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Ernährung: Wie Wladimir Putin mit dem Hunger auf der Welt spielt

Ernährung

Wie Wladimir Putin mit dem Hunger auf der Welt spielt

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    Ein Mitarbeiter des Welternährungsprogramms (WFP) steht auf dem Dock neben dem Massengutfrachter "Brave Commander", nachdem dieser im Hafen von Dschibuti angekommen ist.
    Ein Mitarbeiter des Welternährungsprogramms (WFP) steht auf dem Dock neben dem Massengutfrachter "Brave Commander", nachdem dieser im Hafen von Dschibuti angekommen ist. Foto: Hugh Rutherford, WFP/AP/dpa

    Die Verlautbarung klang kämpferisch, ja fast schon euphorisch. „Wir haben ganz offiziell angelegt“, twitterte David Beasley, der Chef des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) am Dienstag, als das erste Schiff mit ukrainischem Getreide seit einem halben Jahr in Dschibuti angekommen war. „Jetzt lasst uns das

    23.000 Tonnen Getreide hatte die „Brave Commander“ geladen. Das Getreide ist für Dschibutis Nachbarland Äthiopien bestimmt, das die schlimmste Dürre seit 40 Jahren erlebt. Die Nahrungsmittelkrise heizt die dortigen ethnischen Konflikte weiter an. Die Gefechte um die abtrünnige Tigray-Region sind neu entflammt, gleichzeitig kämpft die Rebellengruppe „Oromo Liberation Army“ (OLA) um mehr Selbstbestimmung.

    Der Bedarf an Getreide in Afrika ist gigantisch

    Allzu großen Anlass zum Jubel gibt die Lieferung der „Brave Commander“ also nicht. Sie reicht gerade mal aus, um 1,5 Millionen Menschen für einen Monat zu ernähren. Doch allein Äthiopien hat 120 Millionen Einwohner, über 20 Millionen von ihnen sind auf Lebensmittelhilfe angewiesen – und Dreiviertel aller WFP-Importe dort stammten vor dem Krieg aus der Ukraine und Russland. Dramatischer noch ist die Lage in Somalia, wo zudem die Al-Qaida-verbündete Terrorgruppe Al-Shabaab wiedererstarkt ist.

    Hinzu kommt, dass sich in der Ukraine nachvollziehbarerweise nicht alle Bemühungen auf Afrika konzentrieren. Die UN berichten, dass nach dem Getreide-Abkommen von Istanbul über eine halbe Million Tonnen Getreide aus der Ukraine exportiert worden seien. Doch rund ein Viertel der Schiffsladungen ging in die Türkei. Es gab auch mehrere Lieferungen in die EU, mit denen bestehende Verträge erfüllt wurden.

    Der russische Präsident Präsident von Russland nutzt die Hungerkrise in Afrika skrupellos für geopolitische Interessen seines Landes  mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
    Der russische Präsident Präsident von Russland nutzt die Hungerkrise in Afrika skrupellos für geopolitische Interessen seines Landes mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Foto: Alexey Maishev, Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

    Die Hungerkrise in Afrika wird so also kaum geschmälert. Für Russlands Despoten Wladimir Putin geht damit ein perfides Kalkül zumindest in Teilen auf, argumentiert Robert Kappel, emeritierter Professor am Institut für Afrikastudien der Universität Leipzig. Er erklärt die auffällig Kreml-freundliche Reaktion vieler afrikanischer Staaten auf den russischen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine auch mit einer Erpressung durch Putin. „Es galt das Motto: Ihr fordert den Westen auf, die Sanktionen aufzuheben, und dann bekommt ihr die erforderlichen Lieferungen von Getreide, Düngemitteln und Öl“, sagte Kappel dieser Zeitung.

    Diese Strategie sei zwar nicht erfolgreich gewesen, doch das Druckmittel bleibt bestehen. Der Kompromiss des Deals von Istanbul suggeriere, dass wieder Getreide nach Afrika gelange. Doch das, betont Kappel, reiche längst nicht aus, um die erforderlichen Mengen zu liefern. „Afrikanische Länder bleiben Spielmasse Russlands“, sagte der Analyst, „Putin nutzt Afrika, um seine geostrategischen Interessen auszubauen.“

    Auch in Somalia werden Lebensmittel immer knapper. Die Zahl der von Dürre betroffenen Kinder ist am Horn von Afrika in den letzten zwei Monaten um 40 Prozent gestiegen, warnt das UN-Kinderhilfswerk Unicef.
    Auch in Somalia werden Lebensmittel immer knapper. Die Zahl der von Dürre betroffenen Kinder ist am Horn von Afrika in den letzten zwei Monaten um 40 Prozent gestiegen, warnt das UN-Kinderhilfswerk Unicef. Foto: Eva-Maria Krafczyk, dpa

    Dabei sind die Auswirkungen des Ukraine-Krieges in vielen afrikanischen Ländern besonders hart zu spüren. Die höheren Öl- und Düngemittelpreise belasten die Landwirtschaft, von der zwei Drittel der Afrikaner leben. Die Folge sind geringere Nahrungsmittelproduktion und eine noch größere Importabhängigkeit. Schon die Covid-Pandemie hat laut UN 50 Millionen Bürger des Kontinents in die extreme Armut geführt. Wegen der Folgen von Russlands Angriffskrieg könnten mehrere Millionen folgen.

    Die Dürre in vielen Teilen der Welt verschärft die Lage weiter

    Putin spielt in die Karten, dass die globale Getreideproduktion nicht nur wegen des Ukraine-Krieges, sondern auch von Dürren beeinträchtigt wird. China als weltweit größter Produzent warnte im Juli, man müsse mit der „schlechtesten Ernte der Geschichte“ rechnen.

    Russland hatte seinen Einfluss in Afrika schon vor dem Krieg mit rund 20 Militärabkommen gefestigt, jede zweite nach Afrika gelieferte Waffe stammte zuletzt aus Russland . So manche davon wird wohl in Zukunft gegen die Bevölkerung eingesetzt. Wissenschaftler haben berechnet, dass schon ein zehnprozentiger Anstieg der Nahrungsmittelpreise die Wahrscheinlichkeit für politische Unruhen in Afrika um 39 Prozent erhöht. Auf keinem anderen Kontinent müssen die Menschen einen so hohen Prozentsatz ihres Einkommens dafür ausgeben – in einigen Ländern ist es fast die Hälfte.

    Der Getreidepreis ist seit dem Beginn des Ukraine-Krieges enorm angestiegen

    Ein Großteil des Nahrungsmittelbedarfs in Afrika wird durch Getreide abgedeckt. Der Preis dafür war zu Beginn des Ukraine-Krieges um zwei Drittel angestiegen. Inzwischen ist der Kurs wieder gesunken, er liegt aber weiterhin um rund 20 Prozent über dem Vorkriegsniveau.

    Experte Kappel hofft, dass die Entwicklung einen Weckruf für Afrika darstellt. Der Kontinent müsse anstelle des Vertrauens in Russlands endlich auf die Stärkung der eigenen Landwirtschaft setzen. „Putin interessiert die Entwicklung des Kontinents nicht“, sagte der Wissenschaftler, „es gibt keine uneigennützige Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern, selbst wenn sie in einer großen Krise sind.“

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