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Energiekrise: Acht Fragen zu Habecks Atom-Plan

Energiekrise

Acht Fragen zu Habecks Atom-Plan

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    Das Atomkraftwerk Isar 2 soll zum Jahresende nicht rückgebaut werden, sondern für einen möglichen Notbetrieb erhalten bleiben.
    Das Atomkraftwerk Isar 2 soll zum Jahresende nicht rückgebaut werden, sondern für einen möglichen Notbetrieb erhalten bleiben. Foto: Imagebroker/dpa

    1. Was genau hat Wirtschaftsminister Robert Habeck vor? Drei Atomkraftwerke sind derzeit noch am Netz: Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim. Alle drei sollten bis Ende des Jahres abgeschaltet werden. Nun vollzieht die Bundesregierung eine kleine Kehrtwende.

    2. Was ist der Unterschied zum Streckbetrieb? Beim Streckbetrieb laufen die AKW mit den vorhandenen Brennstäben einfach für einen gewissen Zeitraum weiter und speisen Strom ins Netz ein. Die Leistung nimmt im Laufe der Zeit ab, nach 80 Tagen wäre er noch bei etwa 60 Prozent seiner ausgelegten Leistung. Spätestens dann müssten neue Brennelemente eingesetzt werden. Die Möglichkeit eines Streckbetriebes, der automatisch zusätzlichen Strom über das Jahresende hinaus produzieren würde, will die Bundesregierung allerdings nicht in Anspruch nehmen. Sie sieht in der Atomkraft eine Hochrisiko-Technologie, zudem sei die Frage der Entsorgung des Atommülls ungeklärt.

    Wirtschaftsweise Veronika Grimm kritisiert den Beschluss

    3. Reicht die Einsatzreserve aus? Das kommt auf den Blickwinkel an. Zwar betont Habeck, dass es in Deutschland keinen Mangel an Strom gibt, im Gegenteil aktuell sogar Energie etwa nach Frankreich exportiert wird. Doch Experten richten ihren Blick nicht nur auf die Versorgungslage, sondern auch auf den Preis – und der ist hoch. „Anlässlich der Preisentwicklung am Strommarkt muss alles daran gesetzt werden, Erzeugungskapazitäten zu mobilisieren, die kurzfristig verfügbar gemacht werden können“, sagt die Ökonomin und Wirtschaftsweise Veronika Grimm unserer Redaktion. Dazu gehörten auch die Atomkraftwerke. „Die Kraftwerke sollten laufen und nicht nur in Bereitschaft sein, wie es aktuell geplant ist – denn nur dann gibt es einen senkenden Effekt auf den Strompreis“, sagt Grimm und schlägt eine Laufzeitverlängerung von fünf Jahren vor – für alle drei noch betriebenen AKW. Auch sollte geprüft werden, ob die Kernkraftwerke reaktivierbar sind, die kürzlich erst stillgelegt wurden. „So könnte dafür gesorgt werden, dass die Preise im Rahmen bleiben und die Versorgung stets gewährleistet ist“, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin. Darauf weist auch Jörg Starflinger, Direktor des Instituts für Kernenergetik und Energiesysteme in Stuttgart, hin. Strom- und Gaspreise seien astronomisch. „Wenn das Angebot knapp ist, dann geht der Preis nach oben“, sagt er. „Wir dürfen in so einer Situation nicht mit angezogener Handbremse fahren.“ Je mehr Strom durch Atommeiler erzeugt werde, umso weniger müssten klimaschädliche Kohlekraftwerke genutzt werden.

    4. Lassen sich die AKW so einfach in einer Art „Stand by“-Betrieb halten? Auch hier gibt es mahnende Stimmen. Denn es wird nicht reichen, in einer Notlage nur den Schalter umzulegen. Bis die Atomkraftwerke wieder Strom einspeisen könnten, könnte es nach Auskunft selbst von Wirtschaftsminister Robert Habeck eine Woche dauern. Der TÜV warnt deshalb: „Die drei laufenden Kernkraftwerke in Deutschland können derzeit schwankende Energieerzeugung aus Wind und Sonne kurzfristig ausgleichen und das Stromnetz stabil halten", sagte Bild-Zeitung. „Diese zeitkritische Funktion könnten die Kernkraftwerke in der Notreserve praktisch so nicht wahrnehmen, da das Anfahren aus dem Kaltbetrieb ein mehrtägiger Prozess ist.“ Kurzfristig ist ein Wiederanlaufen der Kraftwerke also nicht möglich.

