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Debatte: Muss Deutschland aufrüsten?

Debatte

Muss Deutschland aufrüsten?

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    Angela Merkel 2010 beim Besuch in Afghanistan stationierter Soldaten.
    Angela Merkel 2010 beim Besuch in Afghanistan stationierter Soldaten. Foto: Bundesregierung/Steffen Kugler, dpa (Archiv)

    In ihrer verzweifelten Suche nach einem zündenden Wahlkampf-Slogan hat die SPD auf den letzten Metern ein Thema entdeckt, das die Deutschen erfahrungsgemäß in besonderem Maße umtreibt. Es ist die Angst, nach Jahrzehnten des Friedens unmittelbar in einen kriegerischen Konflikt verwickelt zu werden. Kanzlerkandidat Martin Schulz und Außenminister Sigmar Gabriel zeichnen in Reden das Bild einer Kanzlerin, die sich „dem Aufrüstungsdiktat Trumps“ (Schulz) beuge und den „irren Beschluss“ (Gabriel) der Nato vollziehe, die Verteidigungsausgaben Deutschlands bis zum Jahre 2024 auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen.

    Deutschland jedoch müsse, wie Gabriel im Bundestag erklärte, „die Stimme der Abrüstung“ sein, statt sich am Beginn eines „unheilvollen Wettrüstens“ (SPD-Fraktionschef Oppermann) zu beteiligen und an der Aufrüstungsspirale zu drehen. Die 30 Milliarden Euro, die zusätzlich für die Bundeswehr aufgebracht werden sollen, würden dringend für andere und sinnvollere Aufgaben benötigt. Stattdessen wolle die Kanzlerin die Bundeswehr zur mit Abstand größten, die Nachbarn beunruhigenden Armee Europas machen.

    Die Attacken auf Angela Merkel sind gewürzt mit einer Prise Antiamerikanismus und ein bisschen Trump-Bashing – beides kommt, wie die Wahlkampfstrategen der SPD vermuten, gut an. Der irrlichternde US-Präsident, der seinen Nato-Kollegen im Mai eine ruppige Standpauke gehalten und indirekt damit gedroht hat, ihnen den Schutz der USA zu entziehen, bietet ja tatsächlich eine prächtige Angriffsfläche. Die Stilisierung Merkels zur willfährigen Helferin Trumps ist allerdings rein taktischem Kalkül geschuldet. Wobei in schöner Regelmäßigkeit das Wort „Unterwerfung“ fällt – eine Vokabel, die besonders eindringlich wirkt und interessanterweise nie im Zusammenhang mit dem Verhältnis zum russischen Präsidenten Putin benutzt wird.

    Aufrüstung? Das ist dran an den Vorwürfen gegen Merkel

    Was ist dran an den schweren Vorwürfen, Merkel exekutiere willenlos die Forderung Trumps, den deutschen Verteidigungsetat von derzeit knapp 38 Milliarden (das entspricht 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) auf rund 70 Milliarden aufzustocken? Zu den Fakten:

    Erstens: Der umstrittene Nato-Beschluss vom Mai 2014, der unter dem Eindruck der Ukraine-Krise insbesondere auf Drängen des Trump-Vorgängers und Friedensnobelpreisträgers Barack Obama zustande kam, erfolgte mit der Zustimmung der schwarz-roten Bundesregierung und mit dem Segen der SPD und ihres damaligen Außenministers Steinmeier. Die SPD war in alle Beschlüsse eingebunden und hat auch das „Weißbuch“ der Bundeswehr, in dem das Zwei-Prozent-Ziel bekräftigt wird, unterschrieben.

    Zweitens: Im Nato-Beschluss heißt es, die Staaten sollten sich dem Zwei-Prozent-Ziel bis 2024 „annähern“. Im Moment erfüllen nur fünf der 28 Nato-Staaten das einvernehmlich angepeilte Soll. Angela Merkel spricht von einer „maßvollen Erhöhung“ des deutschen Etats. 2017 war es ein Plus von acht Prozent. In der mittelfristigen Finanzplanung der Bundesregierung steigt der Verteidigungshaushalt nur geringfügig an. Im Lichte dieser Zahlen findet es CDU/CSU-Fraktionschef Kauder geradezu „schäbig, von Aufrüstung zu reden“.

    Drittens: Auch die SPD erkennt den erhöhten Bedarf an. Schulz spricht von drei bis fünf Milliarden Euro, die zusätzlich für eine bessere Ausrüstung und mehr Personal nötig seien. Wer die Soldaten in Auslandseinsätze schickt, muss sie auch mit dem nötigen Gerät ausstatten.

    Viertens: Schulz sagt, dass sich Deutschlands Nachbarn vor dem Aufstieg Deutschlands zur „größten Militärmacht“ Europas fürchteten. Allerdings dringen gerade Frankreich und Polen auf einen deutlich höheren militärischen Beitrag Deutschlands in der Allianz des Westens.

    Fünftens: Bisher bestand weitgehend Einigkeit darin, dass die Bundesrepublik international „mehr Verantwortung“ übernehmen und im Notfall auch in der Lage sein soll, militärisch zu intervenieren. Als „Ultima Ratio“, wie es der frühere Bundespräsident Gauck ohne Widerspruch seitens der SPD wiederholt formulierte. Gerade weil Trump kein verlässlicher Sicherheitspartner sein könnte, muss Europa alles daransetzen, seine Verteidigungsfähigkeit aus eigener Kraft zu sichern. Auch hierin war man sich zwischen CDU/CSU und SPD bis zum Wahlkampf einig.

    Sechstens: Die geplante Aufstockung des Verteidigungshaushalts geht eins zu eins mit einer Erhöhung des Entwicklungshilfe-Etats einher, womit die Regierung einem „umfassenden Sicherheitsbegriff“ (Minister Gerd Müller) Rechnung trägt. Ziel ist es, 0,7 Prozent des BIP insbesondere auch in die Hilfe für Afrika zu stecken.

    Die Zeichen stehen erst mal nicht auf Abrüstung

    Soweit die Fakten. Jenseits der diskutablen Frage, ob Deutschland tatsächlich zwei Prozent des BIP (nach heutigem Stand: 70 Milliarden) in die Verteidigung stecken soll, wirkt das SPD-Szenario einer geradezu aufrüstungsbesessenen, Trump blind folgenden Kanzlerin doch ziemlich weit hergeholt.

    Und natürlich wäre es schön, wenn die großen Mächte wieder mehr über Rüstungskontrolle und Abrüstung reden würden und Deutschland dazu einen Beitrag leisten könnte. Andererseits sieht es nicht so aus, als ob die Nato ihre Verteidigungsanstrengungen demnächst reduzieren könnte. Die Welt ist seit jenem Nato-Gipfel im Mai 2014 eher noch unsicherer geworden; nach dem mutmaßlichen Verstoß Russlands gegen den INF-Abrüstungsvertrag von 1987 droht sogar ein neues nukleares Wettrüsten. Vielleicht hat es mit dieser gefährlichen Lage zu tun, dass die SPD mit diesem Thema in den Umfragen noch nicht punkten konnte.

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