Abends geht Christine Domek-Rußwurm oft stundenlang im Fernsehen auf Sendung. Hunderttausende Teleshopping-Fans kennen sie seit über 20 Jahren und verfolgen, wie die „Ordnungsqueen“ mit ihrem angenehmen bayerischen Plauderton auf HSE Haushaltshelfer anpreist. In ihrer Heimat Frasdorf ist die 53-Jährige dagegen bekannt als engagierte Gemeinderätin, CSU-Ortsvorsitzende – und seit vielen Jahren als überzeugte Flüchtlingshelferin vor Ort. „Für die meisten bin ich wohl einfach eine Gschaftlhuberin“, sagt Domek-Rußwurm lachend mit ihrer entwaffnenden Herzlichkeit.
Mit Anfang 20 musste die gebürtige Rosenheimerin sich erst einmal selbst integrieren, als sie ins ein paar Kilometer entfernte Frasdorf zog. „Ich bin ein Stadtkind, bin sehr jung Mama geworden und hab dann aufs Dorf geheiratet“, erzählt sie. „Das war für mich damals wirklich eine andere Welt. Mir wurde gleich gesagt: Du musst in den Trachtenverein.“
Wie Christine Domek-Rußwurm Flüchtlingshelferin wurde
Bayerischer als den Landkreis Rosenheim mit seiner Bilderbuchlandschaft des Chiemgaus kann man sich den Freistaat kaum vorstellen. Die traditionsbewusste Gegend gilt als Bastion der CSU: Der Landkreis stellt den mitgliederstärksten Kreisverband der Partei. Es dauerte nicht lange, bis die damalige Vorsitzende der „Frauen Union“ von Frasdorf die moderne Zugezogene in die Partei holte. Schnell stieg Domek-Rußwurm zur örtlichen CSU-Vorsitzenden und stellvertretenden. Kreisvorsitzenden auf. „Ehrenamtliche sind ja immer gefragt“, sagt sie. Doch als sie 2014 in den Frasdorfer Gemeinderat gewählt wurde, kam es zu einem entscheidenden Wendepunkt in ihrem Leben.
Gefühlslage der Nation
Wahlen werden inzwischen mehr denn je auf den letzten Metern entschieden, und oft sind es nicht Programme, die den Ausschlag geben, sondern Stimmungen und Emotionen. Deshalb haben wir uns entschieden, in unserer Wahlserie Gefühle in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht um Mut, Überforderung, Glück, Hoffnung und Angst, die Menschen hinter diesen Gefühlen und um Politik. Alle Teile der Serie sammeln wir auf einer Übersichtsseite, auf der Sie jeden Tag bis zur Wahl am 23. Februar eine neue Folge finden.
„Ich dachte, ich bin im falschen Film“, erinnert sie sich an die Bürgerversammlung, als ein Frasdorfer Wirt sich den Bürgern erklären musste, weil er künftig Zimmer als Unterkunft für Asylbewerber vermieten werde. Der erste Redner habe mehr Straßenlaternen gefordert, um die Menschen an der Bushaltestelle vor möglichen Verbrechen zu schützen. Eine nächste Frage habe geheißen: „Dürfen die denn frei rumlaufen?“ Als der Wirt dann noch versprechen wollte, einen Zaun bauen zu wollen, kippte die Stimmung der frischgebackenen Gemeinderätin endgültig.„Ich bin da wirklich innerlich explodiert“, sagt Domek-Rußwurm. „Ja sagts a’mal, schämts ihr Euch nicht?“, fuhr sie die Kritiker an. „Ihr, die Ihr alle in der Kirche beklagt, dass Maria und Josef weggeschickt wurden? Und jetzt gilt das nicht mehr, weil Maria und Josef vielleicht dunkelhäutig sind?“
Eine Konsequenz des Abends war, dass man im Gemeinderat schnell einig war, wer künftig das wenig populäre Amt des Asylbeauftragten übernehmen soll: CSU-Frau Domek-Rußwurm. „Als der Anruf kam, die ersten sind eingetroffen, wusste ich nicht, was mich erwartet“, erinnert sie sich. Aber als sie die jungen „unbegleiteten Flüchtlinge“ sah, manchmal mit Badelatschen im Schnee, war ihr klar, dass sie helfen musste. „Da wusste ich, das ist mein Platz, ich muss hier was tun!“
Einst sprach ihr Angela Merkel aus dem Herzen, dann verflog die Euphorie
Im Chiemgau kamen mit den Monaten immer mehr Flüchtlinge an. Schlepper setzten sie manchmal direkt an der Autobahn hinter der deutsch-österreichischen Grenze aus. Domek-Rußwurm organisierte mit ihren Mitstreitern eine weitere Versammlung, diesmal als „Kennenlernfest“. Landrat, Polizeichef und andere stellten sich kritischen Fragen. Zugleich gab es Blasmusik, Brotzeit und von den Flüchtlingen aus Syrien, Somalia, Eritrea und anderen Ländern gekochte Spezialitäten. Die Veranstaltung mit hunderten Besuchern lief besser als erwartet. Die Zahl der ehrenamtlichen Helfer stieg.

