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Energiekrise: Kann Kanada künftig Deutschlands Energiehunger stillen?

Energiekrise

Kann Kanada künftig Deutschlands Energiehunger stillen?

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    Freude über neue deutsche Nachfrage: Kanadas Vize-Premier- und Finanzministerin Chrystia Freeland nimmt Kanzler Olaf Scholz am Flughafen in Montreal herzlich im Empfang.
    Freude über neue deutsche Nachfrage: Kanadas Vize-Premier- und Finanzministerin Chrystia Freeland nimmt Kanzler Olaf Scholz am Flughafen in Montreal herzlich im Empfang. Foto: dpa / Kay Nietfeld

    Kanzlerbesuche in Kanada waren in der Vergangenheit meist Wohlfühlveranstaltungen zur Stärkung der viel beschworenen Wertegemeinschaft zwischen beiden Ländern, aber sie brachten wenig Aufregendes. Beim Besuch von Kanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck in

    Das rohstoff- und energiereiche Land Kanada wird langfristig als wichtiger Partner in der Energie- und Klimapolitik gesehen. Der Ausbau der Kooperation in der Wasserstoffwirtschaft, bei Flüssiggas und kritischen Mineralien und Metallen stehen im Mittelpunkt der Gespräche mit Premierminister Justin Trudeau, Wirtschaftsverbänden und Forschungsinstituten.

    Premier Trudeau will Scholz zeigen, „was Kanada zu bieten hat“

    Der kanadische Premier freut sich über die neue Nachfrage aus Deutschland. Er will Scholz zeigen, „was Kanada zu bieten hat“, sagte er. Und das ist im Rohstoff- und Energieland Kanada eine Menge, seien es Erdgas, Öl – wozu auch die umstrittene Ölgewinnung aus Ölsand gehört – oder Mineralien für die Hightech-Industrie und in fernerer Zukunft Wasserstoff.

    Kanada sieht sich auf einmal in einer Rolle, die es gerne schon länger gespielt hat: als ernst zu nehmender Partner, nicht nur als Beiwerk neben den USA in den transatlantischen Beziehungen.

    Trudeau kann angesichts der Umfragekrise bei seinen Sympathiewerten auch innenpolitisch das Interesse aus Europa gut gebrauchen, er begleitet Scholz und Habeck fast das gesamte Reiseprogramm von Montreal über Toronto bis Neufundland, wo die beiden Regierungschefs eine Messe für Wasserstoffwirtschaft besuchen und am Dienstag ein Wasserstoffabkommen zwischen Deutschland und Kanada unterzeichnen. Die Energiepolitik ist in beiden Staaten eng mit der Klimapolitik verwoben. Kanada hat sich das Ziel der CO2-Neutralität bis 2050 verschrieben, Deutschland bis 2045. In Kanada ist dies vielleicht dennoch ambitionierter, weil das Land auch von der Förderung fossiler Brennstoffe lebt.

    Wieviel Erdgas hat Kanada?

    Dass Trudeau Europa helfen will, zeigte bereits seine umstrittene Entscheidung, die Auslieferung einer Gasturbine für die Nord Stream 1 Pipeline zu gestatteten, die in einem Siemens-Werk in Montreal repariert wurde. Im eigenen Land erntete Trudeau für diese Entscheidung, mit der Kanada seine Sanktionen gegen Russland unterlief, viel Kritik.

    Um Europa bei der Energiekrise wirklich zu helfen, müssen jedoch erhebliche Hürden aus dem Weg geräumt werden. Mit seinen Erdgasressourcen, die der kanadische Erdgas-Verband CGA mit 39 Billionen Kubikmeter angibt, und einer jährlichen Förderung von 170 Milliarden Kubikmeter ist Kanada der fünftgrößte Erdgasförderer. Aber nur an der Westküste steht ein Terminal für Exporte nach Asien kurz vor der Fertigstellung. An seiner Ostküste Richtung Europa hat Kanada im Gegensatz zu den USA keine Terminals, um LNG-Flüssigerdgas zu schippern.

    Ein Terminal des spanischen Konzerns Repsol in Saint John kann bisher nur für Importe genutzt werden. Allerdings wird überlegt, das Terminal umzurüsten, um es auch für Exporte nutzen zu können. Dafür müssen aber Machbarkeitsstudien erstellt und die Genehmigungsprozesse durchlaufen werden. Zudem fehlt es, wie an vielen Stellen in Kanada, an Pipeline-Kapazitäten. Pipelinebau ist auch in Kanada ein hochpolitisches und umstrittenes Thema.

    Kanada liefert drezeit nur über Umwege Erdgas

    So hilft Kanada den Europäern derzeit vor alllem über Umwege: Kanada exportiert Erdgas in die USA, die ihre Exporte nach Europa erheblich gesteigert haben. Jede kanadische Gaslieferung auf die globalen Märkte helfe, die Lage auf dem Energiesektor zu entspannen, sagt Timothy Egan, Präsident des Erdgasversorgerverbands CGA unserer Redaktion. Das könne auch durch verstärkte Gaslieferungen in die USA geschehen, was diese wiederum in die Lage versetze, mehr nach Europa zu liefern.

    Der Verbandschef Egan glaubt, dass sich der Bau eines Erdgasterminals an der Ostküste unabhängig von der jetzigen Krise durch den Ukrainekrieg lohnt, auch wenn Europa langfristig auf Wasserstoff als Energieträger setzen will. „Selbst wenn es nur für 20 Jahre sein sollte, hat dieses Projekt einen Sinn“, sagt er. Wichtig sei aber ein „klares politisches Bekenntnis“ beider Seiten zur Energiekooperation und zum LNG-Export nach Europa.

    Warum Kanada Erdgas durch Wasserstoff ersetzen will

    Zudem hat Kanada Ende 2020 eine Wasserstoffstrategie beschlossen, wonach es bis 2050 weltweit einer der größten Wasserstoffproduzenten werden will. Zwar steckten die Märkte für Wasserstoff noch in den „Kinderschuhen“, die Kooperation zwischen Deutschland und Kanada habe aber das Potenzial, die Entwicklung des Wasserstoffmarktes zu beschleunigen, stellen deutsche und kanadische Wirtschaftsverbände und Handelskammern in einer gemeinsamen Erklärung fest. Sie fordern, dass das kanadisch-europäische Handelsabkommen CETA „von allen EU-Mitgliedern ohne weitere Ergänzungen oder Verzögerungen ratifiziert wird“.

    Die Energiekrise überschattet ein weiteres Thema der Kanzlerreise: Nicht nur Deutschlands Hunger nach Energie, sondern auch nach Rohstoffen steigt, aber ebenso die Furcht vor zu großer Abhängigkeit von China. Inzwischen sieht man es in deuschen Wirtschaftskreisen als Fehler, dass sich die deutsche Industrie vor Jahrzehnten völlig aus dem Bergbau im Ausland zurückgezogen und nur noch auf Import gesetzt hat.

    Nun werben Verbände wie die Fachvereinigung Auslandsbergbau für deutsches Engagement in Kanada, das seltene Metalle und Mineralien liefern könnte. Die deutsche Industrie habe lange nur auf das Konzept „Technologie gegen Rohstoffe“ gesetzt, räumt Fachvereinigungs-Geschäftsführer Martin Wedig ein. Die Abhängigkeit Deutschlands bei Rohstoffen habe sich vergrößert. „Ein ,Weiter so’ darf es also nicht mehr geben“, betont Wedig. Er erhofft sich als Ergebnis der Kanzler-Reise einen Strategieschwenk.

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