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Foto: Montage AZ
Foto: Montage AZ

Eva Weber, Josef Schuster, Gabriele Rotter-Mäusl, Burkhard Hose, Lea Frühwirth und Sebastian Lipp (von links nach rechts, erst oben, dann unten) engagieren sich alle für eine offene und pluralistische Gesellschaft.

Demokratie
21.01.2024

Wie verteidigen wir die Demokratie gegen rechts? Sechs Menschen berichten

Von Christina Heller-Beschnitt

Seit einer Recherche von Correctiv machen sich viele Menschen Gedanken, wie sich die Demokratie bewahren lässt. Ideen aus der Politik, Gesellschaft und Forschung.

Durch das ganze Land rollt gerade eine Protestwelle: In großen und kleinen Städten gehen Zehntausende Menschen auf die Straßen. Sie schließen sich zusammen zu Demonstrationen gegen Rechtsextremismus, für die Demokratie. In den sozialen Medien schreiben Menschen: "Jetzt müssen wir die Demokratie verteidigen!", "Wehret den Anfängen!" Auslöser für Demos, Proteste und Aufrufe ist eine Recherche der Plattform Correctiv. Sie beschreibt ein Geheimtreffen von AfD-Politikern mit Rechtsextremen in einer Potsdamer Villa. Dort solle ein "Masterplan" besprochen worden sein, wie Millionen Menschen aus Deutschland vertrieben werden sollen. Seit der Veröffentlichung wollen Menschen für die Demokratie eintreten, sie verteidigen. Aber wie geht das eigentlich? Wie können Bürgerinnen und Bürger etwas tun, das über das Äußern von Schlagworten wie "Nie wieder!" hinausreicht? Sechs Gespräche mit Menschen, die Antworten haben.

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Foto: Joerg Carstensen, dpa
Foto: Joerg Carstensen, dpa

Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland: "Jeder Einzelne kann Zivilcourage zeigen."

Josef Schuster – Präsident des Zentralrats der Juden

Herr Schuster, waren Sie überrascht, als Sie gelesen haben, was Correctiv recherchiert hat?

Schuster: Ja und nein. Warum beides? Es war zu vermuten, dass es entsprechende Verbindungen und Kontakte gibt. Der Fakt hat mich insofern nicht überrascht. Überrascht hat mich aber die Klarheit, mit der es gelungen ist, das Treffen an die Öffentlichkeit zu bringen. Dass das gelungen ist, sehe ich sehr positiv. 

Gerade entstehen in vielen Städten im Land Demos gegen Rechtsextremismus für Demokratie. Reicht das aus, um zu zeigen, dass die Demokratie wehrhaft ist?

Schuster: Ob es ausreicht, wird man sehen. Aber ich bin wirklich erfreut, dass die Mitte der Gesellschaft aufsteht und sich ganz klar und offen gegen diese Art der Treffen und der Politik, die von AfD-Mitgliedern unterstützt wird, wenden. Ich habe immer das Gefühl gehabt, man sieht die Prognosen und Wahlergebnisse der AfD, aber das lockt niemanden hinter dem Ofen hervor. Das hat mir Sorgen gemacht. Deshalb bin ich erfreut, wenn Leute jetzt auf die Straßen gehen und ihren Unmut zum Ausdruck bringen. 

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Wie lassen sich denn Schlagworte wie "Wehret den Anfängen" mit Leben füllen? Was kann jede und jeder Einzelne tun?

Schuster: Wenn wir von "Wehret den Anfängen" sprechen, dann habe ich die Sorgen, dass die Anfänge vorbei sind. Da hätte man früher reagieren müssen. Aber dennoch: Was kann der Einzelne tun? Etwas, das sehr einfach ist: Zivilcourage zeigen. Wenn im persönlichen Gespräch, am Arbeitsplatz, in der Familie, im Bekanntenkreis, im Sportverein oder in der Jugendgruppe jemand aufsteht und Ideologien äußert, die rassistisch, menschenverachtend oder antisemitisch sind, aufstehen und sagen: "Weißt du, was du da gerade gesagt hast?" Den Leuten den Spiegel vorhalten. So lässt sich eine Menge erreichen.

Welche Lehre sollten Politikerinnen und Politiker aus den Demos ziehen, die gerade stattfinden?

