Die Energiewende ist eine Mischung aus Realitätsflucht und Selbstüberschätzung zum Zwecke der Weltrettung. Seit zwei Jahrzehnten wird diese deutsche Mischung erprobt und sie wiederholt sich gerade bei der neuen Verheißung des Klimaschutzes. Das Wundermittel der Energiewende ist jetzt der Wasserstoff, am besten erzeugt mit dem Strom eines Windparks und damit grün. Wasserstoff soll in Stahlwerken den Koks ersetzen, den Energiehunger der Chemiefabriken stillen und Lkw antreiben.
Am besten soll das übermorgen in großem Stil passieren, weil der Klimawandel doch arg pressiert, obwohl die eigenen Fachleute noch vorgestern aufgeschrieben haben, dass Wasserstoff bis 2030 ein sehr teures Nischenprodukt bleiben wird. Das macht aber nichts, denn die Ausrufung der Ära des Wasserstoffs erfolgt nach dem eingeübten Muster der Energiewende.
Wasserstoff-Berechnungen: Fantasiewerte im Gesetzblatt
Die Regierung ruft Ziele aus, wie viel weniger Kohlendioxid im Jahr x in die Atmosphäre gepustet werden soll. Bevor das Jahr x erreicht ist, stellt man fest, dass die Ziele verfehlt werden. Die Regierungsmannschaft bessert dann eilig nach und erhöht auf dem Papier noch einmal die Norm. Um sie zu erreichen, werden im Gesetzblatt Fantasiewerte aufgeschrieben, wie viele Windräder, Solaranlagen, Ladesäulen, Wasserstofffabriken und Wärmepumpen gebaut beziehungsweise verbaut werden müssen. Danach kehrt kurz Ruhe ein, weil die Weltenrettung demokratisch beschlossen ist. Später folgt das böse Erwachen, weil dem die Wirklichkeit eines trägen Landes im Weg steht, in dem der Bau neuer Bahnstrecken im günstigsten Fall 20 Jahre dauert.
Ein paar Zahlen zur Veranschaulichung, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ermittelt hat: Im Abgleich mit dem Zielwert für die erneuerbaren Energien im Jahr 2030 steht Deutschland bei der Photovoltaik momentan bei 30 Prozent, bei den Windparks auf See bei 26 Prozent und bei E-Autos bei fünf Prozent. Bei Windparks an Land ist nach 20 Jahren Förderung immerhin über die Hälfte des Zielwerts erreicht. Dieser übersichtliche Erfolg ist erkauft mit Subventionen in Höhe mehrerer hundert Milliarden Euro und den höchsten Strompreisen Europas.
Trotz dieser Erfahrungen hat Wirtschaftsminister Robert Habeck das Ziel ausgegeben, bis 2030 die Produktion von grünem Wasserstoff im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen zu verdoppeln. Um noch mehr Wasserstoff zu bekommen, sollen in Kanada und Katar Tankschiffe befüllt und das Gas unter erheblichem Energieeinsatz nach Deutschland gebracht werden.
Windparks vor den Küsten werden erst um 2030 fertig
Hierzulande kann Wasserstoff nur sinnvoll mit dem Strom der Windparks im Meer hergestellt werden. Von denen kommt der nächste Schwung Ende des Jahrzehnts ans Netz. Wie es gelingen soll, bis 2030 die Menge an grünem Wasserstoff zu verdoppeln, wenn die dafür nötigen Windräder erst gleichzeitig fertig werden, ist ein bisher ungelöstes Rätsel.
Im Wirbel um das Wundermittel wird oft vergessen, dass der Aufbau dieser Industrie ein milliardenschweres Zuschussprojekt ist. Gemessen an den aktuellen Erdgaspreisen kommt Wasserstoff zwar in den Bereich der preislichen Wettbewerbsfähigkeit, aber wenn die Energiepreise bis zum Ende des Jahrzehnts auf ihrem aktuellen Niveau bleiben, dann sind Industrie und Verbraucher hierzulande längst in die Knie gegangen.
Was die Energiewende wirklich braucht, ist mehr Realitätssinn und die Einsicht, dass der Umbau des Energiesystems eine Generationenaufgabe ist und Jahrzehnte und nicht Jahre dauert. Einsicht, dass die deutsche Bürokratie langsam arbeitet und dass in einer alternden Gesellschaft bald viele Fachkräfte fehlen werden. Die Richtung ist richtig, es wird aber länger dauern als geplant.