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Demografie: Was die Pille mit der Rentendiskussion zu tun hat

Demografie

Was die Pille mit der Rentendiskussion zu tun hat

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    Antibabypille
    Antibabypille Foto: Ulrich Wagner

    Die Rente mit 67 oder gar mit 70 - die Diskussion über das Renteneintrittsalter, um die knappen Kassen zu entlasten, beherrscht in diesen Tagen wieder die aktuellen Themen. Was hat das mit 50 Jahre Antibabypille und dem darauf folgenden Pillenknick zu tun?

    In einem Interview stellte Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) fest, dass die Pille die Rolle der Frau in der Gesellschaft massiv verändert habe. Die Folge seien nicht nur sinkende Geburtenraten, sondern auch eine "sehr schnelle Überalterung" der Gesellschaft mit all ihren Konsequenzen.

    Die demografische Entwicklung Deutschlands ist eine Spätfolge des Pillenknicks: Einerseits fehlen die in der Zeit nach 1970 nicht geborenen Mädchen als mögliche Mütter. Andererseits entscheiden sich viele Frauen im gebärfähigen Alter für höchstens ein oder gar kein Kind.

    In der Aufbau- und Wirtschaftswunderzeit nach dem Zweiten Weltkrieg war die Zahl der Geburten sprunghaft angestiegen. Jede Frau brachte in der Zeit des "Babybooms" zwischen Ende der 50er und Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts im Schnitt 2,5 Kinder zur Welt. Anfang der 70er Jahre kam dann der "Pillenknick" und die Geburtenrate sackte in den tiefen Keller. Seitdem stiegen und fielen die Geburtenzahlen nur noch ganz leicht. 2009 wurden pro Frau nur noch 1,35 Kinder geboren. Bereits in 15 Jahren, errechnen es die Statistiker, werden über 25 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt sein, gegenüber 12,5 Prozent von Kindern und Jugendlichen im Alter bis zu 15 Jahren. Was das für die Rentenkassen bedeutet, spiegelt sich in der aktuellen Diskussion.

    Dass sich der Pillenknick nicht in allen europäischen Ländern derart massiv ausgewirkt hat, hat etwas mit der Emanzipation, Gleichberechtigung, Kinderbetreuung und dem Familienbild zu tun. Während in den Niederlanden der Geburtenrückgang noch dramatischer war als in Westdeutschland (die Geburtenrate lag dort vorher bei über drei Kinder pro Frau), verlief die Kurve in Frankreich vergleichsweise sanft. Auch heute noch bekommt die Französin im Schnitt 2,2 Kinder. Die Erklärung ist einfach: In Frankreich ist der Begriff "Rabenmutter" unbekannt, es gibt längst ein gut ausgebautes Krippen- und Kindertagesstättennetz, die Ganztagsschule hat Tradition. So müssen sich Mütter nicht zwischen Familie und Beruf entscheiden. Pille hin oder her. Ähnliches galt im Übrigen auch für Ostdeutschland. Dort sank die Geburtenrate erst nach der Wiedervereinigung drastisch.

    Ehe der Pillenknick die Rentenkassen erreicht hatte, stellte er die Schulpolitik Anfang der 80er Jahre vor Herausforderungen. So waren beispielsweise die Schülerzahlen an den Gymnasien um fast die Hälfte zurückgegangen. Die Schulen buhlten um die Kinder, die drohende Schließung vor Augen.

    Etwas später schlug der Verteidigungsminister Manfred Wörner (CDU) Alarm: Die Sollstärke der westdeutschen Wehr von 495 000 Mann sei nicht mehr zu halten. (Heute denkt Verteidigungsminister zu Guttenberg in einer völlig veränderten politischen Lage über eine Personalreduzierung der Bundeswehr auf 167 000 Soldaten nach.) 1984 wurde über eine Verlängerung der Dienstzeit, den freiwilligen Dienst von Frauen in den Streitkräften und eine Überarbeitung der Tauglichkeitsrichtlinien diskutiert. Auf der Hardthöhe, damals der einzige Dienstsitz des Verteidigungsministers, machte man Witze über "das letzte Aufgebot".

    Die alternde Gesellschaft ist nicht für alles verantwortlich

    Viele Wissenschaftler haben sich Gedanken darüber gemacht, ob es uns heute besser ginge, hätte es den Pillenknick und die nachfolgend beständig niedrigen Geburtenraten nicht gegeben. Entgegen der landläufigen Meinung, die alternde Gesellschaft sei schuld an allen Finanzproblemen, behauptet der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen, dass die Finanzlöcher im Steuer- und Sozialsystem noch weitaus größer wären. Er hat errechnet, dass der Schuldenstand von Bund, Ländern und Gemeinden bei 97,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) läge, und damit deutlich über dem derzeitigen Stand von 64,8 Prozent.

    Der Bevölkerungswissenschaftler Karl Schwarz hat von 1964 aus bis 2000 hochgerechnet und kam zu einem erstaunlichen Ergebnis: Deutschland hätte rund 100 Millionen Einwohner - ohne Zuwanderer. Tatsächlich betrug die Einwohnerzahl 2009 ca. 82 Millionen. Ursula Ernst

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