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Energiepolitik: Trotz Kohleausstieg: Datteln hat ein neues Kraftwerk

Energiepolitik

Trotz Kohleausstieg: Datteln hat ein neues Kraftwerk

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    Vor zwei Wochen erst ging Datteln 4 ans Netz – dem Kohleausstieg zum Trotz.  Die Deutsche Bahn ist einer der Hauptabnehmer.
    Vor zwei Wochen erst ging Datteln 4 ans Netz – dem Kohleausstieg zum Trotz. Die Deutsche Bahn ist einer der Hauptabnehmer. Foto: Guido Kirchner, dpa

    Wohl kein Ort in Deutschland braucht so viel Kohle wie Datteln. Gleich vier Kohlekraftwerke stehen in der Kleinstadt an der Lippe, 20 Kilometer nördlich von Dortmund. 1964 ging das erste von ihnen ans Netz, Anfang Juni das vierte. Dabei muss es spätestens 2038 wieder stillgelegt werden, wenn Deutschland definitiv aus der Energieversorgung mit Kohlestrom aussteigt. Damit wird Datteln 4 höchstens 18 Jahre alt – fast noch Kindesalter für ein Kraftwerk, Block 1 lief 50 Jahre, bevor er 2014 vom Netz ging. Und Deutschland beginnt schon in wenigen Monaten, ein Kohlekraftwerk nach dem anderen abzuschalten. Die Bundesregierung brüstet sich damit, die Energiewende voranzutreiben, um das Klima zu schützen. Dass 2020 noch ein neues Kohlekraftwerk ans Netz geht, passt nicht ins Bild. Ein Poker zwischen Politikern, Juristen und Unternehmen machte es dennoch möglich.

    Die Geschichte von Datteln 4 beginnt im Jahr 2007. Damals startete der Energiekonzern Eon mit dem Bau des Kraftwerks. Das Bewusstsein für den Klimawandel war weit weniger ausgeprägt als heute. Vorbehalte dagegen, Kohle zu verbrennen und damit Tonnen von Kohlenstoffdioxid in die Luft zu blasen, kamen erst langsam auf. In Westfalen und dem Saarland fuhren die Kumpel noch unter Tage. Klimapolitik und Energiewende waren kleine Themen unter ganz vielen. Auch 2011 war das noch so. Da hätte Datteln 4 fertig sein sollen. Doch daraus wurde nichts.

    Betreiber Uniper sieht Kohlekraftwerk als Teil der Energiewende

    Erst erklärte das Oberverwaltungsgericht Münster den Bebauungsplan für unwirksam. Später hob es zudem die imissionsschutzrechtliche Genehmigung des Kraftwerks auf. Eon musste neu planen. All das dauerte so lange, dass Datteln 4 immer weniger zeitgemäß erschien. Eon spaltete indes 2016 die Sparten Wasser, Kohle und Gas ab, sie gingen im neu gegründeten Unternehmen Uniper auf. Das ist jetzt Betreiber des Kraftwerks und beruft sich darauf, Datteln 4 „geerbt“ zu haben.

    In einer Stellungnahme teilt Konzernsprecher Oliver Roeder mit, man habe gemeinsam mit der Bundesregierung die „ökonomisch wie ökologisch beste Lösung“ gesucht. Er sieht Datteln 4 gar als Teil der Energiewende: „Durch die geplanten freiwilligen Stilllegungen der alten und ineffizienten Anlagen und die Inbetriebnahme des hochmodernen Steinkohlekraftwerks Datteln 4 wollen wir Unipers CO2-Emissionen in Deutschland in den nächsten fünf Jahren noch einmal um bis zu 40 Prozent zu senken“, schreibt Roeder. Dennoch stand das Unternehmen in der Kritik, als das Kraftwerk schließlich ans Netz ging.

    Denn die von der Bundesregierung einberufene Kohlekommission empfahl noch 2019 in ihrem Abschlussbericht, am Verhandlungstisch einen Ausweg zu finden, um „bereits gebaute, aber noch nicht im Betrieb befindliche Kraftwerke (…) nicht in Betrieb zu nehmen“. Die Kommission war mit prominenten Namen und renommierten Forschern besetzt und sollte ausarbeiten, wie Deutschland aus der Energieversorgung mit Kohle aussteigen könne. Sie wog Klima- und Umweltfaktoren mit den Auswirkungen auf Infrastruktur, Arbeitsplätze oder Versorgungssicherheit ab. Datteln 4 hielt sie für verzichtbar. Umzusetzen wusste die Regierung ihre Empfehlung aber nicht.

    Wie sauber ist das neue Kohlekraftwerk in Datteln?

