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Debatte: Bundestag lässt Sterbehilfe in der Grauzone

Auf Fragen, die um Leben und Tod kreisen, gibt es keine einfachen Antworten, und an einer besonders schwierigen ist nun auch der Deutsche Bundestag gescheitert: Wie soll die Beihilfe zum Suizid künftig gesetzlich geregelt werden? Das bleibt weiter offen. Die Sterbehilfe verharrt in ihrer rechtlichen Grauzone, in der sie sich bereits seit mehr als drei Jahren befindet. Anfang 2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht das fünf Jahre zuvor beschlossene Verbot der "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" für nichtig. Das Gericht betonte, dass zur Freiheit, sich das Leben zu nehmen, die Ausdruck des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben sei, auch die Freiheit gehöre, "hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen". Seither ringt der Bundestag vergeblich um eine Neuregelung, die Ärzten und Sterbehilfe-Vereinen Rechtssicherheit bietet. 

Beide Anträge zur Sterbehilfe scheitern im Bundestag

Nach einem längeren Prozess, bei dem wie üblich, wenn es um Ethik und Gewissen geht, Fraktions- und Parteigrenzen keine Rolle spielten, standen am Donnerstag schließlich zwei Vorschläge zur Abstimmung. Zunächst scheiterte der Entwurf der Abgeordneten um Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU). Er sah vor, die Beihilfe zum Suizid auch künftig grundsätzlich unter Strafe zu stellen, aber genau geregelte Ausnahmen zu ermöglichen. Anschließend blieb auch der Vorschlag einer Gruppe um Renate Künast (Grüne) und Katrin Helling-Plahr (FDP) ohne die erforderliche Mehrheit. Nach ihrer Vorstellung sollte es künftig keine strafrechtliche Regelung zur Suizidassistenz geben. Auch ein psychiatrisches Gutachten vor einer Suizid-Entscheidung, das die Gruppe um Castellucci und Heveling verpflichtend einführen wollte, wurde abgelehnt.

Beihilfe zum Suizid, um die es in der Debatte geht, bedeutet, dass sterbewilligen Menschen bei der Selbsttötung geholfen wird – etwa indem ein tödliches Medikament beschafft oder zur Verfügung gestellt wird. 2021 halfen deutsche Sterbehilfe-Vereine bei rund 350 Suiziden. Bei der – in Deutschland verbotenen – aktiven Sterbehilfe verabreicht dagegen jemand anderes dem Patienten ein tödliches Mittel. Erlaubt ist die sogenannte passive Sterbehilfe, die etwa im vom Patienten gewünschten Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen bestehen kann. 

Wie frei fällt die Sterbehilfe-Entscheidung wirklich?

Den Knackpunkt in der Kontroverse bildete letztlich die Frage, wie das vom Verfassungsgericht betonte Recht auf selbstbestimmtes Sterben in der Praxis gehandhabt werden soll. Wie andere Rednerinnen und Redner wies Stephan Pilsinger (CSU) darauf hin, dass Selbstmorde oft in absoluten psychischen Ausnahmesituationen begangen werden, etwa in akuten Depressionen, die aber behandelbar seien.

Viele, die Suizidversuche überlebten, seien später froh darüber. Pilsinger berichtete aus seiner Erfahrung als in Altenheimen tätiger Allgemeinarzt, dass Sterbehilfevereine auch mit der Frage an die Bewohner herantreten, ob diese ihren Angehörigen weiter zur Last fallen wollten. Er warb für den Antrag von Castellucci. Der sprach von einem Schutzkonzept, "das den freien Willen des Menschen in den Mittelpunkt stellt". Wer diesen Schutz aber verletze, mache sich strafbar. 

Renate Künast warnt vor "Strafrechtsweg"

Der Staat müsse den Menschen auch die "Freiheit zu sterben" lassen, argumentierte dagegen der FDP-Politiker Otto Fricke. Das Verfassungsgericht habe dieses Recht festgestellt. Die Entscheidung, das eigene Leben zu beenden, sei "Akt autonomer Selbstbestimmung und von Staat und Gesellschaft zu akzeptieren". Falls der Castellucci-Antrag Gesetz werde, sei klar, dass es vor dem Verfassungsgericht keinen Bestand haben werde. Renate Künast (Grüne) warnte davor, den "Strafrechtsweg" zu gehen. Wenn Selbstmord ein Grundrecht sei, könne "die Hilfe dazu nicht strafbar sein". 

Einer der Schwere des Themas durchaus angemessene, würdevoll und fair geführte Debatte, in der beide Seiten eindringlich für ihre jeweiligen Entwürfe warben, folgte in der namentlichen Abstimmung schließlich Ernüchterung: Beide Anträge scheiterten. 

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie, der gegenüber unserer Redaktion Zweifel an beiden Varianten geäußert hatte, sprach von einer "Chance, nun zu überzeugenderen Lösungen zu kommen". Beide Entwürfe hätten wichtige ethische und praktische Fragen offengelassen. "Bei einer gesetzlichen Regelung des assistierten Suizids sollten Selbstbestimmung und Lebensschutz gut ausbalanciert werden." Ein großer Erfolg sei deshalb, was der Bundestag am Donnerstag dann doch mit breiter Mehrheit beschloss: dass die Suizidprävention deutlich verbessert werden soll. 

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