Der Euphorie über den Plan folgte die Ernüchterung angesichts der konkreten Umsetzung. Nachdem Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntag bei der Verkündung des dritten Entlastungspakets die Strompreisbremse als „eine große und dramatische Entlastung auf dem Strommarkt“ gefeiert hatte, musste die Bundesregierung am Montag selbst bremsen. Denn die Details des gesamten Entlastungspakets wie auch der Strompreisbremse stehen noch nicht. Es werde jetzt in den Ministerien damit begonnen, das Beschlossene umzusetzen, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit.
In der Theorie soll die Strompreisbremse so funktionieren: Für alle Energiekonzerne, die Strom mit Wind, Sonne, Biomasse, Kohlekraft oder Atomkraft produzieren, will die Ampel eine „Erlösobergrenze“ auf dem Strommarkt festsetzen. Dahinter steckt der Gedanke, dass diese Konzerne bei der Stromproduktion nicht aufs teure Gas zurückgreifen müssen. Die Differenz zwischen dem vergleichsweise niedrigen Herstellungspreis und dem an den Börsen gehandelten, vom Gas getriebenen Strompreis will die Regierung in Zukunft „abschöpfen“ und an die Kundschaft weitergeben. „Wir werden die vielen Milliarden, die wir dabei erlösen, einsetzen, um die Bürgerinnen und Bürger mit einer Strompreisbremse zu entlasten, die dazu beiträgt, dass die Bürgerinnen und Bürger eine Basisversorgung mit Strom zu billigeren Preisen nutzen können“, sagte Scholz.
Bundesregierung sucht eine Lösung auf europäischer Ebene
In der Praxis gibt es die feste Absicht, die Abschöpfung der sogenannten Zufallsgewinne „nicht auf die lange Bank zu schieben“, wie eine Sprecherin von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erklärte. Habeck will das Thema am kommenden Freitag zusammen mit seinen europäischen Amtskollegen und -kolleginnen besprechen. Ein nationaler Alleingang der deutschen Regierung ist wegen der komplizierten Rechtslage nahezu ausgeschlossen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unterstützt den Plan, hohe Gewinne von Energieunternehmen abzuschöpfen.
Justizminister Marco Buschmann (FDP) bezifferte den Strompreis nach Einsetzen der Preisbremse auf 30 Cent je Kilowattstunde. Er würde damit um etwa acht bis zehn Cent niedriger liegen als die aktuellen Strompreise, die stark steigen. Buschmanns Beispielrechnung beruht offenbar auf einer vorläufigen Einschätzung aus dem Finanzministerium seines Parteifreund Christian Lindner. Ob es tatsächlich dazu kommt, ist wohl offen. Schätzungen über die tatsächlichen Einnahmen, die durch die geplante Gewinnabschöpfung möglich sind, will die Bundesregierung derzeit nicht wagen.
Wirtschaftsweise Veronika Grimm übt Kritik am Entlastungspaket
Deutliche Kritik kommt von der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm, Mitglied des Sachverständigenrates. Ihre Sorge: Die Politik schafft sich zusätzliche Probleme, weil sie mit der Strompreisbremse die falschen Signale sendet. „Es ist nicht zielführend, einen Preisdeckel beim Strompreis einzuführen, auch nicht für ein Grundkontingent“, sagt die Ökonomin. „Das dürfte dazu führen, dass zu wenig auf den Stromverbrauch geachtet wird und sich die Probleme nur länger hinziehen.“ Deutlich zielführender wären Einmalzahlungen an die Haushalte mit unteren und mittleren Einkommen, die die zusätzlichen Kosten abfedern. „Dies wäre auch deutlich günstiger“, sagt Grimm unserer Redaktion.
Auch beim Abschöpfen von "Zufallsgewinnen" rät sie zur Vorsicht. „Wie viel man hier abschöpfen kann hängt davon ab, wie grundlegend man in die Märkte eingreift“, mahnt die Wirtschafsweise Grimm. „Man sollte hier nicht über das Ziel hinausschießen, um nicht zusätzlich Unsicherheit zu schaffen und Investitionen in Erzeugungskapazitäten und Flexibilität unattraktiv zu machen.“ Denn diese Investitionen brauche Deutschland dringend, um die Energiekrise mittelfristig zu überwinden. Zumindest, so Grimm, solle die Bundesregierung abwarten, welche Pläne auf EU-Ebene geplant sind und hier drängen, „nicht in die Preisbildung am Großhandel einzugreifen, sondern die Gewinne von günstigen Technologien abzuschöpfen in Stunden, in denen Gaskraftwerke den Preis setzen, etwa durch eine Steuer“.
Preise für Gas steigen weiter
Gar nicht berücksichtigt werden im Entlastungspaket die Sorgen der Gaskunden. Zwar bleibt es vorerst beim vergünstigten Mehrwertsteuersatz, doch schon die massiv gestiegenen Preise werden vielen Kunden zusetzen. Allein seit Freitag, dem Tag, als Russland seine Gaslieferung über die Pipeline Nord Stream 1 erneut eingestellt hat, sind die Gaspreise um mehr als 30 Prozent angestiegen. Zuletzt waren sie leicht gesunken. Grimm fürchtet eine Vervierfachung der Rechnung für viele Verbraucherinnen und Verbraucher. „Gerade Gaskunden mit niedrigen Einkommen dürften sich weiterhin fragen, wie sie in der Lage sein sollen, diese immensen zusätzlichen Kosten zu stemmen“, sagt die Ökonomin. „Eine vierköpfige Familie kann hier mit bis zu 4000 Euro mehr belastet sein.“