Dreht Wladimir Putin den Gashahn nach Westen jetzt komplett zu? Völlig überraschend hat der russische Konzern Gazprom am Freitagabend angekündigt, nach dem dreitägigen Lieferstopp in dieser Woche bis auf Weiteres überhaupt kein Gas mehr in die Pipeline Nord Stream 1 einzuspeisen.
Das Unternehmen begründet das mit einem Leck im Pumpsystem, obwohl es wenige Stunden zuvor noch zugesagt hatte, die Lieferungen in der Nacht zum Samstag wieder aufzunehmen. Die Aktie des Chemiekonzerns BASF, einem der wichtigsten Abnehmer von russischem Gas, stürzte daraufhin im nachbörslichen Handel um fast vier Prozent ab. Auch an den US-Börsen drehten die Kurse ins Minus.
Gazprom liefert bis auf Weiteres kein Gas mehr: Liegt es wirklich an einem Leck?
Der Umfang der zunächst für diesen Samstag angekündigten Lieferungen hätte in etwa dem Niveau entsprochen, das vor der jüngsten Unterbrechung noch in Deutschland angekommen war, nämlich täglich 33 Millionen Kubikmeter – das sind rund 20 Prozent der maximal möglichen Menge. Bereits am späten Freitagnachmittag hatten die vorläufigen Daten allerdings nur noch eine kaum nennenswerte Menge angezeigt.
Nach Angaben von Gazprom wurde bei Wartungsarbeiten eine undichte Stelle entdeckt. Ob das tatsächlich der Fall ist, blieb zunächst unklar. Bereits in der Vergangenheit hatte Gazprom das Reduzieren von Liefermengen mit technischen Gründen wie der Wartung einer Pumpe in Kanada erklärt. Bundesregierung und Bundesnetzagentur vermuten dagegen politische Motive hinter den Lieferstopps. Ein Sprecher der EU-Kommission warf dem russischen Staatskonzern am Abend vor, den Gasfluss mit falschen Vorwänden aufzuhalten. Die Verlängerung der Liefersperre sei „ein weiterer Beleg seiner Unzuverlässigkeit“ und ein Beweis für den Zynismus Russlands, das es vorziehe, Gas zu verbrennen statt seine Verträge zu erfüllen.
Wie lange die Unterbrechung dieses Mal dauern soll, geht aus der Mitteilung des Unternehmens nicht hervor. Bereit seit Mittwochmorgen fließt kein Gas mehr durch die zuletzt wichtigste Pipeline für russisches Gas nach Deutschland. Aufgrund des Lecks, behauptet Gazprom, sei es nicht mehr möglich, an der betroffenen Pumpenstation den sicheren Betrieb der letzten dort noch verbliebenen Gasturbine zu garantieren.
Gasspeicher in Deutschland sind zu 83,4 Prozent gefüllt – Gas kommt nun von anderswo
Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums ist die Versorgung mit Erdgas in Deutschland trotzdem gesichert. Stand Freitag seien die Speicher zu 83,4 Prozent gefüllt. „Die Unzuverlässigkeit Russlands haben wir in den vergangenen Wochen bereits gesehen und entsprechend haben wir unsere Maßnahmen zur Stärkung der Unabhängigkeit von russischen Energieimporten fortgesetzt“, betonte eine Sprecherin von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).
Klaus Müller, der Präsident der zuständigen Bundesnetzagentur, sagte: „Angesichts der russischen Entscheidung, vorerst kein Gas über Nord Stream 1 fließen zu lassen, gewinnen die LNG-Terminals, die relevanten Speicherstände und signifikante Einsparnotwendigkeiten an Bedeutung.“
Das weitaus meiste Erdgas erhält die Bundesrepublik mittlerweile aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien. So flossen am Donnerstag nach Angaben der Netzagentur 2900 Gigawattstunden Erdgas aus diesen drei Ländern nach Deutschland. Zum Vergleich: Am Montag, dem Tag mit den letzten aktuellen Zahlen vor dem Lieferstopp, transportierte Nord Stream 1 noch 348 Gigawattstunden russisches Gas. (mit dpa)