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Ein Jahr Koalition: Kommentar: Die Chemie stimmt nicht

Ein Jahr Koalition

Kommentar: Die Chemie stimmt nicht

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    Guido Westerwelle und Angela Merkel.
    Guido Westerwelle und Angela Merkel. Foto: DPA

    Horst Seehofer und Guido Westerwelle griffen strahlend nach einem Pils, Angela Merkel stieß mit einem Glas Weißwein auf das neue Bündnis an: Als die Vorsitzenden von CDU, CSU und FDP vor einem Jahr ihren Koalitionsvertrag unterschrieben, war die Stimmung noch prächtig. Selbstbewusst hieß es in der Präambel: "Wir wollen unserem Land eine neue Richtung geben." Seitdem allerdings kennen die Sympathiewerte der Regierungsparteien nur eine Richtung: nach unten.

    Aus der mutigen Koalition der Mitte, von der die Kanzlerin damals schwärmte, ist eine Koalition der vergebenen Möglichkeiten geworden. Nie zuvor hat eine Regierung so schnell so viel Kredit verspielt und innerhalb eines Jahres jeden vierten ihrer Wähler verprellt. Mit der verkorksten Gesundheitsreform, dem Ausstieg aus dem Atomausstieg oder den verschobenen Steuerentlastungen hat das allerdings nur partiell zu tun. Der dramatische Ansehensschwund ist vor allem das Resultat von taktischen und persönlichen Fehlern. Westerwelle und Seehofer haben sich viel zu lange viel zu wichtig genommen - und Angela Merkel hat sie viel zu lange gewähren lassen.

    Koalitionen sind fragile Konstrukte. Das Band, das sie zusammenhält, ist weder besonders dick noch besonders reißfest. Umso sorgfältiger müssen ihre Spitzenkräfte darauf achten, dass niemand zu heftig an ihm zerrt. Die rot-grüne Koalition, zum Beispiel, war nur deshalb so stabil, weil Gerhard Schröder und Joschka Fischer ihre latent zur Aufmüpfigkeit neigenden Parteien geschickt in Schach hielten. In der Großen Koalition wiederum ergänzten sich die pragmatische Unaufgeregtheit der Kanzlerin und die solide Verlässlichkeit eines Franz Müntefering und eines Frank-Walter Steinmeier so gut, dass viele Konservative sich schon wieder nach einer Neuauflage sehnen. Nur zwischen Union und FDP stimmt die Chemie noch immer nicht. Die beiden Wunschpartner sind sich fremder, als sie es sich selbst eingestehen wollen.

    Nicht nur die Liberalen, die so tief gestürzt sind, kämpfen manisch um Aufmerksamkeit und zetteln ohne Not eine mittelprächtige Koalitionskrise an, weil Westerwelle sich im Streit um den Stabilitätspakt von Angela Merkel übergangen fühlt. Auch Seehofer arbeitet auf eigene Rechnung, wenn er zum Entsetzen aller Koalitionäre plötzlich die Rente mit 67 infrage stellt - als könne die CSU sich so selbst aus dem Umfragesumpf ziehen.

    Der Herbst der Entscheidungen, den die Kanzlerin ausgerufen hat, ist auch ein Herbst der Missverständnisse, der verletzten Eitelkeiten und der kleinen Intrigen. Früher waren das sichere Anzeichen für das nahende Ende einer Koalition. Heute sind sie die Folge eines grandios vermasselten Anfangs.  

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