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Corona: Wie viele Booster-Impfungen braucht man?

Interview

Immunologe Watzl erklärt, wie viele Booster-Impfungen sinnvoll sind

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    Carsten Watzl ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie
    Carsten Watzl ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie Foto: dpa (Archivbild)

    Herr Professor Watzl, warum ist Omikron harmloser als die Delta-Variante? Liegt das nur an der Virusmutation oder hat das auch mit dem Immunsystem zu tun?

    Carsten Watzl: Der größte Teil der Harmlosigkeit von Omikron liegt daran, dass so viele Menschen geimpft sind. Das geht in der aktuellen Diskussion etwas unter. Die Omikron-Variante ist zwar verglichen mit der Delta-Variante ein etwas harmloseres Virus. Es ist das erste Mal in der Pandemie, dass es einen Rückschritt bei der Gefährlichkeit einer schweren Erkrankung bei einer sich verbreitenden Variante gibt. Gleichzeitig kann Omikron mehr als alle bisherigen Varianten auch geimpfte und auch geboosterte Menschen anstecken, die aber vor schweren Verläufen geschützt sind. Deshalb erleben wir eine sehr hohe Inzidenz ohne einen starken Anstieg der Intensivfälle. Doch bei den nicht geimpften Infizierten sinkt das Risiko einer schweren Erkrankung nur um 25 Prozent im Vergleich zur Delta-Variante. Sie sind nach wie vor gefährdet.

    Momentan steigen die Intensivpatientenzahlen kaum. Liegt dies auch an den Schutzmaßnahmen?

    Watzl: Hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Die Omikron-Welle tobt sich aktuell bei den Jüngeren aus. Bei Kindern und Jugendlichen gibt es derzeit deutschlandweit Inzidenzen von über 3000. Diese Altersgruppe hat jedoch ein relativ geringes Risiko, schwer zu erkranken. Bei der besonders gefährdeten Altersgruppe der über 60-Jährigen ist die Welle bislang kaum angekommen, da liegen die Inzidenzen im dreistelligen Bereich bei einer höheren Impfrate. Das spricht dafür, dass es uns derzeit gelingt, das Virus von den vulnerablen Gruppen fernzuhalten. Die Altersgruppen über 50 und 60 haben ohne Impfung weiter ein hohes Risiko, schwer zu erkranken. Man sieht in den USA bei einer nicht besonders hohen Impfquote momentan wieder sehr hohe Todeszahlen, in Dänemark mit einer sehr hohen Impfquote sinkt die Zahl der Neuaufnahmen auf den Intensivstationen trotz explodierender Inzidenzen. Das zeigt, dass die Impfrate einen entscheidenden Faktor in der Omikron-Welle ausmacht.

    Lockerungen sind laut Experten Risiko für Ungeimpfte

    Was bedeutet das für künftige Öffnungsschritte in Deutschland?

    Watzl: Bei den derzeitigen Impfquoten und Inzidenzen müssen die vulnerablen Altersgruppen weiterhin besonders geschützt bleiben, sonst bekommen wir ein Problem in den Krankenhäusern. Schon jetzt ist es ein Problem, dass viele Corona-Infizierte auf den normalen Stationen liegen. Auch die Infizierten, die nicht wegen einer Covid-Erkrankung, sondern aus anderen Gründen dort aufgenommen wurden, müssen von anderen Patientinnen und Patienten isoliert werden. Hier muss man aufpassen, dass man dieses Problem durch frühzeitige Öffnungsschritte nicht noch verstärkt. Wenn die Vorhersagen der Modellierer richtig sind und Deutschland Mitte Februar den Zenit der Omikron-Welle erreicht, werden Lockerungsschritte dazu führen, dass sich der Rückgang der Welle etwas verlangsamen wird. Das bedeutet, man muss weiterhin aufpassen, dass sich nicht zu viele gefährdete Ungeimpfte anstecken. Im Moment gelingt uns das sehr gut.

    Wie kommt es dazu, dass die Omikron-Welle bricht?

    Watzl: Aus der Delta-Welle hat sich Deutschland mit den Booster-Impfungen tatsächlich herausgeimpft, das hat funktioniert. Bei Omikron wurden keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen oder verschärft, weil in den Krankenhäusern keine neue Notlage eingetreten ist. Im Moment wartet man in Deutschland im Prinzip ab, bis das Virus von selbst das Maximum seiner Verbreitung erreicht. Omikron hat dann so viele Menschen angesteckt, dass es nicht mehr genügend Nicht-Infizierte findet, um sich schnell zu verbreiten, weil so viele durch die Infektion immun sind. Dann verlangsamt sich die Ausbreitung und geht langsam zurück. Dennoch können sich irgendwann alle Menschen anstecken, insbesondere wenn die Schutzmaßnahmen wegfallen oder sie wieder viele Kontakte haben.

