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Deutsch-französische Beziehung auf dem Tiefpunkt

Regierungserklärung

Das sensible deutsch-französische Verhältnis: Einsam statt gemeinsam

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    Kanzler Scholz gestikulierte viel bei seiner Regierungserklärung zum Europäischen Rat. Eine gute Beziehung zu Frankreich lässt sich damit indes nicht herstellen.
    Kanzler Scholz gestikulierte viel bei seiner Regierungserklärung zum Europäischen Rat. Eine gute Beziehung zu Frankreich lässt sich damit indes nicht herstellen. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Es ist bemerkenswert, wenn in einer Regierungserklärung zum bevorstehenden EU-Gipfel der wichtigste europäische Partner der Deutschen nicht erwähnt wird. Alt-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kam bei entsprechenden Anlässen vor Treffen des Europäischen Rates ohne einen wortreichen Blick auf Frankreich nicht aus. Ihr Nachfolger hingegen schon. Eine knappe halbe Stunde sprach Kanzler Olaf Scholz am Mittwoch im Bundestag, der SPD-Politiker erwähnte weder die französischen Nachbarn noch einen ihrer politischen Akteure. Reibungslos lief die Zusammenarbeit mit Paris in der Vergangenheit selten, unter Scholz scheint sie eingefroren. Dabei nannte der Kanzler in seiner Erklärung viele gute Gründe, warum ein enger Schulterschluss mit Frankreich so wichtig fürs eigene Land ist.

    Das Topthema des Europäischen Rates ist die Migration

    Ganz oben auf der Tagesordnung des Europäisches Rates steht die Antwort auf den Zuzug von Flüchtlingen aus aller Welt. Obwohl es eine im Vergleich nur mäßige Einwanderung nach Frankreich gibt, wird das Thema dort seit Jahren kontrovers diskutiert. Bereits im Präsidentschaftswahlkampf 2022 überboten sich die Parteien mit restriktiven Vorschlägen. Der neue Innenminister Bruno Retailleau legte noch eine Schippe drauf: Der Rechtskonservative will Zuwanderungsquoten und härtere Regeln für den Familiennachzug. Es sind dies zumindest Vorschläge, die am Donnerstag und Freitag in Brüssel diskutiert werden können. Scholz hingegen steht beim Thema Migration offenbar tatsächlich „mit dem Rücken zur Wand und den Füßen am Abgrund“, wie es Unions-Fraktionschef Friedrich Merz formulierte. Zur europäischen Migrationspolitik sagte er nichts, zu sehr setzen ihn die Ampel-Partner Grüne und FDP, aber auch die eigene Fraktion, mit unterschiedlichen Vorschlägen unter Druck.

    Zukunftsthema Handelspolitik

    Der einstige Wirtschaftsprimus Deutschland wird im Vergleich mit anderen Industriestaaten gerade nach hinten durchgereicht. Allein kann sich das Land aus dem Abwärtsstrudel nicht mehr befreien, es braucht die Gemeinschaft der EU. „Wir müssen um jeden Industriearbeitsplatz in Europa kämpfen“, mahnte Scholz im Bundestag. Er jedoch will diesen Kampf der EU-Kommission überlassen und damit praktisch aus der Hand geben. Macron hingegen lässt das nicht zu, wie sich beim geplanten EU-Freihandelsabkommen mit der südamerikanischen Staatengemeinschaft Mercosur zeigt. Während Scholz es schnell zum Abschluss bringen will, dringt Macron auf Nachverhandlungen, um Nachteile für Industrie und Landwirtschaft abzuwenden. Differenzen gibt es auch in der Energiepolitik zwischen Deutschland mit seinem Atomausstieg und dem Kernkraftland Frankreich. CDU-Vize Andreas Jung fasste es im Gespräch mit unserer Redaktion so zusammen: Statt hier „unterschiedliche Strategien zu akzeptieren und dann Synergien zu suchen, gibt es nur gegenseitige Belehrungen und Blockaden“.

    Friedensthema Russland

    Merkel und Macron plädierten vor dem Einmarsch der Russen in die Ukraine einmütig für eine Annäherung an Moskau. Sprachlosigkeit sei nicht dazu angetan, Probleme zu lösen, erklärten sie. Mit Kriegsausbruch änderte sich das grundlegend. Doch der Elysée-Palast und das von Scholz geführte Kanzleramt gingen fortan getrennte Wege. Der Franzose zeigte sich entschlossen und scheute nicht einmal den Einsatz westlicher Bodentruppen, während der Deutsche nach Wochen des Zauderns seine „Zeitenwende“ verkündete. Deutschland ist zwar nach den USA zum zweitgrößten Unterstützer der Ukraine aufgestiegen. Einen strategischen Schulterschluss mit der Atommacht Frankreich und ihrer selbstbewussten Militärdoktrin hat Scholz bis jetzt jedoch nicht hinbekommen.

    Wie wird es werden?

    Noch heute nimmt Macron es Scholz krumm, dass der beim Antrittsbesuch das angebotene Glas Rotwein verschmähte. Besser wird es wohl nicht mehr werden. CDU-Vize Jung ist ein erfahrener Analyst der deutsch-französischen Beziehungen, er war unter anderem Co-Vorsitzender der Parlamentarischen Versammlung beider Länder. „Unter Olaf Scholz fällt deutsche Führung in der EU aus. Denn das wäre nur im Führungsduo mit Emmanuel Macron möglich“, sagte er. Selbst bei oft unterschiedlichen Ansätzen müssten „unbedingt gemeinsame Positionen gefunden werden“. Das ermögliche dann eine Abstimmung auch im Weimarer Dreieck mit Polen und die Bildung breiter Mehrheiten. Seit drei Jahren sei jedoch das Gegenteil der Fall. Es gebe einen ständigen Streit, der zur Entfremdung geführt habe. In einer Situation der Bedrohung von außen und innen, kritisierte Jung, gebe es „keine gemeinsame Vision für die Weiterentwicklung Europas“.

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    1 Kommentar
    Maria Reichenauer

    ICh frage mich, was dieser immer wiederkehrende Vergleich mit Angela Merkel soll? MUSS man Frankreich bei jeder Regierungserklärung bauchpinseln? Würden die Franzosen Deutschland bei jeder Rede im Parlament lobend hervorheben? Und ob Scholz ein Glas Rotwein abgelehnt hat – allein die Erwähnung eines solchen Vorgangs ist kindisch. Ja, Frankreich ist ein wichtiger Partner und soll auch so behandelt werden. Aber diese ständige Bauchpinselei, die die Union fordert, ist nicht notwendig. Frankreich hat seine Positionen, unsere Regierung hat andere. Daran geht die EU nicht kaputt. Ich frage mich sowieso, warum man Deutschland und Frankreich immer eine Führungsrolle zuschieben muss. Sind wir nicht Gleiche unter Gleichen? Die EU hat 27 gleichberechtigte Mitgliedstaaten, vielleicht tut es der EU ganz gut, dass Deutschland nicht immer das großen Wort führt? Ich schäme mich heute noch dafür, wie man vor ein paar Jahren mit Griechenland umgesprungen ist.

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