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Meinungsfreiheit vs. Zensur: Sind Trusted Flagger die Lösung?

Hass im Netz

Wo endet im Internet die Meinungsfreiheit – und wo beginnt Zensur?

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    Blanker Hass: Wem sich beim Lesen bestimmter Postings im Netz innerlich alles zusammenzieht, sollte Konsequenzen ziehen und Anzeige erstatten.
    Blanker Hass: Wem sich beim Lesen bestimmter Postings im Netz innerlich alles zusammenzieht, sollte Konsequenzen ziehen und Anzeige erstatten. Foto: Lukas Schulze, dpa

    Dem Grundgesetz genügt ein Satz, um den Wesenskern eines demokratischen Gemeinwesens zu beschreiben: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten.“ Die geplanten Meldestellen, die Hass und Hetze im Internet aufdecken sollen, stehen nun allerdings im Verdacht, es mit der Meinungsfreiheit nicht genau genug zu nehmen. Wie aber arbeiten die „Trusted Flaggers“ und warum stehen sie in der Kritik?  Ein Überblick: 

    Was sind „Trusted Flaggers“ ?

    Übersetzt würde man sie als „vertrauenswürdige Hinweisgeber“ bezeichnen – Organisationen, die problematische Inhalte im Internet prüfen und im Falle eines Falles den Plattformen Facebook, X, Youtube, Instagram, Telegram oder Tiktok melden. Deren Betreiber müssen diese Meldungen bevorzugt behandeln und Beiträge, wo sie es für nötig erachten, auch löschen. Andernfalls drohen ihnen hohe Strafen, die im Extremfall in die Milliarden gehen können. In Deutschland gibt es seit Anfang Oktober den ersten zertifizierten „Trusted Flagger“, die Meldestelle „Respect!“ der Stiftung zur Förderung der Jugend in Baden-Württemberg, die vom Bundesfamilienministerium und der bayerischen Staatsregierung mit finanziert wird. Täglich erreichen die fünf festen Mitarbeiter und die zwölf Honorarkräfte dort nach eigenen Angaben rund 85 Meldungen über kritische Inhalte – häufig von Menschen, die selbst von Hass im Netz betroffen sind. In einer ähnlichen „Mission“ arbeitet „Respect!“ auch mit dem Bundeskriminalamt zusammen. Im laufenden Jahr gingen bei der Meldestelle nach eigenen Angaben bis Ende September 23.431 Meldungen ein. Davon habe das juristische Team 9251 als strafrechtlich relevant eingestuft. Von ihnen entfielen danach 90 Prozent auf Delikte wie das Posten von Hakenkreuzen oder des Hamas-Logos, auf das Leugnen des Holocaust oder die Aufforderung, Menschen zu töten, die einer bestimmten Gruppe angehören, etwa Juden. Im Umkehrschluss heiß das aber auch: Weit über die Hälfte der gemeldeten Beiträge waren durch die Meinungsfreiheit gedeckt.   

    Auf welcher Rechtsgrundlage arbeiten solche Meldestellen?

    Mit den „Trusted Flaggers“ setzt die Bundesregierung eine Vorschrift aus dem so genannten Digital Services Act der Europäischen Union um. Er verspricht den Bürgern der EU unter anderem eine strengere Aufsicht über die großen Internet-Plattformen. In Deutschland ist für die Zulassung der „Trusted Flagger“ die Bundesnetzagentur zuständig, deren Präsident Klaus Müller (Grüne) betont, illegale Inhalte, illegaler Hass und illegale Fake News könnten nun sehr schnell und ohne bürokratische Hürde entfernt werden. „Das hilft, das Internet sicherer zu machen.“ In einer ersten Version seiner Pressemitteilung hatte Müller allerdings auf das Adjektiv „illegal“ verzichtet, was ihm prompt den Vorwurf einbrachte, er wolle Hass und Hetze generell verfolgen – jemanden zu hassen aber ist nicht per se strafbar. Ob ein Beitrag gelöscht wird, entscheidet allerdings nicht die Meldestelle, sondern der Betreiber der Plattform. Der Fokus der Meldestelle liegt nach Müllers Worten auf der Identifizierung von Hassrede, Terrorpropaganda und anderen gewalttätigen Inhalten in Deutsch, Englisch und Arabisch.

    Untergraben die „Trusted Flagger“ die Meinungsfreiheit?

    Petra Densborn, die Vorstandsvorsitzende der Jugendstiftung Baden-Württemberg, bestreitet das. „Wir sind nicht dafür da, Zensur zu betreiben“, sagt sie. „Unser Auftrag ist es, die Demokratie zu stärken.“ Verfassungsjuristen wie der Augsburger Staatsrechtsprofessor Josef Franz Lindner beurteilen das Modell der „Trusted Flagger“ allerdings äußerst kritisch. Ausweislich eines Leitfadens der Bundesnetzagentur sollen die Meldestellen auch Meinungen melden, die eine „negative Wirkung auf den zivilen Diskurs“ haben. „Darunter kann man jede missliebige Äußerung fassen“, betont Lindner. „Das ist krass rechtswidrig und der Einstieg in ein staatliches Zensursystem.“ Ähnlich argumentiert sein Kollege Volker Boehme-Nessler von der Universität Oldenburg: „Hass ist eine Emotion, die in jedem Menschen steckt, das ist nicht schön, aber nicht strafbar.“ Deshalb sei auch die Hassrede von der Meinungsfreiheit gedeckt, solange sie nicht zur Volksverhetzung oder Beleidigung werde. Die Einrichtung von Meldestellen hält er für eine „Aufforderung zur Denunziation“.

    Warum delegiert der Staat eine derart sensible Arbeit an Dritte?

    Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, Straftaten wie Volksverhetzung, das Leugnen des Holocaust oder Beleidigungen müssen auch dort verfolgt und geahndet werden. Das aber, warnt Rechtsprofessor Lindner, „ist im deutschen Rechtsstaat bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten monopolisiert.“ Das gelte für Offline- wie für Online-Delikte. „Eine Auslagerung dieser Aufgaben auf private Nichtregierungsorganisationen halte ich für rechtlich nicht möglich.“ Klaus Müller dagegen, der Präsident der Bundesnetzagentur, beruft sich auf die Zuständigkeit seiner Behörde für Märkte, die besonderen Regeln unterlägen – und da gehörten die digitalen Plattformen dazu. Lindner allerdings bezweifelt, dass die wenigen Mitarbeiter der von Müller beauftragten Meldestellen abgesehen von unstrittigen Fällen in der Lage sind, jeden Einzelfall juristisch sauber zu beurteilen. Genau das aber verlangt das Bundesverfassungsgericht. Eine Bemerkung wie „Soldaten sind Mörder“ kann je nach Kontext beleidigend sein oder eben auch nicht. „Wenn Sie im Zug einem Soldaten gegenübersitzen und das zu ihm sagen“, sagt Lindner, „dann ist das eine Beleidigung“: Wer aber ganz allgemein argumentiere, Kriege seien schrecklich und in diesem pauschalen Zusammenhang alle Soldaten zu Mördern erkläre, beleidige niemanden. Selbst für einen geschulten Strafrechtler sei diese Differenzierung schon schwierig, findet Lindner. Sie einer weit weniger qualifizierten Meldestelle zu überlassen, halte er für „äußerst problematisch“.

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    1 Kommentar
    Wolfgang Boeldt

    Respect! kenne ich aus eigener Erfahrung. Der zentrale Punkt der Antwort auf einem von mir gemeldeten Beitrag war: "Nach Prüfung des Inhalts des von Ihnen gemeldeten Beitrags sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser den Tatbestand der Beleidigung nach § 185 StGB und Verleumdung nach § 187 StGB erfüllen kann." Ich halte mir die Option der "Justizkeule" noch offen.

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