Schuster: Ich glaube, es ist in der Politik generell verstanden, dass die AfD kein politischer Gesprächspartner sein kann. Und ich hoffe, die, die noch anderer Meinung waren, haben jetzt endgültig verstanden, mit wessen Geistes Kind man es da zu tun hätte. Es wird jetzt umso deutlicher, dass eine Brandmauer nötig ist und dass es kein politisches Handeln mit der AfD geben darf.

Wenn Sie sagen, es ist schon zu spät, um den Anfängen zu wehren, haben Sie dann die Hoffnung, dass die Proteste sich verstetigen und sich der Rechtsruck einfangen lässt?

Schuster: Es geht jetzt weniger um die Frage, ob sich die Demos verstetigen müssen, ob also so etwas wie die Montagsdemos entstehen. Aber es geht darum, dass das hoffentlich kein Strohfeuer ist. Sondern die Gesellschaft verstanden hat, wer die AfD ist. Und dass das auf das Wählerverhalten einen Einfluss hat. 

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Foto: Silvio Wyszengrad
Foto: Silvio Wyszengrad

Eva Weber, Augsburger Oberbürgermeisterin: "Jede Bürgerin, jeder Bürger muss Haltung zeigen."

Eva Weber – Oberbürgermeisterin der Stadt Augsburg, CSU

Frau Weber, waren Sie überrascht, als Sie gelesen haben, was Correctiv recherchiert hat?

Eva Weber: Überrascht war ich nicht, aber mir war schlecht. Wenn man sich ein bisschen mit dem Thema beschäftigt – und das tut man als Kommunalpolitikerin automatisch, weiß man um diese Pläne und die Denkweise. Deshalb war ich nicht überrascht. Aber die Art und Weise, wie das Treffen und der Plan im Correctiv-Bericht beschrieben werden, davon wurde mir schlecht.

In zahlreichen Städten demonstrieren seither Menschen gegen rechts – in Augsburg haben Sie vor einer Woche selbst auf einer Demo gesprochen. Wie blicken Sie auf diese Demonstrationen?

Weber: Ich war sehr froh und auch stolz, dass sich in Augsburg so schnell 700 Menschen auf dem Rathausplatz versammelt haben. Sie haben eindeutig gezeigt: Bis hierhin und nicht weiter. So nicht.

"Bis hierhin und nicht weiter" ist einer von den Sätzen, den man gerade oft hört. Was ist Ihr Rat: Wie lassen sich solche Aussagen mit Leben füllen?

Weber: Zu allererst kann und sollte jeder wählen gehen. Und zwar egal, was für eine Wahl ansteht. Die nächste Wahl bei uns ist die Europawahl. Dann würde ich sagen: Jede Bürgerin, jeder Bürger muss Haltung zeigen. Das ist für mich eine Notwendigkeit. Das funktioniert, wenn sie zu Demos gehen, aber auch im Freundes- und Bekanntenkreis, in der Familie, auf sozialen Medien. Wenn wir da mit rechten Aussagen konfrontiert werden, müssen wir dagegenhalten. Außerdem sollte niemand darauf warten, dass die anderen was machen. Die anderen sind wir alle. Jeder kann gucken: Mit wem kann ich mich verbünden, wo kann ich mich einbringen. Das ist der dritte Punkt: Engagement. Egal, ob das in einer politischen Organisationen oder in einem Sportverein ist. Das ist Arbeit fürs Gemeinwesen.

Müssen Politikerinnen und Politiker aus Ihrer Sicht jetzt auch handeln?

Weber: Ja, wir müssen uns verbünden. Wir brauchen ein breites Bündnis der Mitte: Das heißt, die Politiker können hart in der Sache, aber müssen verbindlich im Ton diskutieren. Als demokratische Kräfte haben wir eine hohe Verantwortung, dass wir uns nicht gegenseitig Bösartigkeiten unterstellen. Und wir müssen uns nach rechts abgrenzen. Das habe ich schon nach der Aussage von Friedrich Merz, dass es in der Kommunalpolitik nicht so entscheidend sei, ob wir mit der AfD kooperieren oder nicht, deutlich gemacht. Diese Abgrenzung ist mir wirklich wichtig. Vielleicht umso mehr, weil ich Mitglied in einer konservativen Partei bin. Das sind Faschisten, mit denen arbeite ich nicht zusammen. Dazu kommt, es gibt gerade eine große Diskussion darum, dass das Vertrauen in die Politik schwindet. Wir müssen analysieren, woher das kommt. Und dann verbindlich und vertrauensvoll arbeiten. Ein Beispiel, wenn wir ein Stadtteilprojekt mit Bürgerbeteiligung anstoßen und es entsteht ein toller Plan, der kann aber nicht umgesetzt werden, weil er zu teuer wäre. Dann darf dieser Plan nicht einfach in der Schublade verschwinden. Dann müssen wir offen sagen: Das Geld ist nicht da. Was können wir stattdessen machen? Gibt es eine kleinere Lösung? So ist die Akzeptanz höher und der Frust kleiner. 

