Die Situation war für den Gast ungewohnt, aber Narendra Modi schien bestens darauf vorbereitet. Zehn Minuten lang hatte der indische Premierminister an der Seite des amerikanischen Präsidenten Joe Biden im prunkvollen East Room des Weißen Hauses über das "neue Kapitel" der globalen und strategischen Partnerschaft der "zwei größten Demokratien der Welt" geschwärmt, als das Mikrofon im Saal an eine Reporterin gereicht wurde.
Journalistenfragen beantwortet der Hindu-Nationalist in seiner Heimat grundsätzlich nicht, und auf der Rangliste der Pressefreiheit von "Reporter ohne Grenzen" nimmt Indien den beschämenden 161. von 180 Plätzen ein. Auch die Pressekonferenz anlässlich des Staatsbesuches in Washington war erst kurzfristig angesetzt worden. Zwei Fragen immerhin hatte die US-Regierung dem Besucher offenbar abpressen können.
Auf die einzige kritische Frage reagiert Narendra Modi betont überrascht
Wie er angesichts der zunehmenden Diskriminierung von Minderheiten in Indien deren Rechte schützen werde, wollte die Korrespondentin des Wall Street Journal wissen. Der Mann im knielangen Achkan unter einer hellblauen Weste nahm ruhig den Übersetzungsknopf aus seinem rechten Ohr und gab sich dann verblüfft: "Ich muss sagen, dass mich die Frage überrascht", behauptete er: "Indien ist eine Demokratie. Die Demokratie liegt in unserer DNA. Demokratie läuft durch unsere Adern. Da gibt es absolut keinen Platz für Diskriminierung."
Damit war das Thema für den Mann, dem 2005 wegen der muslimfeindlichen Pogrome in seiner Provinz noch die Einreise in die USA verwehrt worden war, abgehandelt. Und auch Joe Biden beließ es bei einigen eher allgemeinen Hinweisen auf die "universellen Menschenrechte", die "Würde jedes Bürgers" und die Diversität, die "Demokratien stark macht".
Der Besuch von Modi stand ganz eindeutig nicht unter dem Motto des Wettstreits der Demokratien mit den Autokratien, den der US-Präsident einst in seiner Antrittsrede beschworen hatte. Vielmehr wurde die Begegnung geprägt von der Bedrohung durch China, dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine und den boomenden Handelsbeziehungen Washingtons mit dem bevölkerungsreichsten Land der Erde. Die Biden-Regierung braucht dringend Partner im Indopazifik, ein starkes Gegengewicht zu China und Unterstützung bei dem Bemühen, Moskau unter Druck zu setzen.
So umgarnte sie den Gast mit einem Empfang voller Prunk und Pomp. 21 Salutschüsse wurden zur Begrüßung Modis auf dem Süd-Rasen des Weißen Hauses abgefeuert, wo hunderte indischstämmige Gäste dem Regierungschef zujubelten. Überall indische und amerikanische Fähnchen.
Nachmittags durfte der Inder nach seinem Auftritt 2016 bereits zum zweiten Mal vor dem Kongress reden – eine Ehre, die bisher nur wenigen Staatsoberhäuptern zuteil wurde. Am Abend stand ein Staatsbankett auf dem Programm, das zu Ehren des Gastes von einer aus Kalifornien eingeflogenen vegetarischen Spitzenköchin zubereitet wurde. Die Pavillons waren in den indischen Landesfarben Grün und Safran dekoriert.
Joe Biden braucht Indien, um ein Gegengewicht zu China zu schaffen
"Unsere Partnerschaft ist stärker, enger und dynamischer denn je", hatte Biden schon nach dem Gespräch im Oval Office gesagt. So sehr betonte er die Bedeutung der US-indischen Beziehungen, dass man fast vergessen konnte, dass Neu-Delhi im Ukraine-Krieg keineswegs an der Seite des Westens steht, sondern seine Unabhängigkeit betont, Militärgüter von Russland bezieht und dort kräftig Öl einkauft. Mehr als einen vagen Appell an "Dialog und Diplomatie" mochte Modi denn auch zum Ukraine-Krieg nicht abgeben.
Doch Indien ist die fünftgrößte Volkswirtschaft, es hat eine junge Bevölkerung und wächst ökonomisch schneller als irgendein anderer G20-Staat. "Wenn Indien wächst, wächst die ganze Welt", sagte Modi. Im Umfeld des Staatsbesuches wurden der Verkauf von 31 bewaffneten US-Drohnen, amerikanische Investitionen in eine Halbleiterproduktion in Indien, neue Kooperationen in der Raumfahrt und die gemeinsame Triebwerksproduktion des US-Konzerns General Electric mit einem indischen Unternehmen vereinbart. Biden sagte, indische Firmen hätten Investitionen von zwei Milliarden Dollar in den USA angekündigt. Das ist kein Pappenstiel.
Vor allem aber hofft Washington, Indien als Akteur im Indopazifik stärker an sich binden zu können und damit ein Gegengewicht zu China zu schaffen. "Die Stabilität der Region ist ein zentrales Anliegen unserer Partnerschaft geworden", sagte Modi.
Die kleine Gruppe von Sikhs mit orangefarbenen Turbanen, die vor dem Gitter des Weißen Hauses für ihre Rechte demonstrierten, dürften die meisten Teilnehmer kaum gesehen haben.