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Corona-Pandemie: Lassen sich Migranten seltener impfen? Das sagen die Zahlen des RKI

Corona-Pandemie

Lassen sich Migranten seltener impfen? Das sagen die Zahlen des RKI

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    Das Corona-Impfzentrum in Berlin Messe: Laut RKI geht die tägliche Impfquote langsam wieder zurück.
    Das Corona-Impfzentrum in Berlin Messe: Laut RKI geht die tägliche Impfquote langsam wieder zurück. Foto: Fabian Sommer, dpa

    Lassen sich Menschen mit Migrationshintergrund seltener gegen Corona impfen als Personen ohne Zuwanderungsgeschichte? Immer wieder wurde im Verlauf der Pandemie über diese Frage diskutiert, teils verschämt, oft eher mit Anekdoten als mit Fakten unterfüttert und manchmal mit latent fremdenfeindlichem Unterton. Jetzt hat das staatliche Robert-Koch-Institut (RKI) die Frage wissenschaftlich untersucht. Befragt wurden dazu Ende 2021 jeweils 1000 Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Laut der RKI-Wissenschaftlerin Elisa Wulkotte zeigte sich, dass die Impfquote bei Menschen mit

    RKI-Zahlen zeigen: Nicht Herkunft, sondern Bildung und Einkommen beeinflussen Impfentscheidung

    Aktuell gibt das RKI eine Erstimpfungsquote von knapp 76 Prozent an. Die Unterschiede, die in der Erhebung festgestellt wurden, seien aber verlässlich. Wulkotte betonte, es sei wichtig, nicht pauschal zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund zu unterscheiden. Vielmehr komme es auf die Faktoren an, die eine Impfentscheidung beeinflussten. Dabei sei nicht die Herkunft maßgeblich, sondern Bildung, Einkommen, Deutschkenntnisse oder auch das Alter. Bei den Teilnehmern mit den geringsten Deutschkenntnissen sei auch die Impfquote am niedrigsten gewesen, so Wulkotte. Menschen, die berichten, im Gesundheitssystem diskriminierende Erfahrungen gemacht zu haben, hätten ebenfalls eine geringer ausgeprägte Bereitschaft, sich impfen zu lassen.

    Niederschwellige Impfangebote werden häufig auch von Menschen mit Migrationshintergrund angenommen.
    Niederschwellige Impfangebote werden häufig auch von Menschen mit Migrationshintergrund angenommen. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Von ähnlichen Befunden berichtete die Wissenschaftlerin Doris Schaeffer, die in Bielefeld zum Thema Gesundheitskompetenz forscht. Die sei unter Migranten tendenziell sogar höher ausgeprägt als unter Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte. Wo es Defizite gebe, hätten diese ihre Ursachen meist in geringerer Bildung, höherem Alter oder mangelnden Deutschkenntnissen.

    In Bremen ist die Impfquote hoch – der Migrantenanteil aber auch

    Der Annahme, dass es unter Migranten generell eine höhere Impf-Unwilligkeit gebe, widerspricht auch Kay Bultmann. Er ist Amtsarzt in Bremen und dort für die erfolgreiche Impfkampagne mitverantwortlich. Der Stadtstaat im Norden ist das Bundesland mit der höchsten Impfquote und hat zugleich den höchsten Anteil von Migranten an der Bevölkerung. Bultmann berichtete, dass gerade auch in den sozial eher benachteiligten Stadtteilen mit hohem Migrantenanteil gute Impfquoten erzielt worden seien.

    Informationsangebote in zahlreichen Sprachen habe es etwa für die Eltern von Kita-Kindern, die Besucher der Lebensmittelausgabe der Tafeln oder bei Veranstaltungen in verschiedenen Glaubensgemeinschaften gegeben. Nicht selten seien die Referenten dabei auch mit Verschwörungsmythen oder anderen kursierenden Falschinformationen konfrontiert worden – dass die Corona-Impfungen etwa bei Männern für Potenzprobleme sorgten oder bei Frauen Schwangerschaften verhinderten. Doch viele Sorgen hätten sich in den Gesprächen ausräumen lassen, so Bultmann. Impfangebote habe Bremen auch Obdachlosen oder Seeleuten aus der ganzen Welt gemacht, deren Schiffe in der Hafenstadt ankerten.