Sehen Sie eine Verpflichtung für Personen in öffentlichen Ämtern, dass sie klar Stellung beziehen gegen rechts?

Weber: Ich glaube schon, dass wir Vorbilder sind. Ich mache das auch, weil ich schon immer eine sehr klare Haltung habe. Ich habe mich schon als Schülerin gefragt: Wie konnte es sein, dass meine Großeltern nichts gesehen haben? Deshalb ist es mir wichtig, dass man laut wird und sich hinstellt. Als Corona anfing und alle solidarisch waren, hatte ich die Hoffnung, dass das der Rüttler ist, den wir gebracht haben. Dass klar wird, dass wir mehr Miteinander brauchen. Aber das Gegenteil war der Fall. Es gibt eine Radikalisierung in alle Richtungen, Menschen hören sich nicht mehr zu, es gibt nicht mehr diese Vermutung, dass mein Gegenüber vielleicht auch recht habe. Und Kompromisse – die ja das Wesen der Demokratie sind – werden extrem negativ gesehen. Das sind für mich alles Anzeichen, dass sich etwas verschiebt.

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Foto: Hose
Foto: Hose

Burkart Hose, Pfarrer in Würzburg und Mitglied im Bündnis für Zivilcourage: "Ich rate allen: Redet mit migrantischen Personen."

Burkhard Hose – Pfarrer in Würzburg und Mitglied des Bündnisses für Demokratie und Zivilcourage

Herr Hose, waren Sie überrascht, als Sie gelesen haben, was Correctiv recherchiert hat?

Burkhard Hose: Nein, überhaupt nicht. Ich erinnere mich noch gut an eine Reportage, die ich vor etwa zehn Jahren über Götz Kubitschek gesehen habe. Darin war schon genau das planvolle Vorgehen aufgeschlüsselt, das rechtsextreme Kreise an sich haben. Auch wie sie Intellektuelle und Industrielle in ihren Plan einbeziehen, einen andere, autoritäre Gesellschaftsordnung aufzubauen. Diesen Plan verfolgen sie seit Jahren. Teil des Plans ist, in der Mitte der Gesellschaft und der Politik anzukommen. Und wenn ich mir zum Beispiel ansehe, wie sich die Asylpolitik und das Asylrecht verändert haben, wenn ich höre, wie Christian Lindner vor dem Brandenburger Tor gesprochen hat oder wie Hubert Aiwanger auftritt, erleben wir schon, wie sich der Diskurs nach rechts verschoben hat.

In vielen Städten demonstrieren jetzt Menschen. Reicht das aus, um die Demokratie gegen rechtsextreme Bestrebungen zu verteidigen?

Hose: Es ist gut, dass so viele Menschen auf die Straße gehen. Das ist ein sehr deutliches Signal, dass es in Deutschland gerade eine sehr besorgte Gesellschaft gibt. Und wenn Politiker sagen, sie wollen auf die Sorgen der Rechten hören, dann zeigen diese Demonstrationen, es gibt auch Menschen, die Sorgen um die Demokratie haben. Die sollten ernst genommen werden. Es geht jetzt vielen so, dass sie sich auf der Straße zeigen wollen. Das finde ich sehr wertvoll.

Gibt es noch andere Dinge, die Menschen für die Demokratie tun können, die übers Demonstrieren hinausgehen?

