Trotz sinkender Umfragewerte für seine Partei und die Regierung insgesamt war für Olaf Scholz klar: Diese Regierung werde mit ihm als Kanzler „nach Hause gehen“. Heißen sollte das, dass die Deutschen trotz aller Kritik am Ende merken werden, dass er irgendwie doch alles richtig gemacht hat. Über mehrere Monate hatte der Kanzler dieses Mantra vor sich hergetragen, die an sich schon brüchige Erzählung hielt bis zum 6. November: Dann entließ Scholz Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner, die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP war am Ende. Dem Land beschert das seither aufgeregte Debatten – und Neuwahlen. Diese sollen am 23. Februar stattfinden und bis dahin wird es angesichts eines ebenso kurzen wie heftigen Wahlkampfs spannend bleiben.
Immerhin: Die demokratischen Parteien haben versprochen, dass es zumindest über Neujahr ruhig bleiben soll. Die Chancen stehen gut, denn die vergangenen Wochen haben den Abgeordneten und dem politischen Spitzenpersonal eine Menge abverlangt. „Wir wollen jetzt mal ein paar Tage ausruhen und länger als nur vier Stunden schlafen“, sagt ein hochrangiger Christdemokrat und spricht damit sicherlich vielen im politischen Berlin aus der Seele.
Bundespräsident verkündet am 27. Dezember seine Entscheidung
Die versprochene Ruhe wird absehbar nur vom Bundespräsidenten unterbrochen. Frank-Walter Steinmeier will an diesem Freitag die Entscheidung über die Auflösung des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes treffen. Kanzler Scholz hatte mit seiner planmäßig verlorenen Vertrauensfrage am 16. Dezember den Weg dafür freigemacht. Steinmeier prüft noch, aber alles andere als eine Vollzugsmeldung über die Auflösung des Parlaments wäre eine faustdicke Überraschung. Denn das Staatsoberhaupt führte bereits Gespräche mit den Vorsitzenden der Fraktionen und Gruppen im Deutschen Bundestag, „um mich zu vergewissern, dass es keine Aussichten auf eine stabile parlamentarische Mehrheit für eine Bundesregierung mehr gibt.“
Mit Spannung erwarten Beobachter danach die Neujahrsansprache des Bundeskanzlers. Wird Olaf Scholz das eigentlich eher staatstragende Format nutzen, um Wahlkampf zu machen? Oder ist er sich seiner Rolle bewusst und hält sich bei diesem traditionsreichen und auf allen Kanälen zu verfolgenden Anlass zurück? Die Rede des Kanzlers am Tag der Vertrauensfrage nährt zumindest Zweifel. „Politik ist kein Spiel ... In eine Regierung einzutreten, dafür braucht es die nötige sittliche Reife“, mit dieser Bemerkung löste der SPD-Politiker nicht nur ein Raunen im Plenarsaal aus. Auch drumherum schüttelten viele die Köpfe. Ein Abschied von drei Jahren Ampel war erwartet worden, stattdessen erlebte das Publikum eine bittere, wohl auch verbitterte Abrechnung.
Von der Qualität der Scholz’schen Neujahrsansprache wird es abhängen, wie das neue politische Jahr startet. Sollte der SPD-Spitzenkandidat seine Rede zu sehr zuspitzen und statt des Kanzlers für alle den Wahlkämpfer in eigener Sache geben, dürfte Reaktionen der Kontrahenten hervorrufen. Mit der Feiertagsruhe wäre es dann schon an Neujahr vorbei. Wahrt Scholz hingegen die Contenance, könnte es ein paar Tage länger besinnlich bleiben.
Parteien treffen sich zu Klausursitzungen
Am Wochenende nach Silvester wird dann der Wahlkampf-Trubel richtig losgehen. CDU-Chef Friedrich Merz hält am 5. Januar auf dem Petersberg bei Bonn eine Rede. Die Chance auf pointierte Bemerkungen über die politischen Gegner lässt sich der Unions-Kanzlerkandidat sicherlich nicht entgehen. Danach geht es Schlag auf Schlag: Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart sowie die CSU-Landesgruppenklausur in Kloster Seeon am 6. Januar, Bundesparteitag der SPD am 11. Januar, Linken-Parteitag am 18. Januar, um nur ein paar Termine zu nennen.
Mitten in dieser Phase gibt es ein Datum, auf das die wahlkämpfenden Parteien besonders schauen werden: Die Amtseinführung von Donald Trump und die anschließende Rede des US-Präsidenten am 20. Januar könnte – je nach Schärfe – dafür sorgen, dass die Wahlprogramme noch einmal nachjustiert werden müssen. Sollte der Amerikaner etwa der Ukraine wie befürchtet die Unterstützung entziehen, müssten die Parteien darauf sofort eine Antwort haben. Spannend in diesem Zusammenhang ist auch: Bekommt Scholz zuerst eine Audienz beim neuen Präsidenten, oder geht dieser Pokal an Friedrich Merz? Möglichst schnell nach Washington wollen jedenfalls beide.
Für Deutschland geht es dann am 23. Februar um eine echte Richtungsentscheidung. Wer wird dieses Land durch diese turbulenten Zeiten führen? Geht Scholz nach Hause? Erfüllt sich der Merz-Traum vom Kanzleramt doch noch? Und wer regiert dann mit?
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