Nach den teils gewalttätigen Protesten gegen das Vorgehen Israels im Gaza-Konflikt warnen Politiker und Verbände vor weiteren antisemitischen Angriffen in Deutschland. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) kündigte ein hartes Durchgreifen bei Attacken auf jüdische Einrichtungen an. "Wir werden nicht tolerieren, dass auf deutschem Boden israelische Flaggen brennen und jüdische Einrichtungen angegriffen werden", sagte er derBild am Sonntag. "Wer antisemitischen Hass verbreitet, wird die volle Härte des Rechtsstaates zu spüren bekommen." Auch andere Politiker und Vertreter von jüdischen Gemeinden äußerten sich alarmiert und forderten Strafverschärfungen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief erneut zum gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus auf: "Wir sehen auch den antisemitischen Hass auf unseren Straßen. Nichts rechtfertigt die Bedrohung von Juden in Deutschland oder Angriffe auf Synagogen in unseren Städten", sagte Steinmeier am Sonntag zum Abschluss des Ökumenischen Kirchentags in Frankfurt. "Lasst uns diesem Hass gemeinsam entgegentreten!"
Bei mehreren Kundgebungen kam es zu Zwischenfällen
Angesichts der Eskalation des Konflikts zwischen Israel und der palästinensischen Hamas waren am Samstag Tausende Menschen in deutschen Städten auf die Straße gegangen, um ihre Solidarität mit den Palästinensern zu bekunden. Bei mehreren Kundgebungen kam es zu Zwischenfällen und Ausschreitungen. Im Berliner Stadtteil Neukölln eskalierte die Lage, nachdem die Polizei eine Demonstration wegen Nicht-Einhaltung der Corona-Abstandsregeln aufgelöst hatte.
Dort schlugen Demonstranten auf Polizeibeamte ein und bewarfen sie mit Steinen und Flaschen. Auch Feuerwerkskörper wurden geschleudert. Es gab den Angaben zufolge Verletzte und Festnahmen, konkrete Zahlen lagen zunächst nicht vor.
Schon in den Tagen zuvor hatte es in mehreren deutschen Städten antisemitische und anti-israelische Demonstrationen gegeben, bei denen auch Israel-Flaggen angezündet worden waren.
Seehofer betonte, dass Deutschland "kein Rückzugsraum für Terroristen" sein dürfe. "Die Sicherheitsbehörden sind hellwach und tun alles, um die Menschen in unserem Land zu schützen. Jüdinnen und Juden dürfen in Deutschland nie wieder in Angst leben." Der Minister bot den Polizeien der Länder personelle und materielle Unterstützung an. Vor dem Hintergrund des andauernden Konflikts sei weiter mit "versammlungstypischen Straftaten" zu rechnen, sagte er.
SPD fordert Strafrechtsverschärfungen
Die SPD-Fraktion im Bundestag forderte Strafrechtsverschärfungen. "Verhetzende Beleidigungen etwa von Juden müssen jetzt zeitnah zur Straftat werden", sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese der Welt mit Blick auf das von der großen Koalition geplante Gesetzesvorhaben zur sogenannten verhetzenden Beleidigung. Auch Vereinsverbote müsse man in diesem Zusammenhang "sorgsam prüfen".
Chronologie: Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern
Seit Gründung des Staates Israel kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit den Nachbarn. Der erste Nahostkrieg war für Israel ein Unabhängigkeitskrieg - für die Palästinenser hingegen der Beginn der "Nakba", ihrer Flucht und Vertreibung.
29. November 1947: Die Vollversammlung der Vereinten Nationen ruft zur Teilung des britischen Mandatsgebiets Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat auf (Resolution 181). Die Juden stimmen zu, die Araber in Palästina und die arabischen Staaten lehnen den Plan ab.
14. Mai 1948: David Ben Gurion verliest Israels Unabhängigkeitserklärung. Am Tag darauf erklären die arabischen Nachbarn Ägypten, Jordanien, Libanon, Irak und Syrien den Krieg. Im Kampf kann der neue Staat sein Territorium vergrößern und den Westteil Jerusalems erobern. Rund 700.000 Palästinenser fliehen.
Oktober 1956: In der Suez-Krise kämpfen israelische Truppen an der Seite Frankreichs und Großbritanniens um die Kontrolle des Suez-Kanals, den Ägypten zuvor verstaatlicht hatte.
Juni 1967: Im Sechstagekrieg erobert Israel den Gazastreifen, die Sinai-Halbinsel, das Westjordanland, Ostjerusalem und die Golanhöhen.
