Deutschland und die Türkei wollen nach jahrelanger Zurückhaltung im Rüstungsbereich wieder enger kooperieren. Nach seinem Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nannte Bundeskanzler Olaf Scholz es «selbstverständlich», dass der Nato-Partner Türkei deutsche Waffen erhält und zeigte sich sogar offen für die Lieferung von Eurofighter-Kampfjets. Zur offenen Konfrontation der beiden kam es dagegen beim Thema Nahost.
Kurz vor dem zweiten Türkei-Besuch des Kanzlers in seiner bisher dreijährigen Amtszeit war bekanntgeworden, dass die Bundesregierung wieder in größerem Stil Rüstungsexporte in die Türkei zulässt. In diesem Jahr wurden bis zum 13. Oktober bereits 69 Genehmigungen im Wert von 103 Millionen erteilt. Darunter waren Kriegswaffen für 840.000 Euro.
Der Wert der für die Türkei genehmigten Exporte liegt damit erstmals seit 2011 wieder im dreistelligen Millionenbereich. Zuletzt wurde der Export von 28 Torpedos und 101 Lenkflugkörpern genehmigt. Bis zum gescheiterten Militärputsch in der Türkei 2016 und dem Einmarsch in Nordsyrien hatte die Bundesregierung in großem Stil Rüstungsexporte in das Land genehmigt, sie dann aber deutlich zurückgefahren. Die Lieferungen sind nicht nur wegen des internationalen Agierens der Türkei, sondern auch wegen der Menschenrechtslage im Land umstritten.
Gespräche über Eurofighter an Türkei werden «vorangetrieben»
Zum angestrebten Kauf der Türkei von 40 Eurofighter-Kampfjets verwies Scholz (SPD) darauf, dass darüber Gespräche zwischen Großbritannien und der Türkei geführt würden. Das sei etwas, «das sich weiterentwickeln wird, aber jetzt von dort vorangetrieben wird».
Die Jets werden von Deutschland mitproduziert. Die Bundesregierung muss dafür ihre Zustimmung erteilen. Erdogan zeigte sich zufrieden und sagte, man wolle die Probleme der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Beschaffung von Produkten der Verteidigungsindustrie «endlich hinter uns lassen».
Wiederbelebung der deutsch-türkischen Regierungskonsultationen
Nach fast neun Jahren Pause wollen Scholz und Erdogan auch die deutsch-türkischen Regierungskonsultationen wiederbeleben. Das sind Treffen, an denen neben den Regierungschefs beider Länder auch mehrere Minister teilnehmen. Scholz nannte die Wiederaufnahme des Formats ein «sichtbares Zeichen» für die Qualität der Beziehungen.
Auf die Frage nach konkreten Ergebnissen beim Thema Migration hielten sich beide Seiten aber bedeckt. Die Bundesregierung will nicht nur nach Afghanistan, sondern auch nach Syrien wieder Straftäter abschieben. Dafür sucht sie Kooperationspartner. Scholz bekräftigte zwar seinen Willen, auch nach Syrien wieder abzuschieben. Der Frage, ob die Türkei helfen könne, wich er aber aus.
Der Kanzler hat versprochen, Migranten ohne Bleiberecht «in großem Stil» abschieben zu wollen. Die Türkei zählt neben Syrien und Afghanistan zu den Ländern, bei denen es um die größten Zahlen geht. Ende September waren laut Bundesregierung 15.789 türkische Staatsangehörige ausreisepflichtig, 1.200 mehr als fünf Monate zuvor. Dem stehen 441 Abschiebungen in der ersten Jahreshälfte gegenüber. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte vor Kurzem erklärt, dass die Türkei sich zur schnelleren Rücknahme türkischer Staatsbürger bereiterklärt habe. Konkrete Ankündigungen dazu gab es jetzt aber nicht.
Erdogan beschuldigt Israel vor Scholz des Genozids
Uneinig blieben Scholz und Erdogan beim Thema Nahost. Der türkische Präsident warf Israel in Anwesenheit des Kanzlers vor, im Gazastreifen einen Völkermord zu begehen. Scholz wies das zurück. «Deutschland hat nicht die Einschätzung (…), dass der Vorwurf des Völkermords gerechtfertigt ist», sagte er. Er betonte aber, dass zivile Opfer egal auf welcher Seite gleichermaßen beklagt werden müssten. Es dürfe kein «geteiltes Leid geben. Der Kanzler betonte, dass Israel das Recht habe, sich zu verteidigen, sich dabei aber an das Völkerrecht halten müsse. «Das ist eine Anforderung, die selbstverständlich ist.»
Die Meinungsverschiedenheiten thematisierte Scholz im Anschluss auf der Plattform X: «Auch wenn wir nicht in allen Fragen einer Meinung sind: ein intensiver Austausch zu den internationalen Konflikten ist wichtig, nur so kann es zu Lösungen kommen.»
Wille zu Kooperation beim Thema Ukraine
Gemeinsame Schritte wollen die Türkei und Deutschland beim Thema Ukraine-Krieg gehen - die Ankündigungen blieben aber im Ungefähren. Ankara ist für die Bundesregierung ein wichtiger Partner, weil sie gute Beziehungen zum Kreml unterhält. Scholz kündigte an, ausloten zu wollen, wie die Türkei und Deutschland in der Frage kooperieren könnten. «Wir stehen beide eng an Seite der Ukraine.»
Im russischen Angriffskrieg ist die Türkei bereits als Mittler aufgetreten und spielte eine Schlüsselrolle etwa beim mittlerweile ausgesetzten Korridor über das Schwarze Meer zur Ausfuhr ukrainischen Getreides. Der Bundeskanzler wirbt seit einigen Wochen verstärkt für eine weitere Ukraine-Friedenskonferenz, an der dann auch Russland teilnehmen soll.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden