30 Tage ist es her, dass Ursula von der Leyen in einer überdimensionierten Messehalle in Bukarest ihre „lieben Freunde“ umgarnte. Die Europäische Volkspartei (EVP) hatte die CDU-Politikerin gerade zur Spitzenkandidatin für die Europawahl nominiert, es gab wie üblich einen Blumenstrauß und zumindest so viel Applaus, dass Anwesende danach von „freundlichem Beifall“ sprechen konnten. Die Deutsche soll Europas Christdemokraten Anfang Juni zum Sieg führen und dann für weitere fünf Jahre an der Spitze der mächtigen EU-Kommission stehen. So jedenfalls ist der Plan.
Allein: Seit jenem großen Auftritt am 7. März gerät von der Leyen zunehmend unter Druck. Der Start ihres Wahlkampfs verlief, gelinde gesagt, holprig. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass ihre Kampagne erst nächste Woche offiziell beginnt. Aktuell sorgen zwei Fälle für Aufregung, die in Brüssel bereits Skandaltitel tragen: „Pfizergate“ und „Piepergate“. Beide Affären haben – Stand heute – nicht das Zeug, von der Leyen in ernsthafte Bedrängnis zu bringen. Und dennoch: Ganz so beschwingt wie geplant kann die Kommissionschefin nun wohl nicht mehr in den Wahlkampf tänzeln.
Hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Deals mit Pfizer gemacht?
In der ersten Affäre geht es um die Untersuchung der Europäischen Staatsanwaltschaft wegen möglichem strafrechtlichen Fehlverhaltens im Zusammenhang mit den Impfstoffverhandlungen zwischen ihr und Pfizer-Chef Albert Bourla im Jahr 2021. Die Vorwürfe sind längst bekannt: Im Mittelpunkt steht der Inhalt von Textnachrichten, die von der Leyen auf dem Höhepunkt der Pandemie mit Bourla austauschte. Von der Leyens Kritiker argwöhnen, die Kommissionschefin habe darin Details des auf 20-Milliarden-Euro taxierten Deals ausgehandelt.
Der jüngste Fall, Piepergate, hingegen bringt von der Leyen in Erklärungsnöte, weil ihre Behörde einen CDU-Mann bei der Vergabe des lukrativen Postens des Mittelstands-Beauftragten bevorzugt haben soll. Markus Pieper, ein Europaparlamentarier aus Nordrhein-Westfalen, war bei von der Leyens Kandidatenkür in Bukarest ebenfalls anwesend – und freute sich über die Glückwünsche seiner Kollegen. Denn kurz zuvor war Pieper zum Beauftragten für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aufgestiegen. Der neu geschaffene Posten in der EU-Kommission wird mit einem lukrativen Gehalt vergütet. Ein Traumjob, wenn man so will, aber einer, den Pieper aber nicht aufgrund seiner besseren Eignung, sondern wegen seiner Parteizugehörigkeit erhalten haben soll. So jedenfalls lautet die Anschuldigung.
CDU-Politiker Pieper gilt als Wirtschaftsfachmann
Der Mittelstandssprecher der CDU/CSU-Gruppe habe beim Auswahlverfahren „mit Abstand schlechter abgeschnitten“ als die anderen zwei Bewerberinnen, die es in die Endauswahl geschafft hatten, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund. Freund hatte mit elf Kollegen, auch aus anderen Fraktionen, schon Ende Februar eine entsprechende Anfrage an die Kommission geschickt, aber laut eigener Aussage noch keine Antwort erhalten, – trotz der Deadline vor zwei Wochen. Die Parlamentarier wollten unter anderem wissen, welche zusätzlichen Qualifikationen Pieper gegenüber den anderen Bewerberinnen hervorgehoben haben und ob die Berichte, wonach die Parteizugehörigkeit eine entscheidende Rolle bei seiner Ernennung gespielt habe, „falsch“ seien. Freund fordert nun eine Neuauflage des Auswahlprozederes. „Wenn der Vorwurf stimmt, dass in dem Verfahren gepfuscht wurde, muss es wiederholt werden.“
Pieper, ein ehemaliger IHK-Geschäftsführer in Osnabrück, gilt als Wirtschaftsfachmann. Entscheidend für seine Ernennung soll jedoch nicht diese Expertise gewesen sein, sondern, so heißt es in Brüssel, der offenbar recht nachdrücklich vorgetragene Wunsch von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, Pieper den Posten zu geben. Der habe angeblich „wochenlang bei der Kommission gedrängelt“, sagen mit dem Vorgang vertraute Personen. Wüst, so der Vorwurf, habe so das unschöne Gerangel um die besten Plätze auf der NRW-Landesliste für die Europawahl entschärfen wollen. Es gab eine Überzahl an männlichen Abgeordneten auf den vorderen Plätzen –, und das, obwohl Wüst eine „paritätische Liste“ versprochen hatte. Pieper hätte Platz fünf auf der Landesliste eingenommen. Jetzt ist er ganz raus.
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen muss sich Fragen stellen
Kritik kommt sogar aus von der Leyens EU-Kommission, ein eher seltener Vorgang. Mit Josep Borrell, Thierry Breton, Paolo Gentiloni und Nicolas Schmit verlangten Ende März jedoch gleich vier Kommissions-Schwergewichte in einem Brief an die Behördenchefin, die Ernennung von Pieper erneut zu prüfen. Die Kommissionschefin habe „Fragen zur Transparenz und Unparteilichkeit des Ernennungsverfahrens aufgeworfen“, schreiben die Kommissare. Die EU-Kommission soll ihre Posten möglichst geschlechterparitätisch besetzen, Kandidaten aus eher unterrepräsentierten Mitgliedstaaten erhalten den Vorzug. Als männlicher Bewerber aus Deutschland hätte Pieper demnach eigentlich geringere Chancen als seine Gegenkandidatinnen, die Tschechin Martina Dlabajová und die Schwedin Anna Stellinger, gehabt.
Die Europäische Kommission verteidigte Piepers Ernennung. Auch bei der EVP hieß es am Freitag, hinter der Empörung steckten Wahlkampfmanöver der anderen Fraktionen. Denn: Der eigentlich für die Rolle zuständige Binnenmarktkommissar Breton setzte sich für Dlabajová ein, die nicht ganz zufällig aus seiner liberalen Parteifamilie stammt. Und Schmit ist nicht nur Arbeitskommissar, sondern zugleich Spitzenkandidat der Sozialdemokraten.
Wohl auch um diese aufflackernden Brände einzuhegen, entsendet von der Leyen nun einen engen Getreuen in die EVP-Wahlkampfzentrale – ihren bisherigen Stabschef Björn Seibert. Dass sie ihre „besten Leute“ in die Parteizentrale stecke, sei „beachtlich“, sagt ein EVP-Insider erfreut. „Es zeigt, dass sie der Kampagne ernsthaft Priorität einräumt.“ Das kann man so sehen. Vor allem aber braucht von der Leyen jetzt einen Wahlkampfmanager, der effizient Feuer zu löschen versteht.