Bisher sei es „ohne Nachtsitzungen und auch ohne Durchstechereien gegangen“, erklärte Olaf Scholz noch vor kurzem mit Blick auf das dritte Entlastungspaket in der Energiekrise. Das steht jetzt, und aus den Beratungen dazu drang tatsächlich nichts nach außen. Es war jedoch eine 22-stündige Marathonsitzung bis in den Sonntagmorgen erforderlich, um die letzten Details festzulegen. Das Ergebnis dieser Nachtsitzung: Die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen im Land können sich auf Zuschüsse in Höhe von 65 Milliarden Euro einstellen. Das Paket soll vor allem mit einem Bürgergeld, einer Wohngeldreform, der Abschaffung der kalten Progression, mehr Kindergeld sowie der Ausweitung des Energiegeldes auf Rentenbezieher die schlimmsten Folgen des Ukraine-Krieges abfedern. Beim 9-Euro-Ticket ist eine teurere Nachfolgelösung geplant.
„Wir werden durch diesen Winter kommen“, versprach Scholz, als er am Sonntagvormittag vor die Presse trat. Der SPD-Politiker wirkte ermüdet, er hatte anstrengende Beratungen hinter und ein langes Besuchsprogramm vor sich. Gleichzeitig machte Scholz einen zufriedenen Eindruck angesichts eines Pakets, das unter Beteiligung von Ländern und Kommunen mehr als doppelt so groß ist wie die beiden vorhergegangenen, die sich auf 30 Milliarden Euro belaufen.
Entlastungspaket: 300 Euro Energiegeld auch für Rentner
„Die Kosten für Strom, für Gas und Heizung, werden in den nächsten Monaten eine ganz, ganz große Herausforderung sein“, sagte Scholz und bekräftigte sein Versprechen, dass die Regierung in dieser Situation niemanden alleine lassen will. So sollen auch Rentnerinnen und Rentner das Energiegeld von 300 Euro bekommen. Studierende und Auszubildende dürfen ebenfalls mehr Geld erwarten. Zu Jahresbeginn soll die kalte Progression abgeschafft werden, das senkt die Steuerlast. Gleichzeitig wird aus Hartz-IV das Bürgergeld in Höhe von etwa 500 Euro.
Kirchen- und Sozialverbände lobten die Beschlüsse. Es seien „richtige und wichtige Weichen gestellt“ worden, sagte etwa Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Das Paket sei ein wichtig für den sozialen Frieden und die gemeinsame Sicherheit in Deutschland.
Die Schuldenbremse bleibt mit dem Entlastungspaket aktiviert
Die Finanzierung der Maßnahmen steht noch nicht. Finanzminister Christian Lindner setzte sich mit seiner Forderung durch, dass die Schuldenbremse im nächsten Jahr eingehalten wird. Wenn 2023 also maximal kleine Kredite aufgenommen werden, muss das Geld durch Kürzungen an anderen Stellen beschafft werden.
Einige Milliarden will die Ampel außerdem reinholen, in dem sie „Zusatzgewinne“ der großen Energiekonzerne einkassiert. In der Zielrichtung ist das die Übergewinnsteuer, die SPD und Grüne haben wollten: Betroffen sind Unternehmen, die mit Wind und Sonne vergleichsweise billig Strom produzieren, an den Strombörsen aber trotzdem viel Geld verdienen. Über die Mehreinnahmen soll eine „Strompreisbremse“ für die Verbraucher finanziert werden. Kanzler Scholz versprach den geplagten Verbrauchern eine „große und dramatische Entlastung auf dem Strommarkt“. Gleichzeitig will die Ampel den Strommarkt so reformieren, dass die Preise wieder sinken. Energieintensive Unternehmen bekommen jetzt schon Zuschüsse.
Marcel Fratzscher ist unzufrieden mit dem Entlastungspaket
DIW-Chef Marcel Fratzscher kritisierte, die „Strompreisbremse“ werde „erst in vielen Monaten, wenn überhaupt, umgesetzt werden können“, sagte er. Aus diesem Grund werde die Ampel die Schuldenbremse nicht einhalten können, prognostizierte der Experte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.
Das beliebte 9-Euro-Ticket ist zwar Geschichte. Der Bund gibt den Ländern aber 1,5 Milliarden Euro, und die können daraus ein „bundesweit nutzbares, digital buchbares Abo-Ticket“ machen, das zwischen 49 und 69 Euro pro Monat kosten soll.