Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Erdgas aus Russland: Wird die Menge nach Deutschland reduziert?

Energiekrise

Weniger Erdgas von Russland für Deutschland? Nord Stream 2 wird zum Druckmittel

    • |
    Der russische Energieriese Gazprom ist für die Gasliefermengen von Nord Stream 1 zuständig. Derzeit ist die Kapazität gedrosselt.
    Der russische Energieriese Gazprom ist für die Gasliefermengen von Nord Stream 1 zuständig. Derzeit ist die Kapazität gedrosselt. Foto: Stefan Sauer, dpa

    Lubmin/Moskau - Zunächst die gute Nachricht in Zeiten der deutschen Energiekrise: Die Routinewartung der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 1 verlief bis kurz vor dem termingerechten Abschluss ohne größere Probleme. Laut einem Unternehmenssprecher der Nord Stream AG stehen den erhöhten Gaslieferungen ab Donnerstag nichts im Weg. Aus den vorläufigen Daten des Netzbetreibers Gascade vom Mittwochnachmittag (20. Juli) geht ebenfalls hervor, dass ab dem 21. Juli wieder Gas durch Nord Stream 1 fließen wird.

    Entgegen der Befürchtungen, Russland werde den Gashahn in Richtung Bundesrepublik nicht wieder aufdrehen, deutete auch Kremlchef Wladimir Putin in der Nacht zum Mittwoch Lieferungen nach der Wartung an. "Gazprom erfüllt seine Verpflichtungen, hat sie stets erfüllt und ist gewillt, weiterhin alle seine Verpflichtungen zu erfüllen", zitiert die russische Agentur Interfax Putin.

    Russland und Deutschland: Weniger Erdgas wegen fehlender Turbine?

    Jedoch war es das noch nicht. Gleichzeitig warnt der 69-Jährige vor einem weiteren Absenken der Liefermenge: Sollte Russland die in Kanada reparierte Turbine von Siemens Energy nicht zurückerhalten, drohe Ende Juli die Durchlasskapazität entgegen der eigentlichen Absicht nochmals deutlich zu fallen. Auch das erklärte Putin in der Nacht zum Mittwoch am Rande eines Treffens in Teheran.

    Dabei macht er folgende Rechnung auf: "Es gibt dort zwei funktionierende Maschinen, sie pumpen 60 Millionen Kubikmeter pro Tag... Wenn eine nicht zurückkommt, gibt es eine, die 30 Millionen Kubikmeter pumpt. Was hat Gazprom damit zu tun?", entgegnet der Kremlchef Vorwürfen, das staatliche Energieunternehmen beabsichtige, die Energienot im Westen zu verschärfen und den Gaszufluss weiter drosseln.

    Schon bald sollte sich abzeichnen, ob Gazprom wieder Erdgas in Richtung Deutschland fließen lässt: Normalerweise melden Transportkunden am jeweiligen Vortag geplante Liefermengen an, so eine Sprecherin des Netzbetreibers Gascade. Das Unternehmen betreibt die beiden Empfangspunkte von Nord Stream 1 im vorpommerschen Lubmin. Entsprechende Anmeldungen - sogenannte Nominierungen - seien Voraussetzung, damit nennenswerte Mengen transportiert werden können.

    Kremlchef Wladimir Putin bei Gesprächen in Teheran.
    Kremlchef Wladimir Putin bei Gesprächen in Teheran. Foto: -/Iranian Presidency, dpa

    Nord Stream 1 ist wegen alljährlicher Wartungsarbeiten stillgelegt, planmäßig bis Donnerstag (21. Juli). Zu den Befürchtungen Deutschlands, die Gasmenge würde gedrosselt, gibt Russlands Präsident ein Versprechen ab: "Gazprom hat seine Verpflichtungen erfüllt, erfüllt sie jetzt und wird sie auch in Zukunft erfüllen." Sollte also keine Wende eintreten, dürfte bereits Ende dieser Woche das Gaspensum über Nord Stream 1 wieder ansteigen.