Hose: Ja. Ich rate allen: Redet mit migrantischen Personen. Fragt sie: Wie geht es dir mit der Situation? Das drückt aus, ich stehe an deiner Seite. Das kann jeder machen. Menschen in Verantwortung rate ich: Ladet migrantische Personen ein, lasst sie sprechen, ihre Lage darstellen. Es gibt genug Menschen, die dazu bereit sind. Wichtig ist dann aber, dass wir Orte schaffen, an denen sie sich sicher fühlen. An denen klar ist, wir dulden hier keinen Rassismus und kein rechtsextremes Gedankengut. Das geht sogar noch niedrigschwelliger: Ich habe mich zum Beispiel auf Instagram mit ganz vielen migrantischen Organisationen verbunden, um deren Sichtweise mitzubekommen. Um zu wissen, was sie gerade bewegt. Zudem kann jeder diese Diskursverschiebung in der Politik enttarnen. Die eigenen Abgeordneten darauf ansprechen, wenn etwas auffällig ist. 

Was würden Sie sich jetzt von der Politik wünschen?

Hose: Ich würde mir wünschen, dass ein Perspektivwechsel stattfindet und danach gehandelt wird. Dass deutlich wird: Wir nehmen jetzt diese Sorgen der vielen ernst, die ganz spontan und mitten im Alltag auf der Straße sind. Dass Politikerinnen und Politiker sagen: Wir achten auf unsere Sprache und darauf, wie wir Themen bedienen. Und dann würde ich mir noch etwas anderes wünschen – und da gucke ich auch auf die Kirche: Dass es mehr Kräfte gibt, die Verteilungsthemen in unserer Gesellchaft ansprechen. Das, was die Spaltung in unserer Gesellschaft hervorruft, ist der wahnsinnige Unterschied zwischen armen und reichen Menschen. Aber statt das zu thematisieren, werden Konkurrenzkämpfe zwischen Menschen angefacht, die benachteiligt sind. Diese ungleiche Verteilung anzusprechen, die Ungerechtigkeit deutlich zu machen, dazu hat die Kirche einen guten Grund. Das ist ein sehr biblisches Thema.

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Foto: Rotter-Mäusl
Foto: Rotter-Mäusl

Gabriele Rotter-Mäusl, Mitglied bei Omas gegen Rechts: "Jeder Mensch sollte auch im Alltag Freundlichkeit zeigen. Sollte im Umgang wieder auf die anderen achten, sie sehen."

Gabriele Rotter-Mäusl – "Omas gegen Rechts", München

Frau Rotter-Mäusl, waren Sie überrascht, als Sie gelesen haben, was Correctiv recherchiert hat?

Gabriele Rotter-Mäusl: Ich war schockiert, als ich den Bericht gelesen habe, aber nicht überrascht. Die "Omas gegen Rechts" sind deutschlandweit vernetzt. Deshalb war ich zum Beispiel bei den Omas, die in Magdeburg beim AfD-Parteitag protestiert haben. Dort habe ich mitbekommen: In anderen Bundesländern ist die AfD deutlich aggressiver als wir es bisher im Süden gewohnt waren. Ich habe zudem schon persönlich Erfahrungen mit solchen Menschen gemacht. Ich habe eine Tochter mit Downsyndrom. Als wir vor ein paar Jahren durch München-Haidhausen spaziert sind, sind wir einer Gruppe begegnet, die grässliche "Kopf-Ab"-Gesten in Richtung meiner Tochter gemacht haben. Da wurde mir klar, diese Leute schüren Unruhe und sie verängstigen Menschen. Die Nazi-Geschichte ist nie abgebrochen. Aber ich bin froh, dass es jetzt alle wissen.

Sie sind aktiv bei den Omas gegen Rechts, wie kamen Sie dazu, sich gegen rechts zu engagieren?

Rotter-Mäusl: Ich bin seit etwa einem Jahr bei den Omas gegen Rechts aktiv und habe damals eine Gemeinschaft gesucht, in der ich etwas für die Demokratie tun kann. Die mir Rückhalt gibt – auch wegen meiner Sorgen vor einem Rechtsruck. Denn Auftritte wie zum Beispiel jener von Hubert Aiwanger in Erding zeigen mir, dass das rechte Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft, der Politik, angekommen ist. Seit ich bei den Omas bin, habe ich das Gefühl, etwas tun zu können. Zu den Landtagswahlen in Bayern haben wir etwa das AfD-Programm auseinandergenommen. Gezeigt, was die Partei wirklich will und was unsere Gegenargumente sind. Zu den Landtagswahlen haben wir auch Veranstaltungen organisiert, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen und zu hören, was sie bewegt. Da kamen zum Beispiel ein paar Mädels mit türkischem Hintergrund und haben uns gefragt: Werden wir jetzt abgeschoben? Das war eine richtig große Angst von ihnen, aber sie hatten niemand, mit dem sie darüber sprechen konnten. Und es gibt auch eine Arbeitsgruppe für Schulen, die aufklärt über die Vergangenheit, aber auch herausfinden möchte, was den Kindern und Jugendlichen gerade wichtig ist.

