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Edathy-Affäre: Wie der Fall Edathy das Koalitionsklima vergiftet

Edathy-Affäre

Wie der Fall Edathy das Koalitionsklima vergiftet

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    Hat dieser Tage viele heikle Fragen zu beantworten: SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann gilt als angeschlagen.
    Hat dieser Tage viele heikle Fragen zu beantworten: SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann gilt als angeschlagen. Foto: Maurizio Gambarini, dpa

    Der Fall Sebastian Edathy bestimmt weiter das zurzeit raue, von Misstrauen geprägte Klima in der Koalition. In mehreren Interviews kritisierten Unionspolitiker den Umgang der SPD mit der Affäre. Unionsfraktionschef Volker Kauder ging dabei auch

    Nach der Information des damaligen CSU-Innenministers Hans-Peter Friedrich an Gabriel hätte eigentlich niemand mehr von dem Fall erfahren dürfen, sagte Kauder. Stattdessen seien mindestens drei weitere Personen informiert worden.

    Als herausgehobene Persönlichkeit müsse man es aber aushalten, mit solchen Informationen allein zu sein, stichelte Kauder gegen den SPD-Chef und nährte Spekulationen, wonach Edathy vielleicht doch von Parteifreunden über die Ermittlungen gewarnt worden sei. Auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber betonte, „die SPD muss am Vertrauensverhältnis in der Koalition arbeiten“.

    Oppermann ist angeschlagen

    An der SPD dürften derlei Attacken nicht spurlos vorbeigehen. In den Wochen vor der Edathy-Enthüllung inszenierten sich die Genossen selbstbewusst wie ein Gewinner der Koalitionsverhandlungen. In der knapp an der absoluten Mehrheit vorbeigeschrammten Union sahen viele mit Argwohn, dass die SPD Themen wie Mindestlohn, Strompreisbremsen oder Rente mit 63 diktierte.

    Doch jetzt, da es um die Umsetzung geht, haben sich die Gewichte verschoben: SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann ist nach seinen diversen Kehrtwenden in seinen Rechtfertigungen in der Affäre mehr als angeschlagen.

    Mögliches Verfahren gegen Friedrich

    CDU-Generalsekretär Tauber spottete in der Welt am Sonntag über Oppermann, dieser sehe sich zwar selbst „als Stabilitätsanker der Koalition“, sei jedoch „eher eine Boje, die auf dem Wasser wild hin- und herschaukelt“. Die Union, so kalkulieren Beobachter, dürfte nun die SPD-Prestigeprojekte im konkreten Gesetzgebungsverfahren im Bundestag mit zahlreichen Änderungsvorschlägen abschwächen und den Sozialdemokraten sicher geglaubte Erfolge streitig machen.

    Dennoch lastet die Affäre auch auf der Union: Gegen CSU-Minister Friedrich könnte noch diese Woche ein offizielles Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Verrat eines Dienstgeheimnisses eingeleitet werden. Zudem dringen vor allem die Grünen auf die Einleitung eines Untersuchungsausschusses, der die Klima vergiftende Affäre für alle drei Regierungsparteien noch lange am Köcheln halten könnte.

    Aufschwung für die Grünen

    Chronologie: Die Affäre Edathy

    2012: Die kanadische Polizei informiert das Bundeskriminalamt über deutsche Kunden eines kanadischen Online-Shops, der auch Kinderpornografie vertreibt. Im Oktober 2012 gibt das BKA die Daten zur Auswertung an die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt.

    Oktober 2013: BKA-Chef Jörg Ziercke informiert den Staatssekretär des damaligen Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU). Der sagt SPD-Chef Gabriel, dass im Rahmen von Ermittlungen im Ausland der Name Edathy aufgetaucht sei. Gabriel erzählt Fraktionschef Steinmeier davon.

    5. November 2013: Der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Jörg Fröhlich, erfährt in einem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Celle erstmals von dem Verdacht.

    Anfang Januar 2014: Edathy meldet seiner Fraktion seine Krankschreibung. Ende November 2013 hatte der innenpolitische SPD-Fraktionssprecher Michael Hartmann Oppermann bereits darüber informiert, dass Edathy gesundheitliche Probleme habe.

    22. Januar 2014: Edathys Anwalt sucht das Gespräch mit Oberstaatsanwalt Thomas Klinge. Dabei wiederholt er, was sein Mandant gerüchteweise gehört habe. "Die Filme seien allerdings nicht pornografisch gewesen, Herr Edathy besitze sie auch nicht mehr", sagt der Anwalt nach Darstellung Jörg Fröhlichs.

    28. Januar 2014: Die Staatsanwaltschaft entscheidet, Ermittlungen einzuleiten, die zunächst verdeckt laufen.

    7. Februar 2014: Edathy legt nach 15 Jahren sein Bundestagsmandat nieder. Als Motiv nennt er gesundheitliche Gründe.

    10. Februar 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover lässt Edathys Wohnungen im niedersächsischen Rehburg und in Berlin sowie Büros durchsuchen. Offenbar stoßen sie dabei nur auf wenig Material.

