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Corona-Pandemie: FCA-Trainer bis Virologe: Sieben Menschen über ihr Leben in zwei Jahren Pandemie

Nach rund zwei Jahren sollen bald die meisten Corona-Pandemie enden.
Corona-Pandemie

FCA-Trainer bis Virologe: Sieben Menschen über ihr Leben in zwei Jahren Pandemie

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    Viele europäische Länder machen es vor, nun will Deutschland folgen. Zwei Wochen noch, dann werden fast alle Corona-Regeln der Vergangenheit angehören. Abstandsregeln, Maskenregeln, Testpflichten. Doch diese Krise war mehr als die Summe ihrer Vorschriften. Das Virus hat Grundsätzliches infrage gestellt, es hat Pläne zunichtegemacht, es hat andere Sorgen unsichtbar werden lassen. Sieben Gespräche darüber, wie die vergangenen beiden Jahre durch den Alltag von Menschen gefräst haben.

    Mit einem Mal wurde der Name Webasto deutschlandweit bekannt, erinnert sich Holger Engelmann.
    Mit einem Mal wurde der Name Webasto deutschlandweit bekannt, erinnert sich Holger Engelmann. Foto: Maik Kern

    Holger Engelmann, Vorsitzender des Vorstandes der Webasto AG:

    „Die ersten Tage der Krise waren die härtesten in meinem Managerleben. Ich war der erste Chef eines deutschen Unternehmens, der die Firmenzentrale wegen Corona-Fällen auf eigene Initiative geschlossen hat. Auf mir und meinem Team lastete eine enorme zusätzliche Verantwortung, wir mussten schnell handeln. Schließlich waren und sind wir nicht nur für den wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch das gesundheitliche Wohlergehen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verantwortlich.

    Eine aus China kommende Mitarbeiterin hatte den Erreger, ohne es zu wissen, an unserem Hauptsitz in Stockdorf bei München im Januar 2020 weiterverbreitet. Neun Beschäftigte und fünf Angehörige infizierten sich. Heute geht es allen Betroffenen wieder gut. Am Anfang wusste auch unsere Führungsmannschaft nicht, ob sich jemand infiziert hatte. Wir haben zusammengestanden und offen kommuniziert und waren erleichtert, als wir negativ getestet wurden.

    Auch wenn der transparente Umgang mit den Corona-Infektionen in der Bevölkerung zunächst teilweise für Irritationen sorgte, so waren für Webasto die aufwühlenden Ereignisse doch eine Chance. Die ganze Situation hat uns gefestigt und zusammengeschweißt und unsere Krisenkommunikation wurde schlussendlich sogar ausgezeichnet.“

    Wilhelm Schmid weiß: Es gibt auch noch andere Themen als Corona – und andere Schicksale.
    Wilhelm Schmid weiß: Es gibt auch noch andere Themen als Corona – und andere Schicksale. Foto: Wilhelm Schmid

    Wilhelm Schmid, Philosoph:

    „Darauf waren wir nicht gefasst, es hat uns in der ersten Hitze des Jahres eiskalt erwischt. Es war auf einer Reise durch Andalusien, letzte Station Ronda, herrlicher Ort in den Bergen nahe Malaga. Wir schlenderten durch die schöne Altstadt und wollten erkunden, wo wir zu Abend essen könnten. Als wir vor einem Restaurant standen, begannen die Mitarbeiter, unter blauem Himmel Stühle und Tische von der Terrasse wegzutragen. Corona, sagen sie. Wir hatten von diesem Virus gehört und gelesen, aber nicht mitbekommen, wie rasend schnell es die Runde durch Europa machte. Meine Frau und ich waren erst seit 37 Jahren zusammen, da kann man schon noch voll verliebt sein und die ganze Welt vergessen.

    Der Schock saß. Die Unruhe war groß und, ja, auch die Angst. Dass der noch größere Schock uns bevorstand, ahnten wir nicht. Der hatte mit Corona gar nichts zu tun. Meine Frau war eineinhalb Jahre zuvor erfolgreich wegen Speiseröhrenkrebs operiert worden. Es lag ihr sehr am Herzen, dass wir die Lebensfreude nicht vernachlässigten, gerade jetzt. Noch mehr als sonst waren wir füreinander da und feierten trotz allem unser schönes Zusammensein. Wir wussten um die Gefahr, dass sich irgendwann Metastasen bemerkbar machen könnten. Und tatsächlich, sie kamen. Sie drängten Corona auf der Stelle in den Hintergrund und dort blieb es fortan auch. Die ganze Gesellschaft kannte kein anderes Thema mehr, wir schon. Mit dem Ende des Lebens konfrontiert zu sein, lässt alles andere unwichtig erscheinen. An Heiligabend 2021 ist meine Frau gestorben, zu Hause, umgeben von den Kindern und mir.“

    Ricardo Lange wurde durch Corona zu einer öffentlichen Figur – mit allen Vor- und Nachteilen.
    Ricardo Lange wurde durch Corona zu einer öffentlichen Figur – mit allen Vor- und Nachteilen. Foto: Jens Kalaene, dpa

    Ricardo Lange, Intensivpfleger:

    „Ich arbeite als Krankenpfleger und bin in der Corona-Krise öffentlich aufgetreten, um auf Probleme aufmerksam zu machen. Dafür war ich sogar in Talkshows. Meine plötzliche Prominenz hat Vor- und Nachteile. Zum einen hat man natürlich die Möglichkeit, viele interessante Menschen kennenzulernen. Ich habe zum Beispiel mein Kindheitsidol getroffen, Ralf Möller. Sein Poster hing früher bei mir im Zimmer. Inzwischen telefonieren wir öfter mal, wenn ich einen blöden Tag hatte, muntert er mich auf. Auch Ilka Bessin habe ich getroffen, ganz viele Politiker – ich glaube, es gibt keinen wichtigen Politiker, mit dem ich nicht gesprochen habe. Wer kann das schon von sich behaupten? Aber es hat auch viele Schattenseiten, dass ich öffentlich aufgetreten bin. Es gibt leider Menschen – sogar in der eigenen Berufsgruppe –, die einem viel Neid, Missgunst und Hass entgegenbringen.

    Ich werde regelmäßig beleidigt, beschimpft, mit Gewalt bedroht und als Selbstdarsteller abgestempelt. Einige haben sich beschwert, dass ich mit Karl Lauterbach oder Angela Merkel rede – sie bezeichnen mich dann als System-Hure. Da ist eine richtige Erwartungshaltung aufgebaut worden und jeder meinte, mir sagen zu können, mit wem ich reden darf, mit wem ich ein Foto machen darf. Als ich kürzlich in der Bundesversammlung zu Gast war und den Bundespräsidenten mitwählen durfte, habe ich natürlich die Gelegenheit genutzt und Bilder gemacht. Die habe ich kommentarlos in meinen Facebook-Ordner geladen. Da gab es einen riesigen Shitstorm, mir wurde der Rat gegeben, dass mir Demut guttun würde. Dass das von Kollegen kommt, finde ich besonders frustrierend. Hinzu kam, dass ich von der Klinik gesperrt wurde, in der ich drei Jahre nonstop eingesetzt war. Denen war es einfach nicht recht, dass sich jemand für die Pflegekräfte stark macht – da sieht man, wo die Prioritäten liegen. Wenn eine Klinik etwas dagegen hat, dass sich Pflegekräfte organisieren, dass Angestellte sich dafür stark machen, dass sich Dinge ändern, dann stimmt etwas nicht. Ich bin bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt, und wenn es Häuser gibt, die mich nicht beschäftigen wollen, ist das ein echter Nachteil.

