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Koalition geplatzt: Diese Regierungen sind in Deutschland vorzeitig gescheitert

Zeitgeschichte

Vorzeitig gescheitert: Welche Regierungen es nicht bis zum Ende geschafft haben 

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    Abschied vom Amt: Der gestürzte Bundeskanzler Helmut Schmidt gratuliert seinem Nachfolger Helmut Kohl zu seiner Wahl.
    Abschied vom Amt: Der gestürzte Bundeskanzler Helmut Schmidt gratuliert seinem Nachfolger Helmut Kohl zu seiner Wahl. Foto:  Jörg Schmitt/Archiv (dpa)

    Stabile Verhältnisse - das war über Jahrzehnte ein Markenzeichen der deutschen Politik. Mochten Regierungen in Italien oder Israel im Halbjahrestakt platzen, mochten sie wie in Großbritannien erst den Brexit propagieren, um dann an ihm zu zerbrechen, oder wie in Belgien weit über ein Jahr benötigen, um überhaupt ihre Arbeit aufzunehmen: In Deutschland wechselten die Koalitionen, wenn überhaupt, mit den Wahlterminen. Nur viermal in der Geschichte der Bundesrepublik ging eine Regierung vorzeitig zu Bruch - und das eine oder andere Problem von damals erinnert durchaus an die Probleme der Ampelkoalition heute. Ein Rückblick:

    1966: Der Vater des Wirtschaftswunders scheitert

    In die Wahl 1965 geht die Union zum ersten Mal mit Ludwig Erhard als Spitzenkandidat, der zwei Jahre zuvor Konrad Adenauer als Bundeskanzler abgelöst hat. Der Vater des Wirtschaftswunders setzt die Koalition mit der FDP fort, die 1966 allerdings nach einem Konjunktureinbruch platzt. Wie bei der Ampel heute eskaliert auch damals der Streit um den Haushalt. Erhard plant Steuererhöhungen, die FDP lehnt sie ab. Am 27. Oktober 1966 legen alle vier Minister der Liberalen ihr Amt nieder. Erhard regiert zunächst mit einer Minderheitsregierung weiter, die aber nur sechs Tage hält. Anschließend einigen sich Union und SPD auf eine Große Koalition. Beide Seiten haben große Bedenken - die SPD nicht zuletzt wegen der NS-Vergangenheit des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kurt Georg Kiesinger, der neuer Kanzler wird. Willy Brandt, der vor den Nazis ins Ausland flüchten musste, wird unter ihm Vizekanzler und Außenminister, Franz Josef Strauß Finanzminister. Parallel dazu erwacht die außerparlamentarische Opposition, die sich gegen die Notstandsgesetze, die fehlende Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit und den Vietnam-Krieg wendet. Nach der Bundestagswahl 1969 bleibt die Union zwar die stärkste Fraktion, SPD-Chef Brandt jedoch bildet an ihr vorbei mit der FDP die erste sozialliberale Bundesregierung.. .

    1972: Die erste vorgezogene Neuwahl

    Die knappe Mehrheit der Regierungskoalition aus SPD und FDP schmilzt aufgrund des Wechsels von Abgeordneten beider Regierungsfraktionen zur Opposition noch weiter zusammen. Bei der Abstimmung über den Etat des Bundeskanzleramtes am 28. April 1972 kommt es schließlich zur Stimmengleichheit. Am 20. September 1972 stellt Brandt im Bundestag dann die Vertrauensfrage. Mit einer einkalkulierten Niederlage macht er den Weg frei für Neuwahlen. Die SPD gewinnt dabei drei Millionen Stimmen hinzu und wird mit 45,8 Prozent erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik stärkste Fraktion vor der Union mit 44,9 Prozent. Die FDP hat sich vor der Wahl klar zur SPD bekannt und kommt auf 8,4 Prozent. Am 14. Dezember 1972 wählt der Bundestag zum zweiten Mal Willy Brandt zum Bundeskanzler.

    1982: Die FDP erzwingt die Wende

    Bei den Wahlen 1980 wird die Koalition aus SPD und FDP unter Bundeskanzler Helmut Schmidt, der Brandt 1974 abgelöst hat, bestätigt. Wie einst unter Ludwig Erhardt macht allerdings auch ihr die schwierige Wirtschaftslage zu schaffen. Dazu kommt der Nato-Doppelbeschluss, der die Stationierung weiterer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland vorsieht. Während sich der Kanzler und die FDP zur Nato und ihrer Politik bekennen, lehnen weite Teile der SPD die Nachrüstung entschieden ab - auch aus Sorge, noch mehr Anhänger an die erstarkende Friedensbewegung und die gerade erst gegründeten Grünen zu verlieren. In diese Situation platzt Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff wie Christian Lindner heute mit einem Papier voller Vorschläge zur Überwindung der Wirtschaftskrise, das stark vom bisherigen Regierungskurs abweicht und große Gemeinsamkeiten mit den Positionen von CDU und CSU aufweist. Am 17. September 1982 kündigt Schmidt die sozial-liberale Koalition auf. Noch am selben Tag stimmt die Mehrheit der FDP-Fraktion für die von Parteichef Hans-Dietrich Genscher ausgerufene „Wende“ und eine Koalition mit der Union. Schmidt wird am 1. Oktober 1982 durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt und Helmut Kohl Kanzler einer schwarz-gelben Koalition, die wenig später durch eine vorgezogene Bundestagswahl auch vom Wähler bestätigt wird.

    2005: Schröder riskiert alles - und verliert

    Als dritter Sozialdemokrat nach Schmidt und Brandt wird Gerhard Schröder, bis dahin Ministerpräsident in Niedersachsen, 1998 Bundeskanzler. Vier Jahre später rettet sich seine rot-grüne Koalition noch einmal knapp ins Ziel, gerät aber bald in schwere See. Der Streit um Schröders Sozialreformen trifft vor allem die SPD. Obwohl im Rückblick segensreich für das Land zerstören die Hartz-Gesetze das gute Verhältnis der Genossen zu den Gewerkschaften, stärken die sich aus der alten PDS neu formierende Linke und führen in der SPD sogar zu einem Mitgliederbegehren gegen Schröders Kurs, das jedoch scheitert. Seit dem Antritt von Rot-Grün hat der „Bundestrend“, wie der abgewählte nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück es später nennen wird, die SPD serienweise aus den Landesregierungen gespült. Aus fünf Ministerpräsidenten der Union sind deren zwölf geworden, weil die SPD im Mai 2005 nach fast 40 Jahren auch noch ihr Stammland Nordrhein-Westfalen verliert. Noch am selben Abend kündigt Parteichef Franz Müntefering vorgezogene Neuwahlen an: „Es ist Zeit, dass die Verhältnisse in Deutschland geklärt werden.“ Durch den Triumph an Rhein und Ruhr ist die Dominanz der Union im Bundesrat noch größer geworden, die Regierung noch stärker von deren Kooperationsbereitschaft abhängig. Schröder und Müntefering setzen daher alles auf eine Karte, allerdings ohne Erfolg. Schröder selbst will das an einem denkwürdig gewordenen Wahlabend zwar noch nicht wahrhaben, wenig später aber ist Angela Merkel Kanzlerin - und bleibt es wie Kohl 16 Jahre.

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