Die Omas gegen Rechts sind eine von vielen Organisationen, die am Sonntag zur Demo in München aufruft. Ist eine Demonstration in Ihren Augen ausreichend, um eine Demokratie zu verteidigen?

Rotter-Mäusl: Sie ist ein erster Schritt. Um sich zu zeigen, um zu spüren: Ich bin nicht alleine. Was ich empfinde, empfinden viele. Dazu kommt: Eine Demo vermittelt Anhaltspunkte, was man sonst noch tun könnte, wenn man sich einbringen möchte. Wer sich zum Beispiel in einer Organisation engagieren möchte, kann dort eine finden, die zu den eigenen Interessen passt.

Gibt es noch etwas von dem Sie sagen würden: So kann sich jeder Mensch für die Demokratie einsetzen?

Rotter-Mäusl: Mir sind drei Punkte wichtig. Der erste ist das Thema Respekt und Miteinander in der Gesellschaft: Jeder Mensch sollte auch im Alltag Freundlichkeit zeigen. Sollte im Umgang wieder auf die anderen achten, sie sehen. Türen aufhalten, wenn jemand hinter einem raus- oder reingehen möchte, nett sein zu Verkäuferinnen. Einer Mutter mit Kinderwagen die Treppe herunterhelfen. Diese kleinen Dinge. Was schadet denn ein Lächeln oder ein Danke? Nichts. Es zeigt den anderen, dass ich sie sehe. Auch das ist doch Demokratie. Es kämpft nicht jeder für sich, sondern wir passen aufeinander auf, hören einander zu. Setzen uns auch mal für jemand anderen ein. Das langt ja schon. Der zweite Punkt: Jeder sollte sich informieren – allgemein dazu, was im Land passiert. Aber auch dazu, was während der Nazi-Zeit im Land passiert ist: Schauen Sie sich Filme an – zum Beispiel "Nebel im August" –, gehen Sie ins Museum – zum Beispiel ins NS-Dokumentationszentrum – hören Sie Zeitzeugen zu, fragen Sie in Ihren Familien nach, was war. Der dritte Punkt: Verlassen Sie Ihre Blase. Hören Sie Menschen zu, die von Plänen der AfD bedroht wären. Gehen Sie zum Beispiel in Cafés, in denen Menschen mit Behinderung arbeiten. Kommen sie zusammen. Das erweitert den Blickwinkel.

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Foto: Lipp
Foto: Lipp

Sebastian Lipp, Betreiber der Rechercheplattform Allgäu rechtsaußen: "Jede und jeder sollte ernstnehmen, was die AfD sagt."

Sebastian Lipp – Betreibt die Rechercheplattform Allgäu rechtsaußen, die aufzeigt, was rechtsextreme Gruppen im Allgäu tun

Herr Lipp, waren Sie überrascht, als Sie gelesen haben, was Correctiv recherchiert hat?

Sebastian Lipp: Nein, das hat mich überhaupt nicht überrascht. Ich beschäftige mich seit Jahren mit dem Thema und mit der AfD. Und ich weise seit Jahren darauf hin, worum es der AfD im Kern geht und welche Vorstellung von Gesellschaft sie hat. Das Problem ist nur, viele neigen dazu, ihr auf den Leim zu gehen, nicht genau hinzuhören. Dann sind die Leute immer wieder empört, wenn solche Dinge herauskommen. Aber man hätte es wissen können.

Gerade finden in sehr vielen Städten im ganzen Land Demos gegen rechts statt. Reicht das aus, um die Demokratie gegen rechte Bestrebungen zu verteidigen?

