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Europa: EU-Protokollbeamter: Zu seinem Abschied erheben sich die ganz Großen

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EU-Protokollbeamter: Zu seinem Abschied erheben sich die ganz Großen

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    Giuseppe Fulvo kennt die EU hinter den Kulissen.
    Giuseppe Fulvo kennt die EU hinter den Kulissen. Foto: Katrin Pribyl

    Sie müsste sich viel zu Herzen nehmen, diese EU, wenn denn jemand zuhören würde. Bürokratisch, schwerfällig, kompliziert sei der Apparat, rufen die Kritiker in gewohnter Stammtisch-Einigkeit. Würden sie jetzt noch überblicken, dass gerade erst Giuseppe Fulvo von dannen zog, würden sie vermutlich den Untergang beschwören. Der Italiener war, wenn man so will, die Seele des Europäischen Rats, der seinen Sitz im Justus-Lipsius-Gebäude in Brüssel hat. Ganz hinten links, nach Sicherheitsschleuse, Drehtüren und viel Weg musste Fulvo seinen Schreibtisch räumen. Nach 36 Jahren im Dienst geht Pino, wie sie den 66-Jährigen nur nennen, in Rente.

    Zurück bleiben die anderen Pinos. Denn der Name ist längst Synonym für alle Beamten, die im Rat die Presse unterstützen, Fototermine koordinieren und die Vermittlerrolle zwischen Journalisten und den Delegationen einnehmen. Generische Verselbstständigung heißt das Phänomen: Tempo, Tesa, Zewa – Pino. Er wurde in mehr als dreieinhalb Jahrzehnten zur Marke wie auch zum Chronisten europäischer Geschichte. So erzählt er etwa, wie der ehemalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ihn jedes Mal, wenn der Politiker zu Gipfeln eintraf und den notorisch gut gelaunten Süditaliener am Rande des roten Teppichs entdeckte, an beiden Schultern nahm und ihm einen Kuss auf die Stirn drückte. „Bonjour Pino.“

    Emmanuel Macron und Ursula von der Leyen klatschen für "Pino" Beifall

    Will man ein Wort aus dem EU-Sprech nutzen, könnte man Fulvos lange Karriere als historisch bezeichnen. Da wurde kürzlich selbst der eher für seine uncharmante Bleiche bekannte Ratspräsident Charles Michel gefühlig. „Sie sind eine Ikone des Pressesaals“, sagte der Belgier zum Abschluss der Pressekonferenz beim letzten EU-Gipfel Ende Juni an Pino gerichtet. Fulvo stand auf, verneigte sich nicht nur unter dem Beifall dutzender Journalisten. Auch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron und Kommissionschefin Ursula von der Leyen beklatschten die Institution Pino.

    Als Fulvo am 13. Oktober 1986 zum ersten Mal zur Arbeit erschien, leitete Margaret Thatcher in Großbritannien die Amtsgeschäfte, Frankreich wurde vom Staatspräsidenten François Mitterrand geführt und Helmut Kohl war Bundeskanzler. Nur zwei Mal pro Jahr fanden überhaupt Gipfel statt. Undenkbar in der heutigen Zeit, wenn die nun 27 Partner sich fast monatlich beraten. Im Rekordjahr 2015 gab es in Brüssel allein zwölf Spitzentreffen. Dementsprechend oft empfing Pino die Ex-Kanzlerin Angela Merkel, die zwar „sehr reserviert“ war, aber „eine Persönlichkeit hatte“ und von allen Staatenlenkern besonders respektiert wurde, wie er erzählt. Ob sich die Limousine der Deutschen dem Ratsgebäude näherte, konnte Fulvo schon hören, bevor sie in den Hof einfuhr. „Eine Sache, die kaum jemand weiß, ist: Nur wenn die Politiker aus Deutschland und Frankreich eintreffen, kreisen die Helikopter am Himmel.“ Eine Sicherheitsvorkehrung, die sonst keinem anderen europäischen Staats- und Regierungschef zuteil wird.

    Mit Silvio Berlusconi plauderte Giuseppe Fulvo über Fußball

    Über Fußball plauderte Inter-Mailand-Fan Fulvo derweil immer mit dem Ex-Ministerpräsidenten Italiens, Silvio Berlusconi, seines Zeichens auch Präsident des AC Mailand. Oh dio! Dieser sei übrigens immer mit Absicht als Letzter und zu spät zu den Zusammenkünften erschienen. Fulvo blättert durch seinen Fotoordner: Pino und Barack Obama, Pino und Frank-Walter Steinmeier, Pino und Jacques Chirac. Pino und Alexis Tsipras.

    Überhaupt, die Griechen. Zu den Gipfeln, die ihm besonders in Erinnerung geblieben sind, gehört jener aus dem Jahr 2015, als das südeuropäische Land kurz vor der Pleite stand. „Das war hart“, sagt Fulvo. „Wir warteten bis spät in die Nacht auf Neuigkeiten und als es hieß, dass Griechenland fast zahlungsunfähig ist, weinten einige der griechischen Journalisten.“ Positiver denkt er an jene Momente zurück, als man sich auf die Schaffung des Euros verständigte oder die Osterweiterung beschloss. Als man die EU schuf, wenn man so will. „Heute dreht sich fast alles nur noch um die Bewältigung von Krisen, umso schwieriger und langwieriger sind die Diskussionen geworden.“ Giuseppe Fulvo wird die Gipfel trotzdem vermissen, zumindest ein bisschen.

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