    Immunologe: Brauchen trotz Omikron höhere Impfquote

    Halten Sie für denkbar am Gesetztes-Stichtag 19. März die Corona-Maßnahmen nicht erneut zur verlängern?

    Watzl: Wir werden Mitte März weit auf dem absteigenden Ast der Omikron-Welle sein. Das Wichtigste bleibt aber, dass wir die Impflücke schließen, sonst drohen im nächsten Winter vielleicht doch wieder Maßnahmen, die keiner will. Es gibt Länder, die haben bei großen Lockerungen nicht alle Maßnahmen aufgehoben, etwa blieb die Pflicht im Nahverkehr oder beim Einkaufen Masken zu tragen. In Deutschland werden wir gerade bei den vulnerablen Gruppen in Pflegeheimen noch Tests brauchen, um dort die Menschen zu schützen. Aber die Hoffnung besteht, dass wir Beschränkungen bei Veranstaltungen dauerhaft auslaufen lassen können. Aber wir brauchen eine höhere Impfqoute vor dem nächsten Winter. Für mich gehört eine Impfpflicht hier als letztes Mittel dazu, aber sie muss intelligent gemacht sein. Man darf den Menschen nicht einfach mit Strafen drohen, sondern sollte sie auffordern, dass sie zu einem Informationsgespräch kommen. Parallel dazu müssen wir positiv mit allen Mitteln dafür sorgen, die Impflücke zu schließen. Hoffnung macht auch, dass für Risikogruppen, bei denen die Impfungen geringer wirken, neue Medikamente gegen schwere Krankheitsverläufe zur Verfügung stehen.

    Die Inzidenzen sind bei Kindern und Jugendlichen im Schulalter besonders hoch, funktionieren die Maßnahmen mit Mundschutz und Hygienemaßnahmen dort noch?

    Watzl: Die Hygienemaßnahmen verhindern auch bei Omikron eine Übertragung. Aber Omikron verzeiht weniger Fehler als die bisherigen Varianten. Wenn die Maske nicht richtig sitzt, man sie mal kurz abnimmt und in Räumen nicht richtig gelüftet wird, kommt es vermehrt zu Infektionen. Das sehen wir aktuell in den Schulen, wo die Kinder sehr eng zusammen sind. Ich kann deshalb nur plädieren und den Eltern dazu raten, ihre Kinder impfen zu lassen. Mit diesen hohen Inzidenzen wird fast jedes Kind irgendwann mit dem Virus konfrontiert. Und der Nutzen der Impfung ist auch bei Kindern deutlich höher als die Risiken.

    Immunologe empfiehlt Eltern Impfung ihrer Kinder

    Was weiß man über die Nebenwirkungen der Impfungen bei Kindern?

    Watzl: Die Nebenwirkungen bei Kindern sind deutlich geringer als bei Erwachsenen, auch weil sie eine geringere Dosis bekommen. Die Fünf- bis Elfjährigen erhalten bei Biontech nur zehn Mikrogramm. Das ist ein Drittel der Erwachsenendosis, bewirkt aber einen genauso hohen Antikörperspiegel bei deutlich weniger Nebenwirkungen. Es gibt zum Beispiel deutlich weniger grippeähnliche Symptome. Aber was viel wichtiger ist, die Daten aus den USA zeigen, dass Fälle von Herzmuskelentzündungen noch mal deutlich geringer sind. Bei Mädchen gibt es hier überhaupt keine Probleme und bei den Jungen gibt es deutlich weniger als bei den Zwölf- bis 18-Jährigen, die die Erwachsenendosis erhalten. Doch selbst diese Nebenwirkungen sind so selten und so mild, dass man die Impfung für Kinder und Jugendliche auch ohne Vorerkrankungen uneingeschränkt empfehlen kann. Ich wundere mich, warum die Ständige Impfkommission dies noch nicht getan hat. Berücksichtigt man das Klinikrisiko durch die Infektion und das PIMS-Syndrom oder die Gefahren von Long Covid spricht die Risiko-Nutzen–Abwägung auch bei den Fünf- bis Zwölfjährigen eindeutig für eine Impfung.

    Omikron-Infektion wirkt nur wie eine Einfach-Impfung

    Sollten sich geimpfte Erwachsene nach dem Booster auch mit einem neuen angepassten Impfstoff gegen die Omikron-Variante impfen lassen?