Lipp: Auf eine Demo zu gehen, ist jetzt die einfachste Möglichkeit, etwas zu machen – aber, es ist auch das Mindeste. Aus meiner Sicht kann es nicht dabei stehenbleiben. Sonst sind diese Demos nichts als Begleitfolklore eines Rechtsrucks. Deshalb ist es so wichtig, Forderungen mit Leben zu füllen. Für mich ist es ein erster Schritt, nicht stumpf Sprüche wie "Wehret den Anfängen" zu wiederholen. Das passiert seit Jahren. Es geschieht etwas. Die Menschen sagen "Wehret den Anfängen", das war's. Beim nächsten Mal heißt es wieder: "Wehret den Anfängen." Stattdessen sollte jede und jeder das sehr ernst nehmen, was die AfD und andere rechte Gruppen sagen und es nicht länger relativieren. Dieses Relativieren wird besonders schlimm, wenn demokratische Parteien die Positionen der AfD übernehmen. Das gibt den Forderungen eine Legitimation. Wählerinnen und Wähler fragen sich: Warum soll ich die nicht wählen? Die Position haben ja auch andere. Und dann vertreten sie diese Positionen auch jenseits des Wahlzettels. So entsteht eine Dynamik, die wir seit Jahren beobachten. Es wird normaler, rechtes Gedankengut zu haben und zu verbreiten. Der erste wichtige Punkt ist also: Anerkennen, das wir ein Problem haben, daraus die Konsequenzen ziehen und klare Kante zeigen.

Ist das eine Forderung an die Politik oder an alle in der Gesellschaft?

Lipp: Natürlich an die Politik, die darf zum Beispiel unter keinen Umständen mit der AfD zusammenarbeiten. Aber eigentlich an jede und jeden Einzelnen. Menschen müssen auch in Alltagsdiskussionen eine klare Kante gegen rechts zeigen. So entsteht eine gesellschaftliche Stimmung, in der klar ist, solche Positionen finden bei uns kein Gehör.

Wie sieht so etwas konkret aus?

Lipp: Gegenrede ist da sicherlich das Mittel der Wahl. Diesen Kampf muss man jeden Tag führen. Das ist der erste Punkt. Der zweite: Menschen zuhören, Betroffene rechter Gewalt ernst nehmen. Dann erkennt man viel deutlicher, wo das Problem liegt. Nach dem neunten Mord des NSU sind zum Beispiel Betroffene in Kassel auf die Straße gegangen. Da war eigentlich klar, das ist eine rassistische Terrorserie, aber niemand hat ihnen zugehört. Wenn wir da empathischer und sensibler werden, dann beantworten sich viele Fragen von selbst.

Sehe Sie eine Chance in den Demos, dass sie sich verstetigen und Menschen jetzt die Gefahr von rechtsextremen Strömungen erkannt haben?

Lipp: Ich fürchte, nein. Eine Demo ist ja auch eine Möglichkeit, sich von der Verantwortung zu entlasten. Zu sagen: "Ich fordere jetzt von der Politik, dass sie etwas tut. Wir sind uns alle einig: Wir sind mehr. Wehret den Anfängen." Dann passiert nichts mehr. Aber wir sind längst über diese Anfänge hinaus. Ich hoffe aber, dass wir das Wegschauen durchbrechen können – sonst haben wir keine Chance.

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Foto: Cemas
Foto: Cemas

Lea Frühwirth, Forscherin am Cemas: "Wir können Räume besetzen, die Rechte zuletzt einnehmen wollten: etwa Schöffenämter oder Betriebsräte."

Lea Frühwirth – Forscherin und Psychologin beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas)

Frau Frühwirth, waren Sie überrascht, als Sie gelesen haben, was Correctiv recherchiert hat?

Lea Frühwirth: Die kurze Antwort ist: Nein. Denn weder die Vernetzung des neurechten Spektrums wie der Identitären Bewegung mit der AfD ist neu. Noch ist es neu, dass die Massendeportation verhandelt wird und von einem völkischen Staatsverständnis ausgegangen wird. Die AfD hat den Begriff Remigration auch schon häufiger verwendet. Für die Gesamtöffentlichkeit ist aber dennoch eine Schockwelle entstanden. Das finde ich total gut, dass sie jetzt ins Handeln kommt. Die rechten Kreise sind extrem gut darin, Dinge schön anzustreichen, damit man nicht mit den gewohnten Reflexen reagiert. Aber das ist nur Fassade, die Substanz ist die gleiche. Hinter dem Schlagwort "Remigration" steckt auch nichts anderes als "Ausländer raus!".

