Offenbar besteht unter den Rechten Europas dringender Gesprächsbedarf. So wird in Brüssel gerade viel auf „Missverständnisse“ verwiesen, nachdem sich Marine Le Pen öffentlich von der AfD distanziert hatte. Die französische Fraktionschefin des Rassemblement National (RN) drohte gar, wegen des Potsdamer Geheimtreffens unter Anwesenheit einiger AfD-Politiker zu Plänen einer „Remigration“ das Bündnis mit den deutschen Partnern auf EU-Ebene aufzukündigen. Nun versucht sich die AfD in Schadensbegrenzung.
„Missverständnisse entstehen allein dadurch, dass der Begriff Remigration in Frankreich anders als in Deutschland verstanden wird“, sagte der AfD-Europaabgeordnete Joachim Kuhs. Das Verhältnis zu den französischen Kollegen bezeichnete er als „sehr gut und stabil“. Die Position der beiden Parteien zur Migration seien „deckungsgleich“. Zuvor hatte Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD für die im Juni stattfindenden Europawahlen, gesagt, dass die Äußerungen Le Pens wahrscheinlich auf „Missverständnissen“ beruhten. Die AfD kündigte am Montag an, sich mit Le Pen treffen zu wollen. Ein Gespräch solle „geraderücken, wie es in Wirklichkeit aussieht“, hieß es.
Rechtspopulisten präsentieren sich auf EU-Ebene keineswegs geschlossen
Tatsächlich aber präsentieren sich die Rechtspopulisten auf EU-Ebene keineswegs geschlossen – im Gegenteil. Die AfD sorgt gerne mit extremen Plänen für Aufsehen und steht damit auf EU-Ebene ziemlich allein da. „Während die meisten Rechtsaußen- und nationalkonservativen Parteien versuchen, sich in Europa moderater zu geben, zum Beispiel was die Mitgliedschaft in der EU angeht, um Regierungsverantwortung zu bekommen, hat sich die AfD in der Frage eher radikalisiert“, sagte etwa Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Gerade erst kokettierte AfD-Chefin Alice Weidel mit der Idee eines „Dexit“, eines EU-Austritts Deutschlands. Die Brexit-Entscheidung bezeichnete sie als „absolut richtig“ und als „ein Modell für Deutschland, dass man eine souveräne Entscheidung wie diese treffen kann“.
Dabei schien der interne Streit um Europa zumindest vordergründig beigelegt. So hatten die deutschen Rechtspopulisten etwa in ihrem im Sommer 2023 verabschiedeten EU-Wahlprogramm nicht mehr eine Auflösung der EU gefordert, wie manche aus den eigenen Reihen das im Vorfeld noch verlangt hatten. Stattdessen bewerteten sie die Staatengemeinschaft als gescheitertes Projekt und verlangten eine Neugründung als „Bund europäischer Nationen“. Ein halbes Jahr später klingt der Ton deutlich schärfer.
Seit dem Brexit war Ruhe – eigentlich
Während die Rechtsextremen Europas vor einigen Jahren gerne mit der Idee eines Austritts ihres Landes aus der Gemeinschaft auf Stimmenfang gingen, sind solche Forderungen – Stichwort Grexit, Frexit, Itexit, Nexit oder Polexit – seit dem Brexit verstummt. Le Pen etwa versucht seit einigen Jahren mit Erfolg, durch einen weicheren Kurs größere Wählergruppen anzusprechen. Als Vorbild dient auch Giorgia Meloni. Die italienische Ministerpräsidentin von den postfaschistischen Fratelli d'Italia wird in Brüssel von zahlreichen Diplomaten als konstruktive Partnerin gelobt. Die Partei gehört der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) im EU-Parlament an, zu der auch die polnischen Nationalkonservativen der PiS zählen. Die AfD wie auch die österreichische FPÖ, die italienische Lega und der französische RN sind in Brüssel derweil Teil der noch deutlich weiter rechts stehenden Fraktion Identität und Demokratie (ID). Bleibt es nach der Europawahl bei dieser Zusammensetzung? Hinter den Kulissen verweisen AfD-Politiker darauf, dass sich die ID im Aufwind befinde. Doch laut Ondarza sei das EU-Parlament für ID-Mitglieder wie die AfD „letztlich eher ein Ort, wo sie Fundamentalopposition betreiben“.
Europaabgeordnete der Konservativen, Sozialdemokraten, Grünen, Linken oder Liberalen kritisieren gerne in ungewöhnlicher Einigkeit, dass die AfD-Kollegen selten zu Treffen erscheinen und den Diskurs kaum beeinflussen. Doch für die Pro-Europäer würde ein Rechtsruck im Hohen Haus Europas zum Problem werden. Es wäre schwieriger, Mehrheiten zu finden und Entscheidungen durchzubringen.
Umso mehr schielen die anderen Fraktionen schon jetzt auf mögliche neue Mitglieder. So wollen sich zur Freude der Europäischen Volkspartei (EVP) nach der Juni-Wahl etwa sowohl die niederländische Bauernpartei (BBB) auch die holländische Mitte-Rechts-Partei NSC der christdemokratischen Parteienfamilie anschließen.