    Watzl: Wer sich jetzt mit Omikron infiziert hat, erhält eine Immunität und eine Art erneuten Booster gegenüber anderen Varianten. Die Infektion stimuliert die Immunzellen, die man von der ursprünglichen Impfung erhalten hat. Die Immunität wird nochmals erhöht. Wer noch nie geimpft wurde, erhält mit einer durchgemachten Omikron-Infektion den Schutz einer Einfachimpfung: Das heißt, zum vollen Schutz bräuchte es noch zwei Impfungen bis kommenden Winter. Ob sich ein Normalbürger mit bereits drei Impfungen jetzt noch ein viertes Mal mit einem Omikron-Impfstoff boostern lassen sollte, halte ich nicht für unbedingt notwendig. Der Zusatznutzen wäre, dass man eine begrenzte Zeit besser vor der Weitergabe des Virus geschützt wäre. Das ist sicher empfehlenswert, wenn man viel mit vulnerablen Gruppen Kontakt hat, wie etwa beim Pflegepersonal. Aber letztendlich geht es darum, mit dem Impfen schwere Verläufe zu verhindern. Dazu reichen die drei Impfdosen der bisherigen Impfstoffe. Im Moment kenne ich keine Daten, dass dieser Schutz vor dem schweren Verlauf Monate nach dem Booster gefährlich nachlassen würde.

    Die Ständige Impfkommission hat nun für vulnerable Gruppen die vierte Impfung empfohlen.

    Watzl: Das ist die erste Stiko-Empfehlung, die ich nicht ganz nachvollziehen kann. Die wissenschaftliche Begründung überzeugt mich nicht, dass wir diese Empfehlung zum jetzigen Zeitpunkt brauchen. Es gibt Daten, dass auch über 65-Jährige drei Monate nach dem Booster einen Schutz zwischen 80 und 90 Prozent vor einer schweren Erkrankung haben. Das ist ein ordentlicher Wert. Der Nutzen einer vierten Impfung, ist nicht so groß wie der von der zweiten zur dritten. Und den Schutz vor der Weitergabe des Virus erreichen wir ohne den neuen an Omikron angepassten Impfstoff nicht. Ich sehe den Nutzen einer vierten Impfung erst mit dem angepassten Impfstoff und am besten im Herbst, aber nicht zum jetzigen Zeitpunkt mit dem jetzigen Impfstoff.

    Schaden zu viele Booster-Impfungen?

    Kann zu viel boostern sich negativ auswirken?

    Watzl: Nein, einen gegenteiligen Effekt hat ein Booster im richtigen Zeitabstand nicht. Eine dritte Impfung für die Grundimmunisierung braucht jeder. Irgendwann sollte man das vielleicht mal auffrischen, aber nicht alle drei Monate. Das schadet auch der Akzeptanz der Impfstoffe. Wir haben alle ein immunologisches Gedächtnis, das man wertschätzen sollte. Deshalb sollten wir nicht über Impfungen in kurzen Abständen debattieren. Wenn der angepasste Impfstoff da ist, wäre es gut, wenn sich die Älteren noch ein viertes Mal impfen lassen. Aber wie die Situation im Winter nächsten oder übernächsten Jahres aussieht, muss man sehen. Auch ob sich wirklich wie bei der Grippeimpfung eine jährliche Auffrischung empfiehlt, wird erst die Zeit zeigen. Wenn sich das Virus nicht stark verändert, könnte der Abstand auch länger sein. Auch für vulnerable Gruppen wird man nach meiner Einschätzung maximal über einen jährlichen Abstand sprechen, aber nicht über drei Monate.

    Immunologe Watzl kritisiert Verkürzung des Genesenen-Status

    Müsste dabei eine Omikron-Infektion nicht auch berücksichtigt werden? Sie haben die Verkürzung des Genesenen-Status auf drei Monate kritisiert …

    Watzl: Eine klar dokumentierte Infektion sollte für jeden Betroffenen mit einer einzelnen Impfdosis gleichgestellt werden. Ich kenne keine Daten, die zeigen, dass Genesene nach drei Monaten ihre immunologische Schutzwirkung verlieren. Gegen schwere Verläufe sind Genesene sicher auch sechs Monate geschützt. Ich sehe deshalb die Verkürzung des Genesenen-Status auf drei Monate immer noch kritisch. Auch, dass Geimpfte nach einer Infektion nicht als geboostert gelten, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Es gibt sehr gute Daten, dass auch hier Genesene gleichgestellt werden sollten. Wichtig sind drei Dosen, egal ob durch Infektion oder Impfung.

    Zur Person: Professor Carsten Watzl ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie und leitet den Forschungsbereich Immunologie des Leibniz Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund IfADo.

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