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Energie: Kann Deutschland es sich leisten, die verbliebenen Atomkraftwerke im April abzuschalten?

Energie

Kann Deutschland es sich leisten, die verbliebenen Atomkraftwerke im April abzuschalten?

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    Dampf quillt aus dem Kühlturm des Kernkraftwerkes Isar 2.
    Dampf quillt aus dem Kühlturm des Kernkraftwerkes Isar 2. Foto: Jan Woitas, dpa

    Als Bundeskanzler Olaf Scholz im Oktober sein Machtwort sprach, dürfte ihm klar gewesen sein, dass die Debatte nur pausiert: Kann es sich Deutschland inmitten einer Energiekrise leisten, seine drei noch laufenden Atomkraftwerke abzuschalten? Zwar wurde die Abschaltung von Ende Dezember auf Ende April verschoben, doch schon jetzt macht mit der FDP eine Regierungspartei Druck, auch dieses Datum noch einmal infrage zu stellen. „Wenn eine Laufzeitverlängerung einen Beitrag dazu leisten kann, sollte man dies nicht vorschnell ablehnen, alleine schon aus Gründen des Klimaschutzes“, sagte der Verkehrsminister. Zugleich wächst die Sorge um die Gasversorgung, weil Teile des raren Energieträgers für die Stromerzeugung genutzt werden.

    In der SPD reagiert man gereizt. Es sei nun wirklich alles gesagt, lässt der Pressesprecher wissen. Auch die Grünen wehren ab. Das Thema sei erledigt. 

    Wissenschaftler Sascha Gentes spricht sich für längere AKW-Laufzeiten aus

    Unterstützung erhält der FDP-Vorstoß aus der Wissenschaft. „Niemand würde drei Energiequellen, die einen großen Anteil zur Grundlastversorgung liefern, an einem Tag zeitgleich abschalten. Noch dazu in der Jahreszeit, in der unser Energiebedarf am höchsten ist“, sagt Sascha Gentes, Experte für den Rückbau von Atomkraftwerken am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Die Kerntechnik habe sich zum Spielball der Politik entwickelt, doch die Lage habe sich geändert: Die Gasversorgung ist nicht gesichert, die Preise für Strom müssen vom Staat gedeckelt werden, andere Energiequellen werden nur langsam erschlossen. „Es ist daher absolut nicht nachvollziehbar, warum in dieser sich grundlegend geänderten Situation, in der die Energieversorgung massiv teurer wird, man nun trotzdem die letzten drei leistungsstarken und zuverlässig laufenden Kernkraftwerke abschalten möchte“, kritisiert Gentes. Der Ausbau fast jeder Energieform werde derzeit von Protesten begleitet, egal ob Windkraft, Pumpspeicherwerke oder Geothermie.

    Eine Gefahr für die Bürgerinnen und Bürger sieht der Experte im Falle einer erneuten Laufzeitverlängerung nicht. „Durch die Revisionen sind die Anlagen jederzeit gewartet“, sagt Gentes. „Die drei verbliebenen Kraftwerke leisten zuverlässig einen Teil zur Deckung der Grundlast unseres Stromnetzes.“

    Drei Atomkraftwerke liefern 6,7 Prozent des Stroms

    Nach Angaben des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme liegt der Atomstrom-Anteil im laufenden Jahr bei rund 6,7 Prozent (Stand: 19.12., 11 Uhr). Wind (24,3 Prozent), Sonne (11 Prozent über Netzeinspeisung), und weitere nachhaltige Energieträger wie Biomasse machen zusammen knapp die Hälfte (49,2 Prozent) aus. Mit Braun- und Steinkohle wurden bisher 33,4 Prozent erzeugt. Erdgas ist mit 9,6 Prozent am Strom aus der Steckdose beteiligt. Allerdings wird ausgerechnet in den kalten Wintermonaten weniger Strom aus Sonnenenergie gewonnen – man spricht von einer Dunkelflaute. Speziell in Bayern gibt es zudem ein Defizit beim Windkraftausbau.

    Auch in der Union will man das Thema keinesfalls ruhen lassen - auch wenn Parteichef Friedrich Merz die entsprechende Parole ausgegeben hatte. Es sei zu spät um das Thema noch einmal voranzutreiben, sagte er in dieser Woche. In Bayern sieht man das anders, und nicht nur dort. „Es bleibt dabei: Unser Land befindet sich in der größten Energiekrise seit vielen Jahrzehnten und muss jede Option nutzen“, sagt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder unserer Redaktion. „Deshalb braucht es auch einen befristeten Weiterbetrieb der Kernenergie für die Zeit der Krise – mindestens bis Ende 2024.“ Es reiche nicht, die Kernkraft nur bis zum April zu verlängern. „Die Ampel muss endlich bereit sein, die notwendigen Entscheidungen zum Wohl unseres Landes zu treffen“, sagt Söder. Es müssten jetzt dringend neue Brennstäbe bestellt werden. 

    Genau das könnte der Knackpunkt werden: Erst vor wenigen Tagen hatte PreussenElektra, Betreiber des AKW Isar 2, gemahnt, dass eine Entscheidung jetzt getroffen werden müsste. Bis April befinden sich die Kraftwerke nur in einem Streckbetrieb, der auch ohne neue Brennstäbe möglich ist. „Sollten die Grünen weiter ihre ideologischen Befindlichkeiten ausleben, muss der Kanzler erneut ein Machtwort sprechen – und zwar diesmal eines, das Planungssicherheit garantiert“, fordert der Ministerpräsident. „Es wäre ein schwerer Fehler, in diesen Zeiten eine bezahlbare und klimafreundliche Energiequelle wie die Kernkraft aufzugeben.“

    Energieversorgung wird auch im Winter 2023 kritisch bleiben

    So sieht es auch Andreas Jung, stellvertretender CDU-Bundesvorsitzenden und Sprecher der Unionsfraktion für Klimaschutz und Energie. Vor allem, weil mit dem Ende des Winters die Energiekrise längst nicht gelöst sein wird. „Die Experten warnen: Der nächste Winter könnte bei der Energieversorgung noch kritischer werden als dieser“, sagt Jung. „Deshalb gilt auch für kommendes Jahr der Satz von Robert Habeck: Jede Kilowattstunde zählt.“ Die Regierung selbst handle aus Sicht von Jung aber nicht danach. „Während CO2-intensive Kohle reaktiviert wurde und mindestens bis 2024 laufen soll, wird Kernenergie im Frühjahr 2023 abgestellt und Ökoenergie durch falsche Abschöpfung gedeckelt“, sagt er. „Damit werden mitten in der Krise wichtige Kapazitäten der Energiesicherheit aufs Spiel gesetzt - und der Klimaschutz wird beschädigt.“

    Unterdessen planen die Niederlande zwei neue Atomkraftwerke. Erwartet wird eine Fertigstellung der neuen Kraftwerke um 2035. Mit einer Kapazität von 1000 bis 1650 Megawatt sollen die Reaktoren neun bis 13 Prozent der niederländischen Stromproduktion liefern.

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