    Still sein will ich trotzdem nicht. Ich habe meinen Mund aufgemacht, weil es mir wichtig war, zu sagen, wo die Probleme liegen. Ich kann nicht damit aufhören, nur um manchen Leuten nicht auf den Schlips zu treten. Jeder hat das Recht, eine andere Meinung zu haben als ich – aber davon muss ich selbst mich nicht vom Weg abbringen lassen. Schon gar nicht von Leuten, die selbst faul auf der Couch liegen. Mein Ziel ist es, in unserem Gesundheitssystem etwas zum Positiven zu verändern, auch für die Patienten.

    Ob sich etwas ändert? Es mag sein, dass einzelne Politiker ihre Versprechen ernst meinen, aber die

    Die einen schätzen seine Arbeit, die anderen bedrohen ihn: der Virologe Hendrik Streeck.
    Die einen schätzen seine Arbeit, die anderen bedrohen ihn: der Virologe Hendrik Streeck. Foto: Rolf Vennenbernd, dpa

    Hendrik Streeck, Direktor des Institutes für Virologie an der Universität Bonn:

    „Mein Leben hat sich – nicht nur beruflich, sondern auch privat – um 180 Grad gedreht. Auf der Straße werde ich erkannt, Menschen wollen ein Foto mit mir machen – ich habe gelernt, dass Anonymität etwas Schätzenswertes ist, in Ruhe gelassen zu werden hat Vorteile. Deshalb hat sich mein Ausgehverhalten auch verändert. Ich bin nun häufiger zu Hause, koche selbst, empfange viel öfter Freunde und Bekannte, denn grundsätzlich bin ich ein geselliger Mensch. Ich wurde auch schon mal auf der Straße angepöbelt – von Menschen aus dem Querdenkerspektrum, doch diese negativen Ereignisse sind eindeutig von kleiner Zahl. Der positive Zuspruch ist im Vergleich dazu viel größer. Manchmal rufen Leute aus dem Auto heraus mir zu: „Kopf hoch, Herr Streeck, machen Sie weiter so“, mir werden Blumen oder Bücher ins Büro geschickt. Das freut mich, zeigt mir aber, dass ich eine öffentliche Person geworden bin.

    Ganz anders ist das in den Sozialen Medien, da sind Beschimpfungen und Drohungen an der Tagesordnung. Man muss sich aber bewusst machen, dass dies nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung ist. Zweimal erhielt ich Morddrohungen, da habe ich dann Bekanntschaft mit dem Staatsschutz gemacht.

    Was hat sich noch geändert? Früher bin ich viel gereist – unter anderem in die USA, wo ich auch fast zehn Jahre gelebt habe. Diese Reisen hatten viel mit meinem Beruf als Virologe zu tun. Das ist nun anders, der Radius ist kleiner geworden. In den zwei Jahren ist der Samstag zum „Sams-Tag“ geworden. Unser Golden Retriever heißt „Sam“ und daher geht es für einen ausgedehnten Spaziergang erst mal in den Kottenforst, das ist ein großer Wald bei Bonn. Da nimmt Sam jede Pfütze mit. Es ist daher vieles anders geworden, doch ich empfinde vieles als positiv.“

    Charles Schumann betreibt eine der bekanntesten Bars in Deutschland.
    Charles Schumann betreibt eine der bekanntesten Bars in Deutschland. Foto: Dirk Steinmetz, dpa

    Charles Schumann, Barkeeper und Gastronom

    „Die letzten zwei Corona-Jahre waren auch bei uns schwierig. Dennoch hatten wir immer geöffnet. Bei uns gab es Essen und Trinken zum Mitnehmen. Wir haben unseren Gästen das Gefühl geben können, dass man weiter für sie da ist. Das war gut für meine eigene Moral und die meiner immerhin rund 60 Mitarbeiter.

