Draußen vor der Halle, im Fanshop der CSU, kann man sich aussuchen, ob man den weiß-blauen Lautsprecher lieber in klein oder gleich als XL-Version möchte. Drinnen nicht. Markus Söder dreht den Regler auf maximale Lautstärke. Kurz vor Beginn des Parteitags twittert der CSU-Chef ein Foto von seinen Notizen. „30 Seiten Union pur!“, verspricht er. Es werden 30 Seiten Söder pur.
Der Franke hat hier ein Heimspiel. Nicht nur, weil sich die CSU bei ihm zu Hause in Nürnberg trifft, sondern auch, weil er die eigenen Leute im Endspurt des Wahlkampfs hinter sich hat. Nur gegen wen? Dass man in Bayern nicht zufrieden mit Kanzlerkandidat Armin Laschet ist, lässt sich längst nicht mehr verbergen. Noch reißen sich die meisten einigermaßen zusammen. Aber es brodelt.
Söder hält die Rede eines Kanzlerkandidaten, der aus unerfindlichen Gründen keiner werden durfte. Er braucht keine Minute, um zum ersten Mal vor einem drohenden Linksrutsch nach der Bundestagswahl zu warnen. Das sei keine Rote-Socken-Kamapgne, aber die früheren SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher, Willy Brandt und Helmut Schmidt würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie erleben müssten, dass ihre Partei mit den Linken gemeinsame Sache machen könnte, sagt Söder – und zitiert im gleichen Atemzug den ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer mit den legendären Worten „Wir wählen die Freiheit!“ Spätestens hier wird klar, in welcher Liga hier gespielt wird. Adenauer, Schmidt, Brandt, Söder – Bundeskanzlerliga.
Was ist, wenn Laschet scheitert?
Kanzler soll aber ja eben nicht er selbst werden. Und weil der CSU-Chef weiß, dass die Medien auf solche Momente warten, diktiert er ihnen unter großem Applaus einen Satz in die Blöcke und Tastaturen: „Für alle Journalisten zum Mitschreiben: Wir wollen Armin Laschet als Kanzler haben statt Olaf Scholz oder Annalena Baerbock.“ Ist hiermit notiert.
Doch was passiert, wenn der Unionskanzlerkandidat scheitert? Darüber denkt natürlich auch Söder nach. Allerdings nur, wenn die Mikrofone und Kameras aus sind. Für den Moment hat er eine andere Botschaft: „Wir setzen auf diesem Parteitag einen neuen Trend. Wir werden den Linken zeigen, dass wir noch nicht aufgegeben haben. Ich habe keinen Bock auf Opposition.“ Keine Frage, Söder kann Bierzelt. Olaf Scholz als Schuldenkanzler. SPD-Gruselkabinett statt Schattenkabinett. Grüne Umerziehungsmoral. Gender-Gaga. Anton Hofreiter, der sich seit Jahren erfolgreich weigert, die Leistungen des bayerischen Friseurhandwerks in Anspruch zu nehmen. Die CSU als Kämpferin für die Leberkäs-Etage – und nicht die Kaviar-Etage. Volksfeststimmung!
Als Söder fertig ist, wird es laut. So laut, dass selbst der Pappaufsteller von Franz Josef Strauß am Eingang ein bisschen zu zittern scheint. Und alle in der Halle spüren: Dieser Mann hat sich längst nicht damit abgefunden, dass ein paar ältere Herren in der CDU ihn, für den es doch nur Hauptrollen gibt, zum Nebendarsteller degradiert haben. Draußen im Fanshop gibt es übrigens auch einen Söder-Meterstab. Ob er ausreichen würde, um das versammelte Selbstbewusstsein in der Messehalle zu ermessen, darf in diesem Moment bezweifelt werden. Mit 87,6 Prozent der Stimmen wird er als Parteichef bestätigt. Ein ordentliches Ergebnis angesichts des Umfragetieffluges der Union - aber nicht ganz so gut wie beim letzten Mal, als er sogar 91,3 Prozent geholt hatte.
Würde Söder nochmal als Kanzlerkandidat antreten?
Wie das alles ausgeht? Auch wenn sich die Laschet-Begeisterung in der CSU im kaum noch messbaren Bereich bewegt, gefällt nicht allen die aktuelle Kraftprobe mit der Schwesterpartei. Und im Umfeld des Kanzlerkandidaten vermeidet man es derzeit lieber, den Namen des bayerischen Ministerpräsidenten auch nur in den Mund zu nehmen. Doch es ist nicht ausgeschlossen, dass das Drehbuch dieser spannendsten Bundestagswahl aller Zeiten doch noch eine Überraschung, eine neue Rolle für Söder vorgesehen hat. Auch wenn der CSU-Chef selbst abwinkt – nicht wenige in der Union können sich vorstellen, dass er einen neuen Anlauf aufs Kanzleramt nimmt. Spätestens in vier Jahren.
Noch ist es nicht so weit, noch hofft die Union, dass sich Armin Laschet irgendwie ins Ziel retten kann. Um zumindest nach außen hin die Kulisse aufrecht zu erhalten, dass die Schwesterparteien Seite an Seite kämpfen, geben die beiden Generalsekretäre Paul Ziemiak und Markus Blume Stunden vor dem Parteitag noch ein gemeinsames Statement ab – „maximale Geschlossenheit“ und so weiter. Es verrät eine Menge über das angespannte Verhältnis zwischen CDU und CSU, dass dies überhaupt nötig wurde. Der real existierende Kanzlerkandidat kommt erst am Samstag nach Nürnberg. Dann wird sich zeigen, ob sein Gastgeber der Versuchung widerstehen kann, Laschet einmal mehr als zweitbeste Lösung wirken zu lassen, die die Union zu bieten hat.
Aussichten sind auch für die CSU trüb
Doch es geht ja nicht nur um Berlin, sondern auch um Bayern. Die nächste Landtagswahl ist der einzig wahre Gradmesser für die CSU. Auch hier sind die Aussichten allerdings trüb. Söder lässt sich davon nicht beirren. Er verteidigt seinen Kurs, gerade in der Corona-Politik, und bedankt sich bei seinen Mitstreitern: „Selbst in den schwersten Stunden wusste ich, dass ich von euch getragen werde.“ Man bleibe im Team Vorsicht, „wir sind aber nicht das Team stur“, sagt Söder und zitiert aus Hass-Nachrichten an ihn. „Dreckiger Nazi. Wir vergewaltigen deine Alte. Du kaputteste Judensau aller Zeiten.“ Für einen Moment wird es still im Saal. Dann schickt Söder eine Kampfansage an Rechtsradikale, Querdenker und Judenhasser: „Wir lassen uns nicht einschüchtern und bedrohen. Wer die Demokratie angreift, muss mit unserem erbitterten Widerstand rechnen.“ So muss man das sagen - egal ob man Kanzler werden will oder nicht.