    Darum ist die Lage im Süden Deutschlands kritischer

    5. Wie argumentieren die Netzbetreiber? Laut dem Stresstest der Stromnetzbetreiber könnten die drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke bei einem Weiterbetrieb in kritischen Situationen im Stromnetz ohnehin nur einen begrenzten Beitrag leisten. Zur Stabilisierung des Stromnetzes würden die drei Kraftwerke in einem „sehr kritisch“ genannten Szenario den Bedarf an Ausgleichskraftwerken im Ausland nur um 0,5 Gigawatt senken. Es bliebe auch dann ein Bedarf im Ausland von 4,6 Gigawatt. Solche Ausgleichskraftwerke können dem deutschen Markt kurzfristig Strom zum Ausgleich von Netzengpässen zur Verfügung stellen. Allerdings wird im Moment mehr Strom von Deutschland nach Frankreich exportiert als umgekehrt. Im Nachbarland fallen aktuell mehrere Atommeiler aus, sie müssen repariert werden. Habeck setzt darauf, dass sich dies wieder ändert.

    6. Warum werden ausgerechnet die beiden südlichen Kraftwerke in den Reservemodus genommen? Dass Isar 2 und Neckarwestheim erhalten bleiben, liegt an ihrer Lage. Das betonte Minister Habeck mehrfach. „Der Ausbau der erneuerbaren Energien sowie der Stromnetzausbau wurden in den letzten Jahren stark gebremst, besonders negativ macht sich das im Süden unseres Landes bemerkbar“, sagte er. Übersetzt heißt das: Die beiden Süd-Bundesländer haben wichtige Aufgaben verschleppt und wären in einer echten Krise besonders betroffen. Die meisten Windräder stehen im Norden, Leitungen in Richtung Süden sind nur sehr eingeschränkt vorhanden. Zugleich aber sind Baden-Württemberg und Bayern wichtige industrielle Zentren mit großen Firmen, die einen hohen Energieverbrauch haben.

    7. Was sagen die Kraftwerk-Betreiber? Der Betreiber von Neckarwestheim, die EnBW, versichert, „die Bemühungen der Bundesregierung um eine sichere Energieversorgung im Rahmen ihrer Möglichkeiten nach Kräften zu unterstützen und jederzeit gesprächsbereit zu sein“. Zugleich fordert sie die Regierung aber auch auf, möglichst schnell die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Aktuell ist es gesetzlich verboten, über das Jahresende hinaus Atomstrom zu erzeugen. „Die

    8. Welche Stromquellen will Habeck noch anzapfen? Bei neuen und bestehenden Fotovoltaikanlagen sollen die Kappungsgrenzen fallen. Bislang gilt, dass viele Anlagen auf 70 Prozent ihrer theoretisch möglichen Leistung heruntergeregelt werden müssen. Netzbetreiber wollen damit verhindern, dass eine Vielzahl bei perfekten Bedingungen laufender privater Anlagen das Netz überlastet. Auch für die Erzeugung von Strom mit Biogas, etwa aus Gülle, soll es zusätzliche Anreize geben. Schneller vorantreiben will die Regierung den Ausbau der Stromnetzkapazitäten, vor allem von Nord nach Süd. An der Küste könnten zudem im Notfall schwimmende Öl- oder Gaskraftwerke zum Einsatz kommen. Um die geplanten Terminals zur Anlieferung von per Tankschiff geliefertem Flüssiggas an den Standorten Brunsbüttel, Wilhelmshaven und Lubmin schneller voranzubringen, soll es zudem Verfahrenserleichterungen geben.

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