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Entführt und ermordet: Leiche von Anneli (17) muss noch mehrmals untersucht werden

Entführt und ermordet

Leiche von Anneli (17) muss noch mehrmals untersucht werden

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    Die Spurensicherung der Polizei arbeitet in Lampersdorf (Sachsen) auf dem Bauernhof, in dem die Polizei die entführte und ermordete 17-jährige Anneli gefunden hat.
    Die Spurensicherung der Polizei arbeitet in Lampersdorf (Sachsen) auf dem Bauernhof, in dem die Polizei die entführte und ermordete 17-jährige Anneli gefunden hat. Foto: Arno Burgi dpa

    Wann und wie musste die 17 Jahre alte Anneli sterben? Im Fall der in Sachsen ermordeten Unternehmerstochter steht die konkrete Todesursache auch nach der Obduktion von Mittwoch nicht fest. "Es sind weitere Untersuchungen notwendig, die mehrere Wochen in Anspruch nehmen werden", sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Dresden, Lorenz Haase, am Mittwoch. Die Ermittler könnten weiterhin nicht sagen, wann Anneli starb. "Wir gehen nach wie vor von Freitag aus." Zwei Männer hatten die Gymnasiastin tags zuvor beim Gassigehen mit ihrem Hund entführt, um 1,2 Millionen Euro zu erpressen. Nach tagelanger fieberhafter Suche wurde am Montagabend die Leiche des Mädchens gefunden.

    Mutmaßlicher Enführer Markus B. wollte Familie ein schönes Heim schaffen

    Einer der tatverdächtigen Entführer, Markus B., ist ein zweifacher Familienvater. Es sah aus, als würde sich Familie B. ein schönes Heim schaffen wollen. Erst vor wenigen Wochen war sie aus Klipphausen bei Meißen ins oberfränkische Burgebrach bei Bamberg gezogen, um dort ihr neues Haus einzurichten. In der St.-Veit-Straße inmitten einer ruhigen Wohnlage mit viel Grün. Der Blick schweift weit über Felder bis hinauf zum Steigerwald.

    Die Außenwände des Hauses sind zwar noch nicht verputzt, und aus dem Ziegelbau hängen noch lose Kabel, doch das sollte wohl noch werden. Die Einfahrt jedenfalls ist schon gepflastert, der Boden wurde modelliert und der etwa 900 Quadratmeter große Garten wird gerade bepflanzt. „Die Familie wirkte ganz normal“, sagt eine Nachbarin. „Er hat immer freundlich gegrüßt.“ Auffällig sei nur gewesen, dass die Rollos an den Fenstern immer unten waren und die Kinder nur kurz zum Spielen herauskamen. „Aber das kann ja auch an der Hitze gelegen haben.“ Die Nachbarn haben den Eindruck, als habe Geld keine Rolle gespielt. „Die Familie hatte drei Autos“, berichten sie. Nun aber steht nur ein Citroën mit Meißner Kennzeichen und dem Aufkleber „Super Oma“ vor dem Haus.

    Alles ist ruhig. Ganz im Gegensatz zum Montagnachmittag. Stefanie Leibach, 22, aus der unmittelbaren Nachbarschaft, war da zwar gerade bei ihrem Freund. Aber was die Eltern ihr berichteten, hat sie doch geschockt. Die Eltern schilderten ihr einen „Riesen-Aufruhr“. Der Nachbar wurde in Handschellen abgeführt, sein grauer BMW von der Polizei mitgenommen.

