Versicherung gegen Stromausfälle und Preissenker – das sind die Gründe, die für den Weiterbetrieb aller drei verbliebenen deutschen Atommeiler bis in das Frühjahr sprechen. Nach dem Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz im innerkoalitionären Krach um die Kernkraftwerke soll nun alles ganz schnell gehen.
Das Kabinett will die Laufzeitverlängerung der AKW schnell durchwinken
Schon am Mittwoch wird das Kabinett mit der Laufzeitverlängerung nach den Plänen der Ampel durchwinken. Wirtschaftswissenschaftler haben sich angeschaut, was es bringt, wenn die AKWs Isar 2, Neckarwestheim und Emsland in der kalten Jahreszeit laufen, anstatt wie ursprünglich geplant Silvester in die nukleare Rente zu gehen.
Mathias Mier vom Münchner Ifo-Institut hat bereits vor einigen Wochen ausgerechnet, dass ein Streckbetrieb der Atomkraftwerke bis Ende April 2023 den Jahrespreis für Strom im kommenden Jahr um circa neun Prozent drücken könnte. „Die kritische Phase ist vor allem von Dezember bis April. In diesen Monaten ist mit einem spürbaren Preiseffekt zu rechnen“, sagt der Energieökonom. Teurere Gas- und Kohlekraftwerke würden aus dem Markt gedrängt.
Ökonom hofft in der Energiekrise auf einen Schmuddelwinter
Schwierig machten die Prognose offene Fragen wie zum Beispiel die, ob es Frankreich gelingt, bald wieder mehr Meiler ans Netz zu bringen. Aber auch die Stromerzeugung aus Wasserkraft ist wegen der großen Trockenheit europaweit eingebrochen. „Ein schmuddeliger warmer Winter wäre für die Energieversorgung das Idealszenario“, erklärt Mier.
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm ist in einer Studie zu dem Schluss gekommen, dass die drei Meiler die Stromkosten um zwölf Prozent senken könnten. Allerdings bezieht sich das Ergebnis auf das Jahr 2024, wenn Deutschland aus der Atomkraft endgültig ausgestiegen sein dürfte.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hingegen rechnet nur mit einem minimalen Preiseffekt, wenn die Reaktoren weiterbetrieben werden. Sein zähneknirschendes Eintreten für die in seiner Partei umstrittene Laufzeitverlängerung lautete Versorgungssicherheit. Allerdings hatte Habeck gehofft, mit den beiden süddeutschen Meilern auszukommen und Emsland zum Jahreswechsel abzuschalten.
Auch Energieökonom Mier hält die höhere Netzstabilität für den wichtigeren Effekt der Atomentscheidung. „Weil der in Norddeutschland erzeugte Strom nur schwer in den Süden kommt, ist es aus Sicht der Netzbetreiber sinnvoll, die vorhandenen beiden Atomkraftwerke in Süddeutschland weiter laufen zu lassen“, sagt Mier. Das Kraftwerk im Emsland könne dies zusätzlich unterstützen. Insgesamt nehme der Nutzen des Weiterbetriebs mit jedem Kraftwerk aber ab, vermutet Mier. „Rund drei Viertel der Kosten entstehen aus dem Vorhalten der Kraftwerke. Diese Kosten müssen bezahlt werden, auch wenn sie nicht laufen“, betont Mier.
Wirtschaftsminister Aiwanger will Ausstieg aus dem Atomausstieg
Dass die Kernkraftwerke nun bis in das Frühjahr im Streckbetrieb mit abnehmender Leistung am Netz sind, davon geht die Regierung aus. Vom Konzept, sie zunächst in eine Einsatzreserve zu stecken und dann im Dezember zu schauen, ob sie tatsächlich benötigt werden, ist der Kanzler abgerückt. Sie laufen durch, am 15. April soll dann aber Schluss sein. In Habecks Haus ist man sich sicher, dass die Liberalen Anfang nächsten Jahres dennoch den Versuch unternehmen werden, den endgültigen Atomausstieg weiter nach hinten zu verschieben.
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) dringt schon heute darauf. „Diese kurzsichtige Politik reicht nicht. Wir brauchen auch genügend Strom im Winter 23/24“, sagte Aiwanger. Die Kernkraftwerksbetreiber müssten die Sicherheit haben, um jetzt neue Brennstäbe in Schweden oder Kanada zu bestellen.
Energieexperte Mier hingegen hält den Preiseffekt der drei deutschen AKWs nach dem Winter für abnehmend. Wirtschaftsminister Habeck hat wiederholt darauf verwiesen, dass es maßgeblich darauf ankommen wird, wie schnell Frankreich seine Atomflotte wieder an das Netz bekomme.