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Corona-Pandemie: Sollten Geimpfte gegenüber Ungeimpften bei der Triage bevorzugt werden?

Corona-Pandemie

Sollten Geimpfte gegenüber Ungeimpften bei der Triage bevorzugt werden?

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    Wenn nicht alle Patienten optimal behandeln werden können, müssten Ärztinnen und Ärzte priorisieren. Eine Juristin fordert, den Impfstatus dabei einzubeziehen.
    Wenn nicht alle Patienten optimal behandeln werden können, müssten Ärztinnen und Ärzte priorisieren. Eine Juristin fordert, den Impfstatus dabei einzubeziehen. Foto: Ralf Lienert

    Ein Bett, zwei Patienten – und eine Ärztin oder ein Arzt muss entscheiden, wer behandelt wird. Die sogenannte Triage stellt Mediziner vor eine der wohl schwierigsten ethischen Fragen. Am Dienstag entschied das Bundesverfassungsgericht, dass der Gesetzgeber sicherstellen muss, dass Menschen dabei nicht wegen einer Behinderung benachteiligt werden dürfen. Aber allgemeine Kriterien, nach denen die Auswahl getroffen werden soll, sind umstritten – es existieren lediglich lose Regelwerke, an denen sich Ärztinnen und Ärzte orientieren können.

    In der Corona-Pandemie drohte Kliniken immer wieder die Überlastung. Bis Mitte Dezember füllten sich Intensivstationen stetig, seitdem sinkt die Belegung langsam. Die neue Omikron-Variante könnte diesen Trend umkehren. Zwar verursacht sie ersten Erkenntnissen zufolge mildere Verläufe, ist aber leichter übertragbar – was in Summe zu mehr schwer Erkrankten führen könnte und erneut Triage-Situationen möglich erscheinen ließe.

    Juristin will Impfstatus in Triage-Situationen berücksichtigen

    Wenn es dazu kommt, können sich Ärztinnen und Ärzte insbesondere an den „klinisch-ethischen Empfehlungen zur Priorisierung und Triage bei COVID-19“ der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) orientieren. Der Impfstatus von Patientinnen und Patienten dürfe nicht in die Auswahl einbezogen werden, heißt es darin. Doch eine führende Juristin auf diesem Feld widerspricht dieser These. Tatjana Hörnle, Direktorin der Abteilung Strafrecht am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg, befürwortet es, den Beitrag des Fachportals verfassungsblog.de schreibt.

    Die DIVI stützt sich bei ihrer Einschätzung auf das Prinzip, dass es bei der medizinischen Behandlung keine Rolle spielen dürfe, wer dafür verantwortlich ist, dass die Behandlung notwendig ist – selbst wenn es der Behandlungsbedürftige selbst ist. Hörnle, die als Honorarprofessorin an Humboldt-Universität zu Berlin lehrt, widerspricht. Im Normalfall müssten zwar „selbstverständlich auch Impfgegner bei Erkrankung ohne Wenn und Aber medizinisch versorgt werden“.

    Die Frage ist nicht, ob Menschen sterben, sondern welche

    Doch es müsse zwischen Normal- und Extremlage differenziert werden. In einer Triage-Situation stelle sich nicht die Frage, „ob Menschen sterben, die mit intensivmedizinischer Behandlung vermutlich überleben könnten, sondern nur, wen dieses Schicksal trifft“.

    Die Rechtswissenschaftlerin nimmt Bezug auf eine Kollision mit einem Geisterfahrer. Wenn die Zahl der Unfallopfer nach einer Kollision die Behandlungskapazitäten übersteige, "sollte nicht die Versorgung des Geisterfahrers Priorität haben, sondern vorrangig die Unfallopfer aus dem anderen Fahrzeug behandelt werden". Bei lebensgefährlich Erkrankten, die sich gegen die ausgebrochene Krankheit trotz bestehender Möglichkeit nicht impfen ließen, könne ihre Risikopräferenz in die Auswahl einbezogen werden. Für irrelevant hält es Hörnle, ob die ungeimpfte Person die Risiken der Impfung und der Krankheit plausibel abgewogen hat oder nicht.

    Institut: Menschenrechte bleiben trotz unvernünftigem Verhalten erhalten

    Zwar sei es manchmal schwierig einzuschätzen, ob es wirklich auf einer eigenständigen Entscheidung beruhe, wenn eine Person nicht geimpft sei – beispielsweise wenn sie unter einer beginnenden Demenz leide. Sie schlage daher nicht vor, den Impfstatus in jedem Fall in die Auswahl einzubeziehen – es sei aber „zu bedauern“, dass die DIVI dieses Kriterium pauschal ausgeschlossen habe.

    Die Priorisierung in Triage-Situationen ist äußerst umstritten. Man verliere seine Menschenwürde nicht dadurch, dass man sich unvernünftig oder unsolidarisch verhalten habe, hieß es etwa kürzlich vom Deutschen Instituts für Menschenrechte. Auch die Vorsitzende des Ethikrats, Alena Buyx, hatte im Herbst gegenüber dem Tagesspiegel betont: "Lebensrettende Maßnahmen vorzuenthalten, weil der Zustand vermeidbar gewesen wäre, widerspricht wichtigen ethischen Prinzipien der Medizin." Möglich ist, dass der Bundestag nicht lediglich – wie vom Bundesverfassungsgericht verlangt – den Schutz von Menschen mit Behinderung regelt, sondern darüber hinaus allgemeine Kriterien für die Triage in einem Gesetz festlegt.

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