    Der Vater der Familie, Markus B., ist inzwischen in Dresden in Untersuchungshaft. Er ist dringend tatverdächtig, gemeinsam mit einem weiteren Mann aus

    Entführer lauern Anneli beim Spaziergehen mit dem Hund auf

    Es ist Donnerstag, der 13. August, um 19.20 Uhr, als Anneli mit dem Familienhund und ihrem Fahrrad das Elternhaus zu einer Abendrunde verlässt. Etwa zehn Minuten später begegnet sie in der Nähe des Dorfes Luga ihren späteren mutmaßlichen Mördern. Zwei Männer überwältigen sie und verfrachten sie in einen grauen BMW. So schildert Dresdens Polizeipräsident Dieter Kroll das Geschehen. Um 19.57 Uhr rufen die Entführer den Vater des Mädchens an – mit Annelis Handy. Sie erreichen ihn nicht sofort, doch er ruft umgehend zurück und er erhält die schreckliche Nachricht: Seine Tochter ist in der Gewalt von Kriminellen, sie fordern 1,2 Millionen Euro Lösegeld. Der Vater hört Annelis Schreie.

    Das ist vermutlich das letzte Lebenszeichen des Mädchens am Donnerstagabend, kurz vor 20 Uhr. Dann wird das Handy abgeschaltet, eine Ortung ist von da an nicht mehr möglich.

    Polizeipräsident Dieter Kroll spricht auf der Pressekonferenz in der Polizeidirektion in Dresden.
    Polizeipräsident Dieter Kroll spricht auf der Pressekonferenz in der Polizeidirektion in Dresden. Foto: Arno Burgi (dpa)

    Annelis Vater verlässt das Haus und sucht die üblichen Wege ab, die das Mädchen normalerweise bei den Spaziergängen mit dem Hund nimmt. Er findet ihr Fahrrad und den angebundenen Hund. Seine Frau verständigt unterdessen per Notruf die Polizei. „Unsere Tochter ist entführt worden“, sagt sie.

    Gegen 21 Uhr erhält die Familie eine zweite Nachricht der Entführer. Die Tochter sei in Tschechien, sagt der Anrufer. Wenn die Familie das Lösegeld nicht zahle, sehe sie das Mädchen nie wieder. Bis zum nächsten Tag müsse alles für die Zahlung in die Wege geleitet sein. Der Mann bemüht sich, Tschechisch zu klingen, wird aber vom Sprachsachverständigen der Polizei als Schwabe erkannt.

    Die Polizei bildet eine Sonderkommission und übernimmt die Betreuung der Familie. Am Freitagfrüh um halb sechs setzt der Ermittlungsführer einen Fährtenhund ein, der die Beamten zu einem Gehöft in Luga führt. Die Bewohner wissen nichts. Am nächsten Morgen meldet sich ein Anwohner. Er habe in der Gegend in letzter Zeit regelmäßig einen grauen BMW gesehen. Dann melden sich die Entführer erneut. Sie fordern eine Online-Überweisung des Lösegeldes. Spätestens jetzt wird der Polizei klar, dass die Täter vollkommen überfordert sind. „Eine derart hohe Summe können wir nicht online überweisen“, sagt Polizeichef Kroll.

    Familie von Anneli versucht Kontakt mit den Entführern herzustellen

    Ein Lebenszeichen des Entführungsopfers verweigern die beiden Täter. Verzweifelt versucht die Familie von Anneli, den Kontakt mit den Entführern wiederherzustellen. Das zeigt auch ein Eintrag auf den Seiten des Facebook-Auftritts der Firma. Seit mehr als vier Jahren nicht mehr benutzt, taucht dort plötzlich am zweiten Tag nach der Entführung folgender Text auf: „Ihre Ideen sind unser Antrieb! Neu: Wir unterstützen Sie bei der Finanzierung Ihrer Vorhaben! Treten Sie unbedingt mit uns in Kontakt! Wir warten auf Ihren Anruf!“

    Die verzweifelten Eltern wenden sich am Wochenende auch mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit: „Anneli, wir vermissen Dich. Wir sind bei Dir“, heißt es darin. Und an etwaige Zeugen richten sie die flehentliche Bitte: „Wer auch immer zum Wiederauffinden unserer Tochter Hinweise geben kann, wird hiermit inständig gebeten, dies zu tun.“ Und direkt an die Täter gerichtet schreiben sie: „Die Entführer sollen wissen, dass wir die angezeigten Forderungen erfüllen werden, um unser Kind bald in die Arme nehmen zu können. Bitte melden Sie sich.“

