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Kommentar: Warum die Debatte um Heizungen und Klimakleber entgleist

Kommentar

Warum die Debatte um Heizungen und Klimakleber entgleist

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    Neue RAF? Ein Klimaaktivist sitzt in der Münchner Innenstadt auf der Fahrbahn.
    Neue RAF? Ein Klimaaktivist sitzt in der Münchner Innenstadt auf der Fahrbahn. Foto: Lennart Preiss, dpa

    Heizungs-Stasi und Klima-RAF, Heizungs-Hammer und Klima-Chaoten – der Ton in der Debatte um die beiden Aufregerthemen ist schrill, die Lautstärke bis zum Anschlag aufgedreht. Die Sprache entgleist, die Begriffe verlieren jedes Maß. Das geplante Verbot von Öl- und Gasheizungen und die Straßenblockaden der selbst ernannten "Letzten Generation" lassen nur wenige kalt. 

    Dennoch kann das Provokationspotenzial nur zum Teil erklären, warum eine übersteigerte Empörung um sich greift. Sowohl an den Aktionen der Aktivisten als auch an Robert Habecks Heizungsgesetz gibt es viel zu kritisieren. Aber dem Wirtschaftsminister wegen seiner Idee eines Heizungskatasters Stasi-Methoden zu unterstellen, ist verleumderisch. 

    Wer weiß, wie der ostdeutsche Geheimdienst das Leben Zehntausender in der DDR zerstörte und wie perfide die Spitzel vorgingen, der muss diese Wortwahl ablehnen. Besonders irritierend daran ist, dass der Stasi-Vorwurf aus dem Mund des Thüringer CDU-Chefs Mario Voigt kam, der 1977 in Jena geboren wurde. 

    "Letzte Generation" nicht mit RAF vergleichbar

    Völlig überzogen ist auch die Betitelung der Klima-Kleber als RAF. Die Rote Armee Fraktion blockierte nicht ein paar Straßen im Lande, sondern überzog es mit Terror, um das "Schweinesystem" zu stürzen. Ihre Brutalität kostete über 30 Menschen das Leben. Es war CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der den diskreditierenden Vergleich mit der Mördergruppe beförderte. 

    Die Spur des Terrors: Tatort der Entführung des damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer durch die Rote Armee Fraktion (RAF) in Köln.
    Die Spur des Terrors: Tatort der Entführung des damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer durch die Rote Armee Fraktion (RAF) in Köln. Foto: Wilhelm Bertram, dpa (Archivbild)

    Das Ziel dieser falschen Zusammenhänge im politischen Deutungskampf ist offensichtlich: Wenn die Klima-Aktivisten eine Art RAF werden könnten, dann muss der Staat mit voller Härte durchgreifen, was er dann am Mittwoch durch die Razzien auch tat. Im Falle Habecks ist es seinen Gegnern von Beginn an gelungen, sein Heizungsgesetz derart mit negativen Begriffen zu belegen, dass es für den Minister zu einem Fiasko geworden ist. 

    Die Bild-Zeitung hat sich auf den Anführer der Grünen eingeschossen und verkleinert damit auch seine Chancen, in zwei Jahren aussichtsreicher Kanzlerkandidat seiner Partei zu werden. Ohne Frage hat Habeck seinen Gegnern viel Angriffsfläche geboten, weil sein Vorhaben die Realität in den Heizungskellern des Landes einfach ausblenden wollte. 

    Eine Radikalisierung der Radikalisierungsbehauptung

    Neben dieser offensichtlichen Ebene der Verwahrlosung des gesellschaftlichen Streits gibt es eine zweite, verborgene. Der an der Universität Bremen lehrende Soziologe Nils Kumkar hat sie in einem Essay unter dem Titel "Radikalisierung der Radikalisierungsbehauptung" freigelegt. Darin beschreibt er, dass die Wortgewalt gegen die Klima-Kleber eine Abwehrstrategie ist, um sich nicht inhaltlich mit ihrem Anliegen auseinandersetzen zu müssen. Das wiederum resultiere aus dem Unbehagen heraus, dass der Klimawandel eigentlich einen Totalumbau von Wirtschaft und Gesellschaft erfordere, der aber politisch nicht durchsetzbar ist. 

    Genau diesen Wandel verlangen die Aktivisten und versuchen, die Politiker aber auch Jedermann, mit ihren nervenden Störaktionen aufzurütteln. Sie sind rigoros genug, oder, um es mit dem Bundeskanzler zu sagen "bekloppt", dass sich die Presse und die Politiker damit befassen müssen. Die Thematisierung beschränkt sich aber auf die Form des Protests und nicht seinen inhaltlichen Kern. Die Radikalisierung der Klima-Kleber wird ihnen unterstellt und mit verbaler Schärfe ausgeschmückt, obwohl sie seit Beginn ihre unerfreulichen Protestformen beibehalten haben. Sie beschmutzen Kunstwerke, sie blockieren Straßen und sie besudeln Parteizentralen und Ministerien mit Farbe. 

    Gegen Radikale kann man radikal vorgehen und darüber den Grund ihres Widerstands – die unzureichende Bekämpfung der Erderwärmung – hinten runterfallen lassen. Bei Habecks Gesetz ist der gleiche Mechanismus am Werk, weil die Abkehr von Öl und Gas im Heizungskeller extrem schwierig ist. Die Empörungsmaschine läuft immer schneller und ihr Lärm überdeckt das wahre Problem. 

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