Die Bundesregierung will sich nicht mehr für eine gesetzliche Änderung starkmachen, damit es schon 2030 zu einem beschleunigten Kohleausstieg kommt. Damit könnten zumindest in Ostdeutschland die letzten Kohlemeiler erst 2038 vom Netz gehen. Die Weichen dafür sind nun auch rechtssicher gestellt, nachdem die EU-Kommission in den vergangenen Tagen grünes Licht für Entschädigungszahlungen an den ostdeutschen Bergbau- und Energiekonzern Leag gegeben hat. Dieser bekommt bis zu 1,75 Milliarden Euro für den schrittweisen Kohleausstieg bis 2038. Dieses Datum will die Bundesregierung vor den Landtagswahlen im Osten offenbar nicht mehr aufschnüren: "Die Bundesregierung wird keine politischen Bemühungen unternehmen, um diese gesetzliche Frist zu verändern", hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Rande der Pressekonferenz zum Leag-Beschluss gesagt. Dazu passt, dass sich die gesetzlich vorgesehene Überprüfung des Kohleausstiegs verzögert. Der nächste Bericht soll erst im Frühjahr 2025 vorgelegt werden. Dies geht aus dem Schreiben des Bundeswirtschaftsministeriums an zwei Bundestagsausschüsse hervor, das unserer Redaktion vorliegt. Die Bundesregierung wettet allerdings darauf, dass der Kohleausstieg ganz ohne neues gesetzliches Ausstiegsdatum schneller gehen könnte als gedacht: Der Markt könnte ihn von alleine vorantreiben. Denn die Produktion erneuerbaren Stroms legt stark zu, die Kohleverstromung dagegen wird teurer.
Im ersten Quartal 2024 fast 60 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen
"Die Erneuerbaren produzieren Strom wie nie", heißt es in dem Schreiben des Ministeriums. Im ersten Quartal 2024 hätten sie mit über 75 Terawattstunden zehn 10 Prozent mehr als im Vorjahresquartal erzeugt. Dem Statistischen Bundesamt zufolge stammten von Januar bis März 58,4 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen. Einen so großen Anteil hätten Wind, Wasser, Photovoltaik und Biogas noch nie in den ersten drei Monaten gehabt. "In diesem Jahr erreichten wir in einigen Tagesabschnitten sogar 100 Prozent der Netzeinspeisung", zeigt sich auch das Ministerium optimistisch. "Entsprechend sinkt die Kohleverstromung auf ein Niveau, das wir seit den 1950er-Jahren nicht hatten." Steigende CO2-Preise könnten die Kohleverstromung außerdem zunehmend unrentabel machen.
Detlef Fischer, VBEW: "Glaube nicht, dass wir schon 2030 aus der Kohle aussteigen"
Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft, tritt allerdings auf die Bremse. "Ich glaube nicht daran, dass wir 2030 schon aus der Kohle aussteigen", sagt er unserer Redaktion. Wie schnell der Ausstieg gelingen kann, hänge von mehreren Faktoren an. Zuallererst von der Frage, wie schnell es gelingt, wasserstofffähige Gaskraftwerke zu bauen, die einspringen, wenn Sonne und Wind gerade als Energielieferanten ausfallen. Das Bundeswirtschaftsministerium zeigt sich hier zuversichtlich: "Wir stehen kurz vor einer Einigung mit der Europäischen Kommission zum Zubau von Kraftwerken", heißt es in dem Schreiben. "Konkret sind insbesondere Ausschreibungen für auf Wasserstoff umrüstbare Gaskraftwerke geplant, die in den 2030er-Jahren ihren Betrieb auf Wasserstoff umstellen müssen." Aber selbst wenn die EU bald auch hier grünes Licht gibt, "müssen diese Kraftwerke erst bestellt, gebaut und in Betrieb genommen werden", gibt Fischer zu bedenken.
Reservekraftwerke und Unsicherheit der Stromversorgung im Winter
Zudem, sagt Fischer, kann die Bundesnetzagentur anordnen, dass Kohlekraftwerke für mögliche Engpässe im Netz zumindest als Reserve vorgehalten werden müssen. Das kann einem schnellen Kohleausstieg im Wege stehen. Und schließlich könnte auch ein steigender Strombedarf für Wärmepumpen und E-Autos den Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken nötig machen – vor allem im Winter, wenn die privaten Photovoltaikanlagen auf den Hausdächern wenig Strom liefern. Bayern selbst betreibt kaum Kohlekraftwerke, importiert allerdings zeitweise Strom aus anderen Bundesländern.