    Zugleich beginnt am Sonnabendabend die schwierigste Phase für die Ermittler. „Wir waren verdammt, zu warten“, sagt Kroll. Inzwischen haben die Spezialisten des Landeskriminalamtes das Fahrrad der 17-Jährigen untersucht. Sie finden DNA-Spuren, die sie mit ihren Dateien abgleichen und landen einen Treffer. „Um 11.50 Uhr hatten wir einen potenziellen Täter.“

    Karte zum mutmaßlichen Entführungsfall Anneli.
    Karte zum mutmaßlichen Entführungsfall Anneli. Foto: Dpa-infografik Gmbh

    Es ist Markus B. Er war wegen Brandstiftung, Versicherungsbetrugs und eines schon länger zurückliegenden Sexualdelikts ins Visier der Behörden geraten und deshalb in der DNA-Datenbank erfasst. Rechtskräftig verurteilt wurde er nie. Doch die Polizei hat nun eine „Zielperson“. Sie beginnt mithilfe ihrer Kollegen in Bayern, ihn zu observieren und seine Kommunikation zu überwachen. Am Montag nimmt sie ihn Burgebrach fest.

    Das Profilbild des 39-Jährigen auf Facebook zeigt einen eloquent wirkenden vollschlanken Herrn in grauem Anzug und schwarzen Lackschuhen. In dem sozialen Netzwerk äußert er seinen Unmut über die steigende Zahl der Asylbewerber und appelliert: „Aufwachen Deutschland!“ Er gibt sich als Rockerfan zu erkennen und postet teilweise obszöne Frauenfotos.

    Der von der Polizei festgestellte schwäbische Dialekt deckt sich mit seinen Facebook-Angaben, denen zufolge er in Ötisheim bei Pforzheim die Grundschule besuchte und dort auch 1994 seinen Hauptschulabschluss machte.

    In Klipphausen betrieb er die Firma Markus B. Rent a Cook Mietkoch & Catering Ltd. Er meldete sie 2006 als Gewerbebetrieb an, doch schon Ende 2008 wieder ab. Dem Vernehmen nach soll er eine Zeit lang als Koch auf Schiffen der Reederei Aida tätig gewesen sein. Offensichtlich stand Markus B. unter großem finanziellen Druck, denn das Vollstreckungsgericht Meißen schloss eine Befriedigung seiner Gläubiger seit August 2013 gleich achtmal aus, zuletzt im Juli dieses Jahres.

    Die Überwachung des Kochs führt die Ermittler dann auch auf die Spur von Norbert K., den 61 Jahre alten mutmaßlichen Mittäter. „Er ist uns einfach durch das Bild gelaufen“, sagt Polizeipräsident Kroll. Am Montag gegen halb fünf Uhr morgens nimmt sie auch ihn in seiner Wohnung in Dresden fest. Er legt ein Teilgeständnis ab und gibt auch den Hinweis auf den Fundort der Leiche.

    Auf dem Gelände dieses Bauernhofs entdeckte die Polizei die Leiche der vermissten 17-jährigen Anneli.
    Auf dem Gelände dieses Bauernhofs entdeckte die Polizei die Leiche der vermissten 17-jährigen Anneli. Foto: Arno Burgi (dpa)

    Norbert K. hat sich nach Angaben von früheren Nachbarn der Familie B. in Klipphausen um den zurückgelassenen Labrador „Toni“ gekümmert. Rentner Winfried Kästner, selbst Hundehalter, ist der einzige Lampersdorfer, der mit dem Unbekannten gesprochen hat. „Er kam mit dem Labrador bei uns vorbei, hat aber nicht viel erzählt.“