„Damals hat mir Frau Merkel noch mit ihrem ,Wir schaffen das’ aus dem Herzen gesprochen“, sagt Domek-Rußwurm. „Doch mit den Jahren ist die Euphorie überall immer mehr gewichen und die Ehrenamtlichen wurden weniger.“ Sie habe sehr viele positive Beispiele erlebt, wie sich Menschen bestens integriert und seit zehn Jahren feste Arbeit in der Region hätten. „Aber es gibt auch Fälle, wo man total scheitert, das muss man abschütteln“, sagt sie. „Ich begleite diejenigen gern, die vorankommen wollen.“ Bei anderen ärgere sie sich, wenn sie nach Jahren nicht ordentlich Deutsch lernten. „Dann denke ich: Wieso muss ich Dir immer noch Deinen Brief vorlesen? Das mache ich für bestimmte Personen nicht mehr!“
„Jede Woche kommt ein Bus mit neuen Geflüchteten“
Nach ihrem Eindruck hat sich zudem die Haltung vieler Flüchtlinge verändert. Anders als bei jenen der ersten Generation von 2015, treffe sie bei den neu Ankommenden immer öfter auf eine steigende Anspruchshaltung gegenüber dem deutschen Staat, was Unterkunft und Leistungen angehe. „Ich finde die Einführung der Bezahlkarte richtig“, begrüßt die CSU-Politikerin die Maßnahme, Sachleistungen statt Bargeld auszugeben. „Wir sind oft zu großzügig und zu wenig zielgenau“, sagt Domek-Rußwurm. Als Vorsitzende der „Rosenheimer Aktion für das Leben“ setzt sich inzwischen genauso für deutsche wie andere Familien mit ehrenamtlicher Sozialarbeit ein. Sie kennt die wachsenden Verteilungskämpfe in der Gesellschaft bei immer teureren Lebenshaltungskosten und der Krise am Wohnungsmarkt aus nächster Nähe. „Die Not wird größer“, sagt die Kommunalpolitikerin. „Und jede Woche kommt ein Bus mit neuen Geflüchteten vor dem Landratsamt an.“
Die Trägheit, mit der die große Politik auf die Probleme reagiere, habe den Unmut in der Bevölkerung gären lassen. „Richtig laut platzt die Wut seit den grausamen Verbrechen heraus“, sagt sie und billigt den Kurs von CDU-Chef Friedrich Merz. „Ich hätte die Kritik an dem Vorgehen im Bundestag verstehen können, wenn man den Antrag zusammen mit der AfD formuliert hätte, aber das war nicht der Fall“, betont die Gemeinderätin.
Für manchen Betrieb ist der Flüchtlingshelferkreis wichtiger als das Arbeitsamt
Doch da gibt es auch noch die andere Seite des vielschichtigen Themas Migration: Domek-Rußwurm ist angesichts des Arbeitskräftemangels mehr denn je gefragt bei den örtlichen Betrieben. Etwa bei Florian Lerche, der in fünfter Generation den Gasthof Alpenrose am Samerberg führt, dessen moderne bayerische Küche sogar der Guide Michelin empfiehlt. „Wenn ich hier einen Mitarbeiter suche, hat mir das Arbeitsamt noch nie jemand vorbeigeschickt“, sagt der 43-Jährige. „Ohne die Unterstützung der Flüchtlingshelferkreise ginge hier kaum noch etwas in der Gastronomie“, betont er. Lerche ist stolz auf sein Multikulti-Team. Seine rechte Hand in der Küche stammt aus Eritrea. Sein Jungkoch Noah Hansen, der als Adoptivbaby aus Kenia nach Bayern kam, ist mit seinen Kochvideos im breiten Bairisch inzwischen ein Internetstar und war jüngst in der BR-Show „Ringlstetter“.
Auch Domek-Rußwurm ist stolz auf die Integrationsarbeit im Chiemgau. „Eigentlich läuft es hier bei uns im Großen und Ganzen ganz gut“, sagt sie. Die Lage sei oft besser als die Stimmung. „Es gibt allerdings viel zu tun, um die Geflüchteten zu integrieren, die hier mit uns künftig leben werden“, betont die Helferin. „Und es gibt viel zu tun, um die Menschen zu verabschieden, die die Voraussetzungen nicht erfüllen“, fügt sie illusionslos hinzu.
Als Teil unserer Bundestagswahl-Serie schauen wir uns auch die Parteiprogramme genauer an und dröseln auf, wie die Parteien zu unterschiedlichen Sachthemen stehen.

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