    Allerdings hat das russische Gasunternehmen Gazprom die für Donnerstag angekündigte Gas-Liefermenge über die Pipeline Nord Stream 1 nach Aussage des Chefs der Bundesnetzagentur reduziert. Den Ankündigungen zufolge würden nun etwa 530 Gigawattstunden am Donnerstag geliefert, twitterte Klaus Müller am Mittwochabend (20. Juli). Ihm zufolge wäre das eine etwa 30-prozentige Auslastung. Weitere Änderungen seien möglich. Vor der planmäßig am Donnerstag endenden Wartung der Pipeline war diese zu etwa 40 Prozent ausgelastet.

    Gascade rechnet nach Angaben von Mittwochnachmittag (20. Juli) dagegen damit, dass gemäß der Ankündigungen der Gastransport auf dem Niveau von vor der Wartung wieder aufgenommen wird.

    Turbine für Nord Stream 1: Unterschiedliche Aussagen über Notwendigkeit

    Zuletzt entwickelte sich um die in Nordamerika erneuerte Turbine eine regelrechte Posse: Die in Kanada reparierte Komponente wurde wegen westlicher Sanktionen infolge des Ukraine-Konflikts nicht wieder an Russland übergeben. Jedoch hatte die kanadische Regierung auf Bitten der Berliner Bundesregierung schließlich entschieden, das Triebwerk an Deutschland zu übergeben, damit es wieder eingebaut werden kann - und damit Gaslieferungen ermöglicht.

    Bis dato soll Moskau jedoch weder Maschine noch dazugehörige Dokumente erhalten haben. Die Zeit läuft also - oder doch nicht? Denn seitens Bundesregierung gibt es Statements, dass es sich bei der fehlenden Turbine gar nicht um ein notwendiges Teil für den Betrieb handeln soll. Das Bundeswirtschaftsministerium bestritt kürzlich, bei der Turbine handele es sich um ein unverzichtbares Bauteil: "Es handelt sich um eine Ersatzturbine für den Einsatz im September", erklärte eine Sprecherin des zuständigen Ministeriums.

    Und was sagt Gazprom? Die Turbine sei wichtig für die Kompressorstation Portowaja, die wiederum für den Betrieb von Nord Stream 1 essenziell sei. Ob nach dem Ende der Wartungsarbeiten und selbst bei Einbau der Turbine die Pipeline wieder hochgefahren wird, erscheint derzeit unvorhersehbar.

    Erdgas für Deutschland? Putin bringt plötzlich Nord Stream 2 ins Spiel

    Wladimir Putin selbst bringt eine alternative Möglichkeit ins Spiel - die Inbetriebnahme der eingestampften Ostseepipeline Nord Stream 2. "Wir haben noch eine fertige Trasse – das ist Nord Stream 2. Die können wir in Betrieb nehmen", erklärte Russlands Präsident. Denkbar ist also, dass Moskau auf diesem Weg das fertiggestellte und im Zuge der Sanktionen jäh gestoppte Milliardenprojekt erzwingen könnte.

    Die milliardenschwere Pipeline wurde 2021 fertig, es fehlen jedoch Zertifizierungsunterlagen. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurde das Genehmigungsverfahren von Deutschland aufgrund des internationalen Drucks ausgesetzt. So avanciert die derzeit auf Eis gelegte Pipeline Nord Stream 2 plötzlich zu einer Art Druckmittel, weil eine Inbetriebnahme die nach wie vor dringend benötigten Erdgaslieferungen nach Deutschland sichern würde.

    Und wie geht es nun weiter? Laut Bild soll eine Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz einberufen werden, falls Russland seine Gaslieferungen nach den Wartungsarbeiten an Nord Stream 1 nicht wieder aufnimmt. Die Europäische Union bereite sich ebenfalls auf eine mögliche Gaskrise in Europa vor. Die EU-Kommission hat offenbar Vorschläge ausgearbeitet, welche Industrien neben den geschützten Privathaushalten im Ernstfall noch mit Energie versorgt werden. (wah/dpa)

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden