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EU-Gipfel: Nach Europawahl: Junckers Chancen auf Kommissionsvorsitz sinken

EU-Gipfel

Nach Europawahl: Junckers Chancen auf Kommissionsvorsitz sinken

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    EU-Wahlsieger in der Warteschleife: Jean-Claude Juncker.
    EU-Wahlsieger in der Warteschleife: Jean-Claude Juncker. Foto: Olivier Hoslet (dpa)

    Für Jean-Claude Juncker ist es ein bitterer Abend. Nur Stunden zuvor hat er von den Fraktionschefs im Europäischen Parlament Rückendeckung bekommen. An diesem Dienstagabend aber fallen ihm jene in den Rücken, in deren Kreis er selbst 18 Jahre lang als luxemburgischer Premier gesessen hat: die Staats- und Regierungschefs.

    Die Demontage vollzieht sich scheibchenweise: „Ich habe Jean-Claude Juncker als Spitzenkandidat unterstützt. Das habe ich nach dem Wahltag nicht vergessen“, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel, als das Sondertreffen in der Nacht zu Ende geht. Aber dann fällt der Satz, der ihre ganze innere Distanz zum Ausdruck bringt: „Die EVP hat ihn nominiert. Diese ganze Agenda kann von ihm, aber auch von vielen anderen erledigt werden.“

    EU-Kommission: Juncker verliert Rückendeckung

    Der EU-Gipfel hat die Personalie Juncker nicht nur aufgeschoben, man sieht ihn auch als austauschbar an. Ein Mitglied der Kanzler-Delegation sagt am Ende, er habe seine Regierungschefin noch nie so streitlustig erlebt.

    Tatsächlich gibt es nicht nur banale Meinungsverschiedenheiten, eine tiefe Kluft tut sich zwischen den 28 Staatenlenkern auf. Nicht nur der Brite David Cameron und der Ungar Viktor Orbán stellen sich gegen Juncker, sondern auch die Regierungschefs aus den Niederlanden, Schweden und Finnland. Allesamt Schwergewichte. Die Wortführer wollen weg von der Diskussion um Personen und Ämter oder gar Institutionen. „Wir brauchen eine Einstellung, die anerkennt, dass Brüssel zu groß, zu rechthaberisch und zu eingreifend geworden ist“, sagt Cameron in der Nacht. Die Gemeinschaft dürfe die Ergebnisse der Wahl nicht „einfach achselzuckend abtun“ und so weitermachen wie bisher, poltert der Premier.

    Frankreich und Großbritannien fordern Kurswechsel der EU

    Gleich nebenan gibt ihm der französische Staatspräsident François Hollande Recht. „Europa muss sich auf das Wesentliche konzentrieren“, sagt er etwas ruhiger als sein britischer Kollege. Hinter verschlossenen Türen, so bestätigt einer, habe es fast schon zynische Ausfälle gegen Staubsauger-Regelungen und Glühbirnen gegeben. Die Nichtraucher-Kampagne sei „ein Witz“, habe einer der Regierungschefs in die Runde gerufen. „Wir haben 27 Millionen Arbeitslose und der Kommission fällt nichts Besseres ein, als das Übergewicht zu bekämpfen“, habe ein anderer geschimpft.

    Man einigt sich schließlich darauf, sich nicht zu einigen. Ratspräsident Herman Van Rompuy soll bis Ende Juni Vorschläge ausarbeiten – dazu gehört auch die Personalie Juncker als Teil eines größeren Paketes offener Jobs, die die EU demnächst besetzen muss. Vor allem wollen die Staats- und Regierungschefs aber Vorschläge, wie in den kommenden fünf Jahren Initiativen für Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze gesetzt werden sollen. Hinter den Schlagworten steckt ein Kurswechsel, der tief geht: Vor allem London und Paris dringen darauf, dass die strengen Haushaltsvorgaben aus Brüssel gelockert werden, damit sie mehr Schulden für neue Konjunkturprogramme machen können.

    EU-Gipfel: Streit um möglichen Kommissionspräsident

    Doch dazu würde ein Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker möglicherweise nicht passen, der sowohl als Premier in Luxemburg wie auch als Chef der Euro-Gruppe von der Schuldenbremse bis zu Haushaltsüberwachung alle EU-Regelungen mitgestrickt hat. „Wir brauchen den Richtigen für das, was jetzt richtig ist“, formuliert es ein Staatschef, als keine Mikrofone eingeschaltet sind. „Ob Juncker das sein kann, werden wir sehen.“

    Doch der EU-Gipfel muss sich auf Widerstand gefasst machen. Im Europäischen Parlament rumort es bereits. Abgeordnete sprechen schon von einem „Krieg“ mit dem Europäischen Rat, wie die Runde der Staats- und Regierungschefs offiziell heißt. Denn die Volksvertreter stehen laut Lissabonner Vertrag nicht völlig machtlos da: Sie müssen den Vorschlag der Chefs mit einer Mehrheit von mindestens 376 Stimmen annehmen. Das aber wollen sie nur tun, wenn der Kandidat auch ihren Vorstellungen entspricht.

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