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Das Ende von Baschar Al-Assad löst eine neue Zeitrechnung im Nahen Osten aus

Kommentar

Eine neue Zeitrechnung im Nahen Osten

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    Ist jetzt syrische Geschichte: Diktator Baschar Al-Assad.
    Ist jetzt syrische Geschichte: Diktator Baschar Al-Assad. Foto: Omar Albam/AP

    Der Sturz des Assad-Regimes in Syrien ist eine historische Zäsur wie das Ende von Saddam Hussein 2003 oder die Entmachtung des Schahs im Iran 1979. Im Nahen Osten beginnt damit eine neue Zeitrechnung. Wie das Machtvakuum nach Assads Flucht gefüllt wird, entscheidet nicht nur über die Zukunft Syriens. Von der Antwort auf die Frage, ob in Damaskus ein echter Neuanfang bevorsteht oder nur die nächste Diktatur, hängt auch ab, ob Flüchtlinge aus Europa heimkehren werden. Zudem verändert sich die machtpolitische Landkarte der Region. Der Iran und Russland sind krachend gescheitert, die Türkei triumphiert.

    Die ersten Zeichen am Sonntag waren ermutigend. Anders als Assad hatte Ministerpräsident Mohammed Dschalali den Schneid, in Damaskus zu bleiben, die Niederlage des Regimes einzugestehen und die Macht formell an die Rebellen zu übergeben. Die Geste war vielleicht nur der Versuch eines Apparatischiks, seine Haut zu retten. Doch Dschalali verhinderte damit viel Blutvergießen und Chaos. Zwar gab es am Sonntag vereinzelt Plünderungen. Gemessen an der Brutalität des Assad-Regimes und den vielen offenen Rechnungen aus Jahrzehnten der Unterdrückung grenzte es aber an ein Wunder, dass massenhafte Racheakte an Regimevertretern ausblieben.

    Noch kann viel schief gehen. Dscholanis siegreiche islamistische Gruppe HTS verspricht ein Syrien für alle Bürger. Nun muss sie beweisen, dass es ihr mit dem Pluralismus ernst ist und dass sie extremistische Kräfte, die einen sunnitischen Gottesstaat fordern, im Zaum halten kann oder will. Offen ist auch, wie ein friedliches Zusammenleben der sunnitischen Mehrheit mit den Christen und der bisher herrschenden Minderheit der Alawiten organisiert werden kann. Zu klären ist weiter, ob die syrischen Kurden im Nordosten des Landes die seit Langem geforderte Selbstverwaltung erhalten – und wie der Nachbar Türkei darauf reagiert.

    Machtwechsel in Syrien: Der große Gewinner ist die Türkei

    Die Türkei und ihr Präsident Recep Tayyip Erdogan sind die großen Gewinner außerhalb Syriens. Ankara ist der wichtigste Unterstützer der syrischen Rebellen und hat deshalb die besten Chancen, die Entwicklung zu seinen Gunsten zu lenken. Die türkische Wirtschaft könnte sich am anstehenden Wiederaufbau gesundstoßen. Die arabischen Staaten werden ebenfalls versuchen, ihren Einfluss geltend zu machen. Länder wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate dürften alles daran setzen, den Iran aus Syrien zu drängen, und wollen wie die Türkei am Wiederaufbau mitverdienen. Auch Israel wird darauf pochen, dass der iranische Einfluss in Syrien sinkt.

    Iran und Russland sind die großen Verlierer. Teheran hat mit dem Sturz des Assad-Regimes eine seiner wichtigsten Säulen im Nahen Osten verloren. Schon die Niederlage der Hisbollah gegen Israel hatte vor kurzem einen anderen Stützpfeiler der iranischen Strategie weggeschlagen. Jetzt ist der so genannte schiitische Halbmond – der iranische Einflussbogen von Teheran über den Irak und Syrien bis zur Mittelmeerküste – endgültig zerbrochen. Dass Teheran weder der Hisbollah noch Assad zur Hilfe eilte, entlarvt die Islamische Republik als Papiertiger, auch in den Augen der noch verbliebenen Partner.

    Ähnliches gilt für Russland. Herrscher in Afrika und anderswo werden registrieren, dass Moskau seinen Schützling Assad nicht retten konnte oder wollte. Der Kreml wird zwar versuchen, die russische Luftwaffenbasis und den Flottenstützpunkt an der syrischen Küste zu behalten, doch das ändert nichts an der Demütigung für ein Land, das mit seinem Kriegseintritt an Assads Seite vor neun Jahren seinen Anspruch auf eine Rolle als Ordnungsmacht im Nahen Osten anmeldete. Für Europa ergibt sich dagegen eine neue Chance, sich im Nahen Osten Gehör zu verschaffen. Während die USA, wie vom designierten Präsidenten Donald Trump angekündigt, ihr Engagement in Syrien weiter herunterfahren wollen, kann die EU mit Geld für den Wiederaufbau die neue Regierung in Damaskus unterstützen und eine geregelte Rückkehr von Flüchtlingen organisieren. In diesem Fall würde die syrische Revolution sogar Europa verändern.

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    1 Kommentar
    Rainer Kraus

    .........und spätestens in einem Jahr geht der "Zirkus der Unzufriedenheit" wieder los, wenn die Menschen merken, dass sich nicht geändert hat.

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