Ausgerechnet als der Bundesgesundheitsminister seine bemerkenswerte Kehrtwende in der Corona-Politik erklären wollte, streikte die Tontechnik. Karl Lauterbach musste nochmal ansetzen und lieferte so unfreiwillig das passende Bild zum Anlass dieser Pressekonferenz im nüchternen Foyer seines Ministeriums, das neben dem bunten Friedrichstadtpalast liegt. Denn in der Nacht zuvor hatte der SPD-Politiker schon einmal neu angesetzt und eine radikale Kehrtwende vollzogen: Die freiwillige Quarantäne nach einer Corona-Infektion ab 1. Mai ist wieder vom Tisch. Wer das Virus in sich trägt, muss sich weiterhin in Isolation begeben. Die Gesundheitsämter sollen dies weiter anordnen, nur Quarantäne für Kontaktpersonen Infizierter nicht mehr.
Seine erst am Montag getroffene Entscheidung sei "ein klarer Fehler" gewesen, räumte Lauterbach ein. Der Minister machte dabei einen zerknirschten Eindruck, womöglich war es auch der Schlafmangel, der ihn weniger energisch erschienen ließ als üblich. Denn Lauterbach hatte seine Entscheidung zunächst in einer ZDF-Sendung am späten Abend und anschließend um 02.37 Uhr im Internet auf Twitter verkündet. "Hier habe ich einen Fehler gemacht. Das entlastet zwar die Gesundheitsämter. Aber das Signal ist falsch und schädlich", schrieb er dort. Ein Vorgehen, das bei einem so wichtigen Thema befremdlich anmutet, und Lauterbach musste sich vor der Hauptstadtpresse dann auch dazu befragen lassen. "Ich wollte diesen Schaden einfach so schnell wie möglich beenden", erklärte der 59-Jährige. Ob ihm das gelungen ist, wird sich in den nächsten Tagen noch erweisen müssen.
Karl Lauterbach über Corona-Politik: "Ein völlig falscher Eindruck"
"Ich habe den Vorschlag zurückgezogen, weil der völlig falsche Eindruck entstanden wäre, die Pandemie sei entweder vorbei oder sie sei deutlich harmloser, als in der Vergangenheit angenommen", begründete der Minister seinen Schritt. Lauterbach nahm damit die Kritik auf, die ihm in den letzten Tagen begegnet war. Parteien hatten protestiert, in den sozialen Medien rumorte es, Experten und die eigene Fraktion rieten ihm zur Rücknahme der Entscheidung. Der Minister entschied sich "unter dem Eindruck der Gesamtlage" im Laufe des Dienstagnachmittags für seine Kehrtwende. FDP und Grüne wurden über einen Schritt informiert, der für die Koalition und sogar für seinen engeren Kreis völlig überraschend kam.
"Ich habe die Entscheidung selbst getroffen", versuchte Lauterbach, den Druck von Regierungschef Olaf Scholz zu nehmen. Der Kanzler hat mit Verteidigungsministerin Christine Lambrecht bereits ein SPD-Kabinettsmitglied, das als angeschlagen gilt. Lauterbachs Vorgehen verschärft die Lage, macht Scholz angreifbarer. Sollte der Kanzler an eine Kabinettsumbildung denken, müsste er Druck ausüben, denn Lauterbach will bleiben. Ob er einen Rücktritt in Erwägung gezogen habe? "Das habe ich natürlich nicht", antwortete der Minister.
Irrt Lauterbach auch bei der Impfpflicht?
Die Opposition sieht das anders. Gerade als Kommunikator ist Lauterbach in Erklärungsnot geraten. Die Union attackierte ihn als "Talkshow-Minister". Für den Wissenschaftler und Mediziner auf dem Ministerposten sind es aber ohnehin heikle Tage. Auf Betreiben des kleinen Partners FDP fielen gerade inmitten hoher Infektionszahlen die meisten staatlichen Schutzvorgaben weg. Lauterbach musste schlucken, dass Justizminister Marco Buschmann (FDP) allgemeine Maskenpflichten für passé erklärte. Er verteidigt unverdrossen eine mögliche Hotspot-Regel für Regionen in kritischer Lage. Nur steht die meist auf dem Papier, gerade mal zwei Bundesländer nutzen sie. Der Minister appellierte vergeblich.
Im Bundestag muss Lauterbach ebenfalls neu ansetzen. Am Donnerstag wird dort über die Impfpflicht abgestimmt, die von ihm präferierte allgemeine Impfpflicht ab 18 kommt nicht. Lauterbach ist nun zuversichtlich, dass der Kompromissvorschlag von SPD, Grünen und FDP eine Mehrheit erhält, der eine Pflicht ab 60 vorsieht. Möglich, dass er auch hier irrt. Bis zuletzt war nicht klar, ob die Ampel-Koalition genügend Stimmen auf sich vereinigen kann.
Opposition kritisiert Pläne bei der Impfpflicht
Die Opposition jedenfalls wird nicht mitziehen. „Es ist doch kein Kompromissvorschlag, wenn aus einer Impfpflicht ab 18 und einer Impfpflicht ab 50 jetzt eine Impfpflicht ab 60 herauskommen soll“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt unserer Redaktion. Fragen nach der Umsetzung, der Kontrolle und nach der Anwendbarkeit blieben nach wie vor unbeantwortet. „Unser Angebot an die Ampel steht, bei unserem ausgewogenen Vorschlag eines Impfvorsorgegesetzes mitzumachen und damit die notwendigen Schritte mit der Einführung eines Impfregisters und der klaren Definition von zwingenden Voraussetzungen für eine mögliche Impfpflicht zu schaffen", erklärte der Vorsitzende der CSU-Abgeordneten im Bundestag.