    11. Februar 2014: Edathy weist in einer Erklärung den Verdacht auf Besitz von Kinderpornografie zurück. Einen Tag später erhebt er Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft: Die Razzien in seinen Wohnungen und Büros seien unverhältnismäßig und widersprächen rechtsstaatlichen Grundsätzen.

    13. Februar 2014: SPD-Fraktionschef Oppermann gibt bekannt, dass Sigmar Gabriel bereits im Oktober vom damaligen Innenminister Friedrich über mögliche Ermittlungen gegen Edathy informiert worden sei.

    14. Februar 2014: Der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Fröhlich, gibt Einzelheiten zu den Ermittlungen bekannt. Danach geht es um den Kauf von Bildern mit nackten Jungen zwischen neun und 13 Jahren. Das liege im Grenzbereich zur Kinderpornografie, so Fröhlich. Zu dem Tipp von Friedrich an Gabriel sagt er: "Wir sind fassungslos."

    14. Februar 2014: Friedrich erklärt, er wolle im Amt bleiben, bis über ein Ermittlungsverfahren entschieden ist. Nur wenige Stunden später tritt er als Agrarminister zurück.

    18. Februar 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover leitet ein Verfahren gegen unbekannt wegen des Verdachts auf Geheimnisverrats ein. Ein Behörden-Brief kam unverschlossen sechs Tage nach Versand an. Er sollte den Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) über den Fall Edathy informieren. Es ist bekannt, dass sich ein Anwalt Edathys schon im November nach möglichen Ermittlungen erkundigt hat.

    24. Februar 2014: Gegen Edathy wird ein SPD-Parteiordnungsverfahren eingeleitet.

    2. Mai 2014: Es wird vom Landeskriminalamt Niedersachsen berichtet, dass sich Edathy strafbares kinderpornografisches Material über seinen Bundestag-Laptop beschafft habe. Die Staatsanwaltschaft schweigt.

    17. Juli 2014: Die Staatsanwaltschaft Hannover klagt den früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy wegen des Besitzes von kinderpornografischen Fotos und Videos an.

    29. August 2014: Edathy scheitert mit seiner Beschwerde wegen der Durchsuchung seiner Wohnung und seines Abgeordnetenbüros beim Bundesverfassungsgericht.

    18. November 2014: Das Gericht lässt die Anklage gegen Edathy zur Hauptverhandlung zu.

    23. Februar 2015: Am Landgericht Verden startet der Prozess gegen Edathy. Er endet nach nur rund 90 Minuten. Staatsanwaltschaft und Verteidigung wollen bis zur nächsten Sitzung erneut über eine Einstellung sprechen.

    2. März 2015: Das Gericht stellt das Verfahren ein. Zuvor hat Edathy eine Erklärung verlesen lassen, in der er die Anklagevorwürfe einräumt. Zwar muss er 5000 Euro zahlen, aber er ist nicht vorbestraft.

    1. Juni 2015: Edathy muss seine SPD-Mitgliedschaft drei Jahre ruhen lassen. Das entscheidet das Schiedsgericht des SPD-Bezirks Hannover. Für einen von der Parteispitze beantragten Parteiausschluss sieht das Gremium keine ausreichende Grundlage.

    Momentan haben die Grünen dabei sogar die Mehrheit der Deutschen hinter sich. Laut einer Emnid-Umfrage im Auftrag des Focus wollen 56 Prozent der Bundesbürger, dass die Edathy-Affäre mit ihren vielen Ungereimtheiten von einem Untersuchungsausschuss aufgeklärt wird. Überraschenderweise ist der Wunsch bei den SPD-Anhängern mit 65 Prozent am größten, knapp vor den Unions-Wählern.

    Doch noch ist sich die Opposition nicht einig, wie sie mit der Affäre umgehen soll. Die Grünen lehnen den Vorschlag der Linken ab, zur Aufklärung einen parlamentarischen Sonderermittler einzusetzen. „Das klingt zwar cool, bringt aber nichts“, sagte der Fraktionsvize der Grünen, Konstantin von Notz, dem Tagesspiegel. Er sehe auch nicht, dass Union und SPD dazu bereit seien, sagte Notz. Kommende Woche wollen die Grünen einen umfangreichen Fragenkatalog an die Bundesregierung senden.

    Edathy wegen Morddrohungen im Ausland

    Auch Edathy, der augenscheinlich im Ausland weilt, meldete sich am Wochenende zu Wort: Dem Spiegel sagte der Ex-SPD-Abgeordnete, er habe Morddrohungen erhalten und wolle deshalb nicht nach Deutschland zurückkehren. Die Drohungen gegen ihn seien telefonisch erfolgt. Er könne daher weder nach Niedersachsen noch nach Berlin zurückkommen.

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