Der Streit um den Weiterbetrieb der letzten noch laufenden Atomkraftwerke in Deutschland hat offenbar eine neue Eskalationsstufe erreicht. Nach Darstellung des Bundeswirtschaftsministeriums gefährden „politische Unstimmigkeiten“ einen Betrieb des Reaktors Isar 2 in Ohu bei Landshut über das Jahresende hinaus. Die geplante Verabschiedung des dafür nötigen Gesetzespaketes ist danach am Montag am Widerstand der FDP gescheitert, die auf eine große Lösung mit mehr Reaktoren am Netz pocht und dem Gesetzespaket von Minister Robert Habeck (Grüne) im Kabinett deshalb nicht zugestimmt hat.
Bayerns FDP-Chef Hagen: Wir brauchen den großen Wurf
Den Vorwurf, seine Partei gefährde so die Energieversorgung im Freistaat, weist der bayerische FDP-Chef Martin Hagen allerdings zurück. „Habeck hat das Land monatelang hingehalten und präsentiert jetzt eine Minimallösung“, betonte er gegenüber unserer Redaktion. „Dieses Klein-Klein reicht aber nicht. Wir brauchen jetzt den großen Wurf, um auch über diesen Winter hinaus eine sichere und bezahlbare Energieversorgung zu gewährleisten.“ Alle verfügbaren Kraftwerke müssten ans Netz, so Hagen. „Monatelang auf Zeit spielen und dann plötzlich Druck machen – so geht es nicht.“ Seiner Auffassung nach hätte über den Weiterbetrieb der Reaktoren schon im Frühjahr entschieden werden müssen. „Dann hätte man rechtzeitig Brennstäbe für einen längeren Betrieb bestellen können.“
Nun allerdings läuft der Ampelkoalition die Zeit davon. Vor einem möglichen Weiterbetrieb muss in in Ohu noch ein Leck an einem Ventil geschlossen werden. Andernfalls, warnt ein Sprecher von Habeck, „steht man wegen Verzögerungen ohne Isar 2 da“. Ob das so stimmt, ist allerdings unklar. Eine Frage, bis wann er denn Klarheit über das weitere Vorgehen haben müsse, ließ der Stromkonzern E.on bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe unbeantwortet.
Noch keine Einigung im Kabinett um Laufzeitverlängerungen
Nach den Plänen des Wirtschaftsministeriums soll das bayerische Kraftwerk wie das in Neckarwestheim bei Heilbronn noch bis Frühjahr nächsten Jahres Strom liefern, der dritte noch laufende Reaktor im Emsland soll dagegen Ende des Jahres vom Netz gehen. Die FDP will alle drei Kernkraftwerke bis ins Jahr 2024 weiterlaufen lassen und nach einer Sicherheitsüberprüfung auch bereits stillgelegte Kraftwerke wieder reaktivieren. „Wir befinden uns in einem Energiekrieg“, argumentiert Parteichef Christian Lindner. „Physikalisch und ökonomisch spricht alles dafür, die Kapazitäten der sicheren Kernkraftwerke für diese Krise ans Netz zu holen.“
Ursprünglich hätte Habecks Modell mit der kleinen Laufzeitverlängerung für Isar 2 und Neckarwestheim schon vor einer Woche im Kabinett beschlossen werden sollen – das zumindest behauptet dessen Ministerium. Die FDP dagegen bestreitet, dass es überhaupt schon eine Einigung gegeben habe. Daher ist am Montag auch der Versuch gescheitert, eine schriftliche Zustimmung der einzelnen Ressorts im so genannten Umlaufverfahren herbeizuführen.
Entsprechend hitzig geht es nun zwischen Liberalen und Grünen zu. „Man kann nicht längere Laufzeiten wollen und gleichzeitig verhindern, dass die Atomkraftwerke laufen können“, stichelt Habeck im Spiegel. „Wenn man will, dass die Atomkraftwerke nach dem 31. Dezember noch Strom produzieren können, muss man jetzt den Weg dafür frei machen.“ Die FDP dagegen bekommt plötzlich Beistand von ungewohnter Seite: Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hält es für falsch, die noch aktiven Atomkraftwerke abzuschalten und stattdessen verstärkt auf Kohlekraft zu setzen: Es sei „eine schlechte Idee“, auf Kohle zu setzen, solange „das andere“ noch existiere.