Oktober 1973: Eine Allianz arabischer Staaten unter Führung von Ägypten und Syrien überfällt Israel an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag. Nur unter schweren Verlusten gelingt es Israel, den Angriff abzuwehren.
März 1979: Israels Regierungschef Menachem Begin und Ägyptens Präsident Anwar al-Sadat schließen einen von den USA vermittelten Friedensvertrag.
Juni 1982: Beginn der Operation "Frieden für Galiläa". Israel greift Stellungen der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO im Libanon an und marschiert ins Nachbarland ein.
Dezember 1987: Ausbruch des ersten Palästinenseraufstands ("Intifada").
September 1993: Israels Ministerpräsident Izchak Rabin und PLO-Chef Jassir Arafat unterzeichnen die Oslo-Friedensverträge.
4. November 1995: Rabin wird nach einer Friedenskundgebung in Tel Aviv von einem jüdischen Fanatiker erschossen.
September 2000: Nach einem Besuch von Israels damaligem Oppositionsführer Ariel Scharon auf dem Tempelberg in Jerusalem bricht die zweite Intifada aus.
2003: Israel beginnt mit dem Bau einer 750 Kilometer langen Sperranlage rund ums Westjordanland. Zäune und Mauern verlaufen zum Teil auf palästinensischem Gebiet.
August 2005: Gegen den Widerstand der Siedler räumt Israel alle Siedlungen im Gazastreifen und zieht seine Truppen aus dem Palästinensergebiet am Mittelmeer ab.
Juli 2006: Israel und die libanesische Hisbollah-Miliz liefern sich einen einmonatigen Krieg.
Juni 2007: Die radikal-islamische Hamas vertreibt in einem blutigen Machtkampf unter Palästinensern die Fatah von Mahmud Abbas aus dem Gazastreifen.
Jahreswende 2008/2009 bis August 2014: In drei Konflikten bekriegen sich das israelische Militär und die Hamas im Gaza-Streifen. Kurz vor dem Krieg 2014 scheitert der bisher letzte Versuch der beiden Seiten, am Verhandlungstisch einen Frieden zu vereinbaren.
Dezember 2017: US-Präsident Donald Trump verkündet den Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Die Entscheidung stößt international auf heftige Kritik.
Frühjahr 2018: Am Grenzzaun zwischen Israel und Gazastreifen beginnen wochenlange Demonstrationen von Palästinensern für das Recht auf Rückkehr ins Gebiet des heutigen Israels. Mehr als 100 werden von der Armee erschossen. Die USA eröffnen ihre Botschaft in Jerusalem.
Januar 2020: Trump und Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu präsentieren einen Nahost-Friedensplan. Die Palästinenser sehen das Völkerrecht verletzt.
Mai 2021: In Jerusalem kommt es zu schweren Zusammenstößen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern. Aus dem Gazastreifen werden Raketen auf Israel abgefeuert, das mit Luftangriffen reagiert. Dabei werden in Gaza mehrere Palästinenser getötet. (dpa)
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg, sieht als Ursache für die Angriffe auch Defizite in der Migrationspolitik. "Die antisemitischen Ausfälle vor allem arabischstämmiger Jugendlicher oder türkischstämmiger Rechtsextremisten bei den Demonstrationen müssen rechtlich geahndet werden", sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur.
Josef Schuster warnt vor einer Welle des Antisemitismus
Die Zuwanderung müsse "ein Maß behalten, das Integration noch ermöglicht", erklärte Middelberg. Das Engagement beim Thema Integration sollte zielgenau verstärkt werden. Die Erfolgskontrolle sollte hier effizienter werden. "Der Nahost-Konflikt muss Thema in unseren Schulen sein", forderte Middelberg.
Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, warnte vor einer Welle des Antisemitismus. "Seit Tagen verbreiten Mobs in vielen deutschen Städten blanken Judenhass. Sie skandieren übelste Parolen gegen Juden, die an die dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte erinnern", erklärte Schuster am Sonntag. Die Polizei müsse dagegen konsequent vorgehen. "Antisemitismus darf nicht unter dem Deckmäntelchen der Versammlungsfreiheit verbreitet werden. Die muslimischen Verbände und Imame müssen mäßigend wirken", erklärte Schuster. Muslimische Verbände wie etwa der Zentralrat der Muslime hatten die Angriffe auf jüdische Einrichtungen zuvor scharf verurteilt. (dpa)
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