    Natürlich hat sich das nicht gerechnet. Aber wir wollten da sein und nicht schließen. Für mich macht es keinen Sinn, sich in seine Höhle zu verkriechen oder in den Süden zu fahren. Dann braucht man keine Gastronomie aufmachen. Ehrliche

    Was mir wichtig war, ist, dass auch meine Mitarbeiter gut durch diese Zeit kommen. Wir haben sie unterstützt, soweit uns das möglich war, auch der Staat hat ja mitgeholfen. Die Gäste haben sich auch gefreut und geschätzt, dass wir für sie da sind.

    Und wir wollten nicht nur Abfüllstation sein, sondern dafür sorgen, dass das Essen ordentlich präsentiert rausgeht. In dieser Zeit haben wir uns besondere Mühe gegeben. Genervt hat mich der ganze Müll. Das war echt schlimm! Da hat keiner so richtig darüber geredet.

    Und im Grunde wusste auch keiner, wie man es besser hätte lösen können. Da war teilweise ein Dreck auf der Straße, dass es eklig war. Auch dass sich die Polizei um all die Unverbesserlichen kümmern musste, die nach Freiheit schreien und gar nicht wissen, was Freiheit ist, weil sie den Krieg nicht erlebt haben, war schlimm.

    Die Polizei ist ja hilflos bei solchen Veranstaltungen: Geht sie zu heftig vor, macht man ihr Vorwürfe, schaut sie zu, eskaliert die Lage. Dazu gab es Autorennen vor meiner Bar. Da hat die Polizei auch zu lange zugeschaut. Ich glaube überhaupt, es wird sich in den nächsten Jahren vieles ändern. Krieg, Umweltzerstörung und so weiter – alles entwickelt sich nicht zum Besseren. Ich glaube ja auch nicht an die Vernunft der Menschen. Das hat nix mit Pessimismus zu tun, sondern ist purer Realismus. Wir müssten viel mehr aufeinander aufpassen. Aber das geschieht nicht. Wenn sich alle aus der gemeinsamen Verantwortung nehmen und nur an sich denken, dann ist das eben schlecht. Positiv an Corona war übrigens, dass ich mehr Zeit für mich selbst hatte, obwohl ich trotzdem jeden Tag ins Geschäft gegangen bin. Ich habe darüber hinaus viel geschrieben und bin früher Schlafen gegangen. Das tat mir gut. Gefehlt hat mir in den letzten Jahren allerdings das Reisen.“

    Gesundheitsminister Klaus Holetschek will sich dauerhaft für die Pflege einsetzen.
    Gesundheitsminister Klaus Holetschek will sich dauerhaft für die Pflege einsetzen. Foto: StMGP

    Klaus Holetschek, bayerischer Gesundheitsminister

    „Corona hat mein Leben von Grund auf verändert. Ich hatte schon viele Aufgaben in der Kommunal- und Landespolitik, aber mitten in der Katastrophe der Pandemie ins Gesundheitsministerium zu wechseln – erst als Staatssekretär, dann als Minister – war für mich eine in dieser Form noch nie da gewesene Herausforderung. Seither lebe ich im Krisenmodus – „24/7“, wie man so schön sagt, also 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Ich habe lernen müssen, was es heißt, an die Grenzen seiner Belastbarkeit zu stoßen. Am härtesten waren für mich die Phasen, in denen wir der Entwicklung der

    Doch es gab auch wirklich bewegende Momente. Ich habe oft in besonderer Weise spüren können, wozu Menschen im positiven Sinn fähig sind, wie sie zusammenhalten und sich gegenseitig helfen. Beeindruckt haben mich dabei besonders die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Altenheimen, die mit Corona-Ausbrüchen in ihren Einrichtungen zu kämpfen hatten, und die Pflegekräfte in den Krankenhäusern, die auch unter besonders herausfordernden Bedingungen jeden Tag für ihre Patientinnen und Patienten kämpfen. Das sind nur zwei Beispiele, aber sie zeigen: Es ist unglaublich, was diese Menschen leisten mussten und immer noch leisten. Da geht es nicht nur um ein großes Arbeitspensum, sondern auch um Mitgefühl und psychische Stärke