    Hätte man sich mit Uniper darauf geeinigt, das Kraftwerk nie ans Netz gehen zu lassen, wäre das „mit einer hohen Entschädigungszahlung verbunden“ gewesen, teilt das Wirtschaftsministerium mit. Demgegenüber stehe, dass Datteln als „hocheffizientes Steinkohlekraftwerk“ für die Versorgungssicherheit wichtig sei und das nördliche Ruhrgebiet „verlässlich mit Wärme versorgen“ werde. Zudem erwarte man keine Mehremissionen, da ältere, ineffizientere Steinkohlekraftwerke zugleich vom Netz genommen würden.

    Wie Deutschland die Energiewende plant

    Konzept: Atom- und Kohlestrom raus, erneuerbare Energien rein: Deutschland will zugunsten von Klima und Umwelt den Versorgungsmix in den kommenden Jahren massiv verändern. Bekannt geworden ist das Thema unter dem Schlagwort Energiewende. Während fossile Brennstoffe wie Kohle, aber auch Gas und Öl den Treibhauseffekt verstärken oder Atomenergie ein Risiko für Umwelt und Gesundheit der Menschen darstellt, erhofft man sich von alternativen Energieträgern eine nachhaltige Versorgung mit Strom und Wärme.

    Ausstieg: 2018 endete deshalb in Deutschland der Bergbau unter Tage, 2022 soll das letzte deutsche Atomkraftwerk abgeschaltet werden, 2038 die verbliebenen Kohlekraftwerke. Ziel des Umweltbundesamtes ist es, dass Deutschland bis 2050 ausschließlich mit erneuerbaren Rohstoffen wie Wind- oder Sonnenenergie versorgt werden kann.

    Kohlekompromiss: Im Januar 2020 hatte die Bundesregierung den Kohlekompromiss beschlossen, mit dem der Fahrplan für den Kohleausstieg festgelegt wird. Jährlich solle dabei Steinkohle-Leistung vom Netz gehen, Betreiber, die sich bis 2026 zurückziehen, erhalten dafür eine Entschädigung.

    Michael Kellner überzeugen diese Argumente nicht. Er ist Politischer Bundesgeschäftsführer der Grünen und bezeichnet im Gespräch mit unserer Zeitung den Betrieb von Datteln 4 als „klimapolitische Geisterfahrt“. Er findet: „Wer Klimaschutz ernst nimmt, schaltet kein neues Kraftwerk an.“ Die Rechnung, dass dafür alte Kraftwerke vom Netz gehen, ginge nicht auf. Zudem sei es „auch ökonomisch irrsinnig“, dass nun ein neues Kraftwerk ans Netz gegangen ist. „Der Strom aus erneuerbaren Energien ist inzwischen billiger.“ Dabei konnten die Grünen die Geschichte von Datteln 4 selbst mitschreiben: 2017 etwa hätten sie nach Angaben von Kellner bei den Koalitionsverhandlungen im Bund auf einen früheren Kohleausstieg gedrängt – die FDP ließ die Verhandlungen jedoch platzen.

    Deutsche Bahn bezieht Kohlestrom aus Datteln

    Und von 2010 bis 2017 regierte die Partei als Juniorpartner der rot-grünen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen – genau in der Phase, als die Genehmigungen den Bau vor eine Reihe von Hürden stellte. Doch gelang es den Grünen nicht, das Unternehmen endgültig aufzuhalten. „Politisch war es uns nicht mehr möglich, das Kraftwerk zu verhindern“, sagt Kellner. Die Baugenehmigung erfolgte bereits vor Beginn der rot-grünen Landesregierung und unterlag somit danach rechtlichen Fragen. „Wir sind in einem Rechtsstaat, und das ist auch gut so.“

    So erklärt sich auch, warum der Vertrag zwischen Uniper und der Deutschen Bahn noch Bestand hat – auch wenn er im Jahr 2020 wie ein großer Widerspruch aussieht. Denn die Bahn ist nun einer der größten Abnehmer des Dattelner Kohlestroms – dort kann bis zu einem Viertel der für den Bahnbetrieb benötigten Leistung bereitgestellt werden. Dabei wirbt das Unternehmen heutzutage mit „100 Prozent Ökostrom“ im Fernverkehr. Die Bahn verweist auf alternative Energiequellen, die sie bereits ausgiebig nutze und will sich zum Vertrag nicht äußern – doch Kellner ist sich sicher, dass das Unternehmen diesen heute nicht mehr so abschließen würde. Darauf deutet auch der Bericht der Kohlekommission hin, die sich gegen Datteln 4 aussprach. Unter den Autoren: Ronald Pofalla. Den kennen viele noch als früheren Kanzleramtschef – seit 2015 ist er Vorstandsmitglied der Bahn.

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