Wenn Sie jetzt sagen die AfD will nicht, dass die gewohnten Reflexe gegen rechts entstehen, dann ist das ja jetzt aber passiert. In ganz vielen Städten gehen Menschen gegen rechts und für Demokratie auf die Straße. Ist das ein gutes Signal?

Frühwirth: Die AfD ist ja sehr gut darin, Dinge harmloser klingen zu lassen, als sie eigentlich sind. Deshalb wird auch gerade wieder versucht, den Schaden zu begrenzen. Aber die Demos zeigen jetzt: Es ist doch aufgefallen, wie gravierend die Pläne eigentlich sind. Was die AfD eigentlich machen möchte, wenn sie die Möglichkeit dazu bekommt, also gewählt wird. Es ist sehr verständlich, dass sich jetzt viele Sorgen machen und Angst haben wegen des Rechtsrucks. Aber uns stehen viele Wahlen bevor, und die Prognosen machen ein Handeln notwenig.

Was können die Menschen denn jetzt tun, wenn sie deutlich machen möchten, dass sie gegen den Rechtsruck sind? Wie können sie ins Handeln kommen?

Frühwirth: Es gibt viel, was man tun kann. Das kann auch klein anfangen. Wer Zeit hat, kann sich einer Demo anschließen, man kann sich in Initiativen einbringen, oder bei demokratischen Parteien einbringen. Oder man kann Räume besetzen, die Rechte zuletzt einnehmen wollten: Das war zuletzt etwa bei Schöffenämtern oder auch in Betriebsräten der Fall. Wer nicht so viel Zeit, aber Geld übrig hat, kann ein paar Euro zivilgesellschaftlichen Organisationen spenden. Die betreiben Aufklärung, fördern die Demokratie oder beraten auch Opfer. Wer mehr Einfluss hat, in einer verantwortlichen Position ist, kann diese Themen auch im größeren Rahmen aufs Papier bringen. Zum Beispiel hinterfragen: Wie sehen eigentlich unsere Organisationsstrukturen aus? Wer ist bei uns sicher? Wie schaffen wir es, dass sich die Leute sicher fühlen? Auch die Wirtschaft wäre ja von den Plänen der AfD betroffen. Und was wirklich jede und jeder tun kann: Wählen gehen und das auf allen Ebenen. Und dann ist noch etwas wichtig: Wir alle sind in sozialen Kontexten. Wir sind in einer Nachbarschaft, in Familien, Freundeskreisen, haben Kolleginnen und Kollegen. Und auch da lohnt es sich, den Mund aufzumachen. Es muss niemand einen Streit in der Büroküche vom Zaun brechen. Aber klarmachen: Diese Meinung haben nicht alle, das reicht schon aus. Der Schritt aus dem betretenen Schweigen heraus ist schon wichtig.

Haben Sie die Hoffnung, dass aus den Demonstrationen ein breites Bewusstsein in der Gesellschaft entsteht, sich gegen den Rechtsruck einzusetzen?

Frühwirth: Ich glaube, das ist schwer vorherzusagen. Aber klar ist, es braucht eine Verstetigung. Wir leben in einer Welt, in der viele Krisen um unsere Aufmerksamkeit buhlen. Wir sind alle krisenmüde. Und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass nächste Woche etwas anderes passiert, dass dann die Nachrichten dominiert. Deshalb muss sich der Protest verstetigen. Es reicht nicht mehr nur zu sagen: Wir haben uns jetzt aufgeregt. Wir müssen zeigen, das ist uns heute wichtig, das ist uns nächste Woche wichtig, und in drei Monaten genauso – und eben auch bei den Wahlen dieses Jahr. Es muss klar sein, dass ist eine Grundhaltung und die Leute mit dieser Wahrnehmung gehen auch nicht weg. Was daran positiv ist: Dass jetzt viele Menchen auf die Straße gehen und zeigen, sie sind für Demokratie und gegen rechts, stört die Erzählung der Rechtsextremen, die sagen nämlich gerne, die schweigende Mehrheit ist auf ihrer Seite. Und die Bilder, die jetzt Zehntausende Demonstrierende zeigen, machen klar: Das stimmt nicht. 

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