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Debatte um Schuldenbremse im Bundestag: Friedrich Merz bekommt seine Mehrheit

Bundestag

Mehrheit für Finanzpaket: Am Ende lacht Friedrich Merz

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    Merz warb im Bundestag für das Gesetz, das Grundlage seiner Koalition sein soll.
    Merz warb im Bundestag für das Gesetz, das Grundlage seiner Koalition sein soll. Foto: Christoph Reichwein, dpa (Archivbild)

    In seiner letzten Rede im Bundestag hat der Abgeordnete Marcus Faber genau nachgezählt. 333 Parlamentarier, so sagt es der FDP-Mann aus Sachsen-Anhalt, werden die teuerste Entscheidung der jüngeren deutschen Geschichte treffen, obwohl sie abgewählt sind. Die Wähler haben Ende Februar anders entschieden, die 333 müssen gehen. Sie machen fast die Hälfte aller Abgeordneten aus. Faber ist einer von ihnen.

    Der 41-Jährige hält es für falsch, dass das alte Parlament eine finanzpolitische Kehrtwende beschließt, obwohl die neuen Abgeordneten an die Türen klopfen. Es sei kein Kantinenplan für die nächste Woche, der da zur Abstimmung stehe. Und dann zitiert Faber den SPD-Übervater Willy Brandt: „Demokratie ist keine Frage der Zweckmäßigkeit, sie ist eine Frage der Sittlichkeit“.

    Finanzpaket: Am Freitag steht noch die Entscheidung im Bundesrat an

    Weder Brandt und Faber noch seine FDP-Kollegen haben schließlich etwas ändern können. CDU/CSU, SPD und Grüne haben zusammen die Schuldenbremse derart gelockert, dass sie am Getriebe des Staates höchstens noch etwas schleift. Milliarden auf Pump werden die Bundeswehr aufrüsten, Milliarden auf Pump werden bröckelnde Straßen, Schienen und Schulen sanieren. 513 Stimmen dafür, 207 Stimmen dagegen, die Zwei-Drittel-Hürde von 489 locker genommen. Im neuen Bundestag wäre es wahrscheinlich nicht möglich gewesen, das gigantische Kreditprogramm zu beschließen. AfD und Linke haben zusammen eine Blockademehrheit. Über den Berg ist Friedrich Merz damit aber noch nicht. Am Freitag steht die Abstimmung im Bundesrat an.

    Marcus Faber ist nicht der Einzige, der Politiker aus anderen Parteien zitiert. Das verbindet die Redner in der Debatte. FDP-Fraktionschef Christian Dürr nimmt einen Satz von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann auf: „Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen.“ Und CDU-Chef Friedrich Merz gibt die Worte von SPD-Chef Lars Klingbeil wieder: „Geld allein löst noch kein Problem.“ Merz und Klingbeil wollen zusammen koalieren, weshalb das gegenseitige Zitieren nicht verwundert.

    Aber im Falle des CDU-Vorsitzenden und wahrscheinlich nächsten Bundeskanzlers ist die Sache mit dem Geld eine doppelte. Denn einerseits hätte Merz ohne das Geld ein Problem, andererseits hat Merz auch mit dem Geld ein Problem. Es ist ein Paradoxon wie Schrödingers Katze. Ohne wäre ein Bündnis mit der SPD nicht möglich, ohne würde das Regieren eine zähe Prozedur. Es ist also eine Bedingung für Merz, um den Schlüssel zum Kanzleramt zu bekommen.

    „Das ist in historischen Zeiten ein historischer Kompromiss“

    Lars Klingbeil, SPD-Chef

    Mit dem Geld allerdings wird offenbar, dass der 69-Jährige einen hohen Preis in Form seiner persönlichen Glaubwürdigkeit bezahlt hat und sich nun Wählertäuschung vorwerfen lassen muss. Während des Wahlkampfs hatte er sich zur Schuldenbremse und dem sparsamen Staat bekannt. Friedrich Merz will davon nichts mehr wissen. Dass sich seine Regierung mit Krediten vollsaugen will, erklärt er mit dem Wüten des neuen Herren im Weißen Haus – Donald Trump. Er hat die westliche Verteidigungsgemeinschaft erschüttert, viele sagen, aufgekündigt. Deutschland muss jetzt ran, meint Merz. Die Geschichte erfordere es. „Unsere Verbündeten in der Nato und der Europäischen Union schauen heute ebenso auf uns wie die Gegner und Feinde unserer demokratischen und regelbasierten Ordnung.“

    Klingbeil legt sich den Mantel der Geschichte um. „Das ist in historischen Zeiten ein historischer Kompromiss“, sagt er. „Vielleicht unterscheidet uns das von anderen Ländern.“ Vielleicht werde man irgendwann auf diesen Tag zurückblicken und sagen: „Wir sind anders abgebogen als viele andere Länder dieser Welt.“ Es sei aber nicht nur ein abstraktes Finanzpaket für Bundeswehr und Bundeshaushalt, „sondern es ist in erster Linie ein gigantisches Paket für die Bürgerinnen und Bürger“. Bei Klingbeil hört sich das von Merz entliehene Zitat so an: „Aber Geld alleine löst nicht die Herausforderungen, vor denen wir stehen.“ Die Bürokratie muss zurückgebaut werden, es brauche einen Mentalitätswechsel in Politik und Verwaltung: „Wir müssen als Staat besser werden.“

    Die Grünen rechnen mit Friedrich Merz ab – und helfen ihm doch

    Dass das gelingt, daran regen sich im Berliner Hauptstadtbetrieb große Zweifel. Wirkliche Reformen glücken nur, wenn es auf Messers Schneide steht. Als kein Gas mehr aus Russland floss, beispielsweise. Oder wie bei Gerhard Schröder, als fünf Millionen Arbeitslose vor der Tür standen. Im Osten Europas ist Krieg, aber den kämpft ein anderes Volk. Warum sollten deutsche Beamte plötzlich schneller arbeiten?

