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Demonstrationen: Auf der Suche nach Volkes Wut in Leipzig

Demonstrationen

Auf der Suche nach Volkes Wut in Leipzig

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    Zu der Demonstration in Leipzig hatte auch die Linke aufgerufen.
    Zu der Demonstration in Leipzig hatte auch die Linke aufgerufen. Foto: Christian Grimm

    Mit der beginnenden Dunkelheit kommt die Gewalt. Es fliegen Steine, Menschen gehen mit Fäusten aufeinander los. Blaulicht und Sirenen auf den breiten Straßen des Rings. Am Himmel knattert ein Polizeihubschrauber. Es bleibt bei Gerangel – zunächst. In Leipzig kann die Nacht sehr lang werden. Die Rechten ziehen sich zurück. Ihr Demonstrationszug war auf eine Sitzblockade des Schwarzen Blockes der Linksextremen getroffen. Ist das der Auftakt für den heißen Herbst des Zorns, der hier in Preisschock bei Strom und Gas.

    Bei den Protesten in Leipzig arbeitet sich die Linke an der Ampel ab

    Die Linke sieht ihre Chance gekommen, ihren Niedergang zu stoppen, indem sie die Angst und Sorge der Menschen vor kalten Wohnungen und unbezahlbaren Rechnungen in Protest auf der Straße umwandelt. Die völlig zerstrittene Partei hat ihr altes Schlachtross Gregor Gysi in das Zentrum Leipzigs gerufen. Als Schlussredner der Montagsdemo nimmt er sich die Ampel-Regierung vor, wie alle seine Vorredner. Die Sonne verkriecht sich gerade hinter den Häusern. Hinter Gysi hängt am Opernhaus ein Plakat mit der Aufschrift „Future: now!“.

    „Unsere Bundesregierung ist überfordert. Sie ist nicht fähig zu einer Zukunftspolitik“, ruft er den Leuten auf dem Augustusplatz zu. Er blickt in vielleicht 1000 Gesichter, vielleicht 1500. Der Platz liegt im Herzen der Stadt. Auf der einen Seite die Oper, auf der anderen gegenüber das Gewandhaus, quer dazu der neue Beton der altehrwürdigen Universität.

    Gysi ackert sich an der FDP ab und fordert hohe Steuern für Konzerne. Den meisten Applaus bekommt er für den Satz, dass Europa nicht länger Lakai der Amerikaner sein dürfe. „Das nervt mich“, schnaubt Gysi. Als er zuvor den Krieg Putins gegen die Ukraine verurteilt, rühren sich weniger Hände.

    Im Publikum stehen Studenten neben Rentnern und Menschen, die landläufig als normal bezeichnet werden. Wohlhabende spüren offenbar noch keine Wut über den Wahnsinn auf den Energiemärkten. Nachdem der Linken-Veteran geendet hat, setzt sich der Demonstrationszug seiner Partei in Marsch. Es ist natürlich noch immer ironisch, dass ausgerechnet die Linke am Montag zum Protest in Leipzig ruft, deren Vorgängerorganisation SED an Montagen hier vor über 30 Jahren ihre Macht verlor.

    Ironisch ist auch, dass ausgerechnet die Rechten von der anderen Seite des weitläufigen Platzes „Sahra,

    Neben der Linken haben auch die Freien Sachsen zur Demonstration aufgerufen

    Der heiße Herbst hatte am Nachmittag im schönsten Altweibersommer begonnen. Mild schien die Sonne herab. Die Leipziger holten sich Eis und Bratwürste, die hier Roster heißen. Nur die grimmig dreinblickenden Bereitschaftspolizisten störten die friedliche Gemütlichkeit. Hier sollte am beginnenden Abend also vor der übergroßen Folie der Montagsdemos des Revolutionsjahres 1989 politisiert werden. „Wir sind das Volk“ – jeder Protest am ersten Tag der Woche beansprucht in dieser Stadt automatisch, den Willen des echten Volks kundzutun. Den Anfang machte eine Splitterpartei.

    Ein Anhänger der Freien Sachsen lässt seine Fahne wehen.
    Ein Anhänger der Freien Sachsen lässt seine Fahne wehen. Foto: Christian Grimm

    Die Freien Sachsen versammelten vielleicht 500 Leute vor ihrem Pavillon mit dunkelgrünem Dach. Später werden es mehr. Geschickt hatten sie sich an den Protest der Linkspartei rangewanzt. „Getrennt marschieren, vereint schlagen“, lautete ihr Aufruf zur Mobilisierung. Die Parole hatten sie zwar vom alten preußischen Feldherren Moltke ausgeborgt, doch die traditionelle sächsisch-preußische Rivalität musste unter den Tisch fallen. Zum Auftakt erklang der alte linke Gassenhauer „Ami – go home“, danach nicht minder berüchtigt „Der kleine Trompeter“. Politik in Leipzig ist in ihrer Symbolik oft widersprüchlich.

    Die Partei drückte ihrer Schar Anhänger kleine grün-weiße Fähnchen in die Hand. Winkelemente hießen die früher im Osten. „Protestieren statt frieren“, rief Parteichef Martin Kohlmann in das Mikrofon und bot allen Parteien die Zusammenarbeit an. „Wir sagen, wir brauchen keine Geschenke von diesem Staat ..., sondern wieder freien Handel.“ Frei gehandelt werden soll natürlich Gas, das in Russland nun einmal am billigsten zu bekommen sei.

    „Die Bürger in Prag haben uns vorgemacht, wie es gehen kann“, appellierte Kohlmann an die Seinen. An der Moldau waren vor wenigen Tagen 70.000 Tschechen gegen die hohen Energiepreise auf die Straße gegangen. Daran reicht Leipzig an diesem Montag bei weitem nicht heran. Die Polizei sprach in einer Schätzung von rund 4000 Teilnehmern aus beiden Lagern. Die Linke hat angekündigt, in den nächsten Wochen an 60 Orten in ganz Deutschland Stimmung gegen die Ampel zu machen. Auch Leipzig steht im Demo-Kalender für kommenden Montag. Hoch über dem Augustusplatz schlagen zwei Eisenmänner der Turmuhr die Zeit auf dem Kroch-Haus. "Omnia vincit labor" steht auf ihrem Sockel. Harte Arbeit besiegt alles.

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