu Fall zu bringen und vorgezogene Präsidentschaftswahlen zu provozieren.
Franzosen machen Präsident macron für Krise verantwortlich
Die Rechtsextreme wisse Macrons aktuelle Schwächung für sich zu nutzen, sagt Luis Sattelmayer, Doktorand und Forscher am Zentrum für Europäische Studien CEE in Paris. „Le Pen ist es gelungen, ihre Machtstellung im Parlament zu konsolidieren und vom Abseits ins Zentrum der französischen Politik zu gelangen.“ Einerseits könne sie sich rühmen, der Regierung Zugeständnisse abverlangt zu haben, andererseits werde sie zum Dreh- und Angelpunkt der politischen Entscheidungen des Landes. „Die Situation für den RN ist nahezu ideal, denn die Zeit drängt, noch vor Weihnachten muss über den Haushalt abgestimmt werden“, erklärt der Experte.
Die Schuld für die schwierige Lage sehen die Menschen vor allem bei der Regierung und dem Präsidenten selbst. Einer Umfrage zufolge wünschen sich 53 Prozent der Franzosen den Sturz von Barnier und sogar 62 Prozent jenen von Macron.
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