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Drei Jahre Corona: Wie Deutschland noch immer mit den Folgen der Coronakrise kämpft

Drei Jahre Corona

Wie Deutschland noch immer mit den Folgen der Coronakrise kämpft

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    Die Masken gehen, die Folgen bleiben: Corona hat Deutschland verändert.
    Die Masken gehen, die Folgen bleiben: Corona hat Deutschland verändert. Foto: dpa / Frank Rumpenhorst / Frank Rumpenhorst

    Im Fasching vor drei Jahren beginnt an der Münchner Uniklinik für Virologin Ulrike Protzer die härteste Zeit ihrer Medizinerlaufbahn. „Wir haben diese Welle auf uns zurollen sehen“, erzählt die Ärztin und Professorin. „Alle waren beim Skifahren in Österreich und in Norditalien, da ging das Ganze wirklich hoch.“ Die Forscherin sah erstmals in der eigenen Klinik, was das Virus aus dem fernen China in der Praxis anrichtet. „Ich erinnere mich an einen frühen Samstag, wo wirklich ein Patient nach dem anderen kam und innerhalb von zwei Stunden auf der Intensivstation lag.“

    Es war der Beginn einer Krise, deren Folgen Deutschland und die Welt heute noch beschäftigen. Auch politisch: Waren die Maßnahmen mit Lockdowns, Ausgangssperren, Schulschließungen aus damaliger Sicht wirklich vertretbar? Auch wenn man aus heutiger Sicht in der Rückschau vieles besser weiß – Virologin Protzer, die damals sowohl den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder als auch die damalige Bundesregierung beriet, hat auch jetzt noch Verständnis für das harte Vorgehen der Politik.

    Expertin Ulrike Protzer: "Das Problem war viel zu groß für einen Virologen"

    Für die Mediziner sei es im Fasching 2020 keine Frage gewesen, dass schnelle Entscheidungen her mussten: „Uns war klar: Das kann nicht so weitergehen, das können wir nicht mehr managen“, sagt Protzer. „Dankenswerterweise haben dann Politiker auch Entscheidungen gefällt, denn die müssen auch die Verantwortung dafür tragen. Wir als Wissenschaftler können immer schön reden, aber wir tragen ja im Endeffekt nicht die Verantwortung.“

    Allerdings habe sich schnell gezeigt, dass für die Wissenschaft als Berater der Politik das Wichtigste in der Pandemie die fachübergreifende Zusammenarbeit quer über alle Forschungsbereiche wurde: „Das war ein Problem, was viel zu groß war für einen Virologen, um das zu erkennen und auch beherrschen zu können“, sagt Protzer. „Deswegen war diese Interdisziplinarität extrem wichtig und hat mir dann auch in meiner Informationsfunktion als Wissenschaftler und in meiner Beratungsfunktion enorm weitergeholfen.“

    Diese Erkenntnis ist auch für den Präsidenten der Bayerischen Akademie der Wissenschaft, Markus Schwaiger, eine zentrale Lehre aus der Pandemie. Deshalb lud er zusammen mit dem Bayerischen Rundfunk zahlreiche namhafte Forscherinnen und Forscher aus den unterschiedlichsten Bereichen in die Münchner Residenz ein, um Bilanz aus drei Jahren Corona zu ziehen. So sieht etwa der Staatsrechtler Oliver Lepsius den Umgang Deutschlands mit der Pandemie damals wie heute kritisch.

    Rechtsforscher Lepsius: Politik und Bürger haben ein Freiheitsproblem

    In der Frage, den Gesundheitsschutz über alles andere, selbst auf Kosten grundlegender Freiheitsrechte, zu stellen, habe es Deutschland übertrieben, betont der Rechtswissenschaftler. „Wir haben sicherlich ein Freiheitsproblem in unserer Politik, aber auch in unserer Gesellschaft“, sagt Lepsius. „Denn die meisten in der Bevölkerung haben ja durchaus auch immer scharfe Maßnahmen mitgetragen und die Politiker haben tendenziell die besten Popularitätswerte bekommen, die den schärfsten Kurs vorgetragen haben“, erinnert er. „Es ist also nicht nur ein Problem der Politik, ist auch ein Problem der Bürgerschaft in diesem Land, dass sie vielleicht ihre eigenen Freiheiten nicht hinreichend wertschätzt.“

    Dies gelte nicht nur für von Gerichten später gerügte Ausgangsbeschränkungen, sondern vor allem für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen, betont der Jurist. Deutschland habe wie kein anderes Land Schulen geschlossen, aber gleichzeitig im Winter 2020 den Schutz der alten Menschen vernachlässigt, was zu den höchsten Todeszahlen der Pandemie geführt habe. „Ich schließe doch nicht eine soziale Welt von Teenagern, wenn ich Über-80-Jährige retten will“, sagt er. Dies sei auch ein Föderalismus-Problem: „Wenn Sie ein Corona-Kabinett in Berlin machen, dann kann da kein Schulminister sitzen, dann kann da auch kein Kulturminister sitzen.“

    Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch sieht auch andere politische Gründe: „Wir hatten eine Große Koalition mit Parteien, die vor allem im Sicherheitsdenken verhaftet sind“, sagt die Professorin. „Auch das war jetzt etwas, was natürlich diesen Vorrang der Sicherheit begünstigt hat und den Nachgang der Freiheit.“ Doch auch in der öffentlichen Debatte habe sich damals auch CDU-Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble mit seiner These nicht durchsetzen können, dem Schutz von Leben in der Corona-Krise könne nicht alles untergeordnet werden.

    Soziale und ökonomische Folgen: Corona wirkt als Ungleichheitsverstärker

    So oder so leidet die Gesellschaft in vielen Teilen bis heute unter sozialen und ökonomischen Folgen der Pandemie als einer ganz eigenen Art von Long Covid. Sozialverbände mahnen, dass sich Corona als Ungleichheitsverstärker erwiesen habe, bei dem vor allem sozialschwache Familien sowie Behinderte und Menschen in Seniorenheimen die größten Verlierer seien und bis heute als letzte unter strengen Corona-Maßnahmen litten. Kliniken in der Kinder- und Jugendpsychiatrie klagen vor allem wegen der Folgen der Schulschließungen über Überlastung.

    Auch der Wirtschaftsforscher und Chef des Münchner ifo-Instituts, Clemens Fuest, ist besorgt, dass durch Corona die Kluft zwischen Reichen und Ärmeren zunimmt. Das gelte selbst für Länder, da sich Industrienationen leichter täten, den Fortschritt der Digitalisierung zu nutzen. Vor allem zeigen sich laut Fuest negative Folgen der Schulschließungen für Kinder aus sozial schwächeren Familien: „Sie gehen nicht stärker aus dieser Krise hervor, sondern schwächer, weil die Schule ausgefallen ist, weil die

    Für Europa liefert die Pandemie aber für Fuest auch positive Lehren: So zeige die erfolgreiche Impfstoffbeschaffung, dass die intelligenteste Vertretung nationaler Interessen meist doch die internationale Zusammenarbeit sei. Dies bestätigt auch der scheidende Chef des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler. Längst stünde auf der Welt genug Impfstoff zur Verfügung, doch es gebe in vielen Ländern Akzeptanzprobleme, die oft kulturell geprägt seien. „Es ist leider immer noch nicht gelungen, viele Menschen zu impfen, weil sie die Impfungen nicht annehmen“, berichtet Wieler aus seiner internationalen Arbeit. „In China sind viele Menschen auch deshalb nicht geimpft, weil die traditionelle chinesische Medizin bei vielen dort einen höheren Stellenwert hat als zum Beispiel eine Impfung.“

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