    Während die SPD großmütig über den Stimmungswechsel des künftigen Koalitionspartners hinweg sieht, sind die Grünen nicht ganz so gnädig. Fraktionschefin Britta Haßelmann nutzt einen großen Teil ihrer Redezeit, um die Union anzugreifen: „Herr Merz, ich muss Ihnen widersprechen“, beginnt sie ihre Rede. „Die Bedingungen sind keine anderen, als sie es am ersten Januar waren.“ Nach Neujahr hatte der Wahlkampf volle Fahrt aufgenommen, Donald Trump war schon gewählt. Doch die Union kämpfte eisern für die Schuldenbremse. „Und um noch eins draufzusetzen, haben Sie sich daran regelrecht berauscht“, klagt Haßelmann.

    Es ist ein weiteres Paradoxon dieses Tages, dass die Grünen zwar mit Merz abrechnen, aber ihm trotzdem die nötige Zweidrittelmehrheit beschaffen. „Kriegskredite mit Klimasiegel“, ätzt Sahra Wagenknecht in ihrer vorerst letzten Rede im Bundestag. Ihrem BSW haben am Ende 10.000 Wählerstimmen gefehlt, um den Sprung in das Parlament zu schaffen.

    Ein Ex-AfDler witzelt, Friedrich Merz lacht

    Am Ende der Debatte hat der fraktionslose Abgeordnete Robert Farle (Ex-AfD) das Wort. Auch er wird dem nächsten Bundestag nicht angehören. Farle teilt eine kleine Beobachtung über den designierten Kanzler. „Friedrich Merz hat nicht in allen Punkten gelogen“, sagt Farle. Merz hat Mühe, ein Lachen zu unterdrücken, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hat ein breites Grinsen im Gesicht. Und dann setzt Farle fort. „Er hat gesagt, er will Kanzler werden.“ Jetzt kann Friedrich Merz das Lachen nicht mehr zurückhalten.

    Die Pointe dieses Tages: In der Politik entscheiden sich Schwebezustände an der Frage der Macht. Macht haben ist besser, als sie nicht zu haben. Der Rest ist Gerede von gestern.

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    4 Kommentare
    Wolfgang Boeldt

    Der Mehrheit im Bundestag ist wohl das Frühstück nicht gut bekommen. https://www.youtube.com/watch?v=JRMEpw0rRiQ Anmerkung zur Zeile unter der Überschrift: nicht Merz zahlt einen hoihen Preis.

    Helmut Eimiller

    „Macht haben ist besser, als sie nicht zu haben. Der Rest ist Gerede von gestern.“ Diese Sätze passen überhaupt nicht zu Willy Brandts Sicht: „Demokratie ist keine Frage der Zweckmäßigkeit, sie ist eine Frage der Sittlichkeit“. Es mag für Merz erfreulich sein, im hohen Alter erstmalig ein Regierungsamt übertragen zu bekommen, für die Gesellschaft und auch seine Partei ist das höchstgefährlich. So stimme ich Chrupalla zu bei seiner Bewertung des Verhaltens vom „wirbellosen Merz“, der seine Glaubwürdigkeit bereits jetzt verloren hat. Demgemäß schleicht sich bei Wahlumfragen die AfD (+2,2%) an die Union (-1,5%) ran. – so heute unter ntv. Pistorius sieht das Problem der Union sogar noch etwas breiter mit seiner Feststellung über das Unions-Spitzenpersonal: „Sie haben kein Gewissen“. Weder Fisch noch Fleisch ist dagegen das Verhalten des ehemaligen Chefs der Jungen Union (Kuban), der in einem Brief an die Bundestagspräsidentin zu Protokoll gab, dass er gegen sein Gewissen zustimmt.

    Rainer Kraus

    Was für ein Witz, aus Olaf wurde Fritz ansonsten ändert sich nix.

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    Helmut Eimiller

    Beim „Olaf“ war im August von einer Budget-Lücke von zwölf Milliarden Euro zu lesen. Otto Fricke (FDP) nannte gestern bei WELT als Folge der Grundgesetzänderung 1.700 Milliarden Euro neue Schulden. Bei diesem Ergebnis kann die Schuldenbremse komplett gestrichen werden, denn eine noch höhere Neuverschuldung verhindern dann schon allein die hohen Risikoaufschläge beim Zinssatz. Vermutlich weil die Verteidigungsausgaben keine Obergrenze haben, werden künftig die Hilfen an die Ukraine („notfalls auch für die Ukrainer bezahltes Bürgergeld“) dort nachgewiesen. Und wenn die Grünen hoffen, in vier Jahren durch Regierungsbeteiligung wieder selbst über die Mittelverwendung entscheiden zu dürfen, dann spricht da der ntv-Trendbarometer 3 Wochen nach der BTW eine ganz andere Sprache: Die AfD hat den Abstand zur Union um 3,7 % verkürzt. Merkel und CDU hat zwar nicht gut gepasst; jetzt mit Merz (Mehrheitsmeinung: „kanzleruntauglich“) wird die Union sehr schnell den Status „Volkspartei“ verlieren.

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