    Im Spätsommer 2011 hatte K. einen Gewerbebetrieb angemeldet, bei dem er als „Handelsvertreter für Edelmetalle“ fungierte. Zum Jahresende 2014 gab er bereits wieder auf. Zwischenzeitlich musste auch K. sein Vermögen offenlegen. Und wie bei B. stellte das zuständige Vollstreckungsgericht fest, dass seine Gläubiger bei ihm nichts mehr holen können. Oberstaatsanwalt Erich Wenzlick: „Habgier wird auch im Spiel gewesen sein.“

    Der Koch und der Edelmetallhändler sind auf Facebook befreundet. Sie kommentieren ihre Posts teilweise gegenseitig. Einen Tag vor der Entführung von Anneli postet er Sinnsprüche. Einer lautet: „Geh nie aus dem Haus ohne ein liebes Wort, vielleicht warst du zum letzten Mal dort.“ Der zweite lautet: „Ich glaube, einigen ist es nicht bewusst, aber wenn ich anfange, genauso hinterhältig zu sein, dann sind einige hier echt im Arsch.“ Er zeigt sich in dem sozialen Netzwerk als Fußballfan, steht auf die Musikgruppe Böhse Onkelz, mag Gothic und die Musiksendungen „Deutschland sucht den Superstar“ sowie „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“. Informationen der Dresdner Morgenpost zufolge war Norbert K. in Autoschieberei-Geschäfte verwickelt.

    Er und Markus B. haben Anneli wohl nicht zufällig ausgewählt. Mindestens einer der beiden habe die junge Frau vermutlich vom Sehen gekannt, sagt Polizeipräsident Kroll. Zudem hätten sich die Täter vor der Entführung bei Facebook über ihr Opfer informiert.

    Annelis Vater ist ein erfolgreicher Unternehmer

    Vieles spricht dafür, dass es Markus B. war, der die Auswahl des Opfers getroffen hat. Er wusste, dass ihr Vater ein erfolgreicher Unternehmer ist. Dessen Firmenzentrale steht ebenfalls in Klipphausen. B.’s Frau war schon vor längerer Zeit aus beruflichen Gründen nach Burgebrach gegangen und pendelte nur am Wochenende nach Sachsen. Der Koch hingegen blieb noch im Klipphausener Ortsteil Lampersdorf.

    In dem 150-Seelen-Ort heißt es, die beiden acht und neun Jahre alten Söhne der Familie B. sollten erst noch das Schuljahr in Sachsen beenden. Die Familie wohnte bis zu ihrem Umzug in einem großen Dreiseithof, der jetzt leer steht. Seit 1839 steht der dort, vor gut acht Jahren wurde er saniert. Fachwerk und zwei alte Wagenräder zieren das Wohnhaus. Es hat acht Zimmer, 140 Quadratmeter Wohnfläche. Seit gut drei Wochen steht die Immobilie zum Verkauf. Kostenpunkt: 229000 Euro.

    Hinter einer Scheune des Hofs, noch innerhalb des 7000 Quadratmeter großen Grundstücks, finden die Ermittler schließlich am Montagabend die Leiche der 17-Jährigen. Dort brennen jetzt drei Kerzen unter einer großen Tanne. Der Regen will nicht aufhören. Nebenan plätschert friedlich der Fluss Kleine Triebisch, Pferde stehen auf einer Weide.

    Letzte Gewissheit über die Todesumstände muss die rechtsmedizinische Untersuchung erbringen, sagt die Staatsanwaltschaft. Die Polizei geht davon aus, dass der Teenager, der am kommenden Montag in die zwölfte Klasse des Nossener Geschwister-Scholl-Gymnasiums gekommen wäre, bereits am Freitag getötet wurde. Es gebe keine Hinweise auf ein Sexualdelikt. Oberstaatsanwalt Wenzlick spricht von einem „Verdeckungsmord“. Die Täter seien bei der Entführung unmaskiert gewesen. Deshalb hätten sie sich wohl entschlossen, das Mädchen umzubringen. „Sie hatten also tatsächlich keine Chance, das Mädchen lebend zu finden?“, fragt ein Reporter in der Pressekonferenz. Die Ermittler nicken mit dem Kopf.

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