    Ein kleines Berliner Projekt entfaltet weltweit Wirkung

    Mit den Forscherinnen Wulkotte und Schaeffer ist sich der Bremer Amtsarzt einig darin, dass die Impfbereitschaft eben keine Frage der Herkunft sei, sondern des Zugangs zu seriösen Informationen. Es komme auf die Ansprache von Menschen in ihrer jeweiligen Muttersprache an. Dass die kein Ding der Unmöglichkeit ist, zeigt eine Initiative aus Berlin. Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) hat zu Beginn der Impfkampagne Anfang 2021 ein Video verfasst und in insgesamt 15 Sprachen übersetzt. Zu sehen ist in den Kurzfilmen Patrick Larscheid, der Amtsarzt des

    Die Videos gibt es etwa auf Arabisch und Farsi, das etwa im Iran oder in Afghanistan gebräuchlich ist, in den beiden kurdischen Sprachen Sorani und Kurmandschi, Tigrinya, Somali und Amharisch aus der Region Ostafrika, Vietnamesisch, Türkisch, Urdu oder Russisch. Sascha Langenbach, Sprecher des Landesamts, hat das Projekt mitentwickelt. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagte er: "In Romanes, der Sprache der Roma etwa, gibt es unseres Wissens außer unserem Video offenbar kein vergleichbares Angebot. Damit hätten wir nicht gerechnet."

    Zuwanderern fehlt es häufig an Informationen in ihrer Muttersprache.
    Zuwanderern fehlt es häufig an Informationen in ihrer Muttersprache. Foto: Annette Zoepf

    In 120 Ländern werden die Videos aus Berlin geklickt

    Was als Informationsangebot für die knapp 20.000 in Berlin lebenden Geflüchteten gedacht gewesen sei, wird seinen Angaben zufolge in inzwischen 120 Ländern auf der ganzen Welt genutzt. Weitere Podcasts und Videos sind hinzugekommen, in den aktuellen Folgen geht es um das Für und Wider von Booster-Impfungen für jüngere Menschen. Allein bei Twitter wurden die Beiträge laut Langenbach 200.000 Mal abgerufen, in Kulturvereinen gezeigt, heruntergeladen, verschickt, auf vielen sozialen Medien geteilt. "Es gibt in manchen Sprachen schlichtweg keine seriösen Informationen über Corona und die Impfungen", sagt Langenbach. Den Erfolg des Projekts erklärt sich der Amtssprecher so: "Deutschland hat in vielen Ländern einen guten, ehrlichen Ruf. Einem Amtsarzt aus dem Berliner Bezirk Reinickendorf, dem unterstellt eben niemand, dass er Lügen verbreitet oder eigene finanzielle Interessen verfolgt." Die Videos seien sehr günstig: "Neben den üblichen Honoraren für die Sprachmittler und Übersetzer fallen kaum Kosten an, die Beiträge werden in Kooperation mit der Evangelischen Journalistenschule Berlin produziert."

    Mehr derartige Anstrengungen, um sprachliche und andere Barrieren zu überwinden, wünschen sich die beiden Forscherinnen Wulkotte und Schaeffer vom Staat. Dies könne sich gewissermaßen doppelt positiv auf die Impfquoten auswirken. Denn bei den ungeimpften Menschen mit Migrationshintergrund, hat Wulkotte herausgefunden, sei die Bereitschaft, sich doch noch impfen zu lassen, deutlich höher ausgeprägt als bei denen ohne Migrationsgeschichte. Mit präzisen Kampagnen und niedrigschwelligen Impfangeboten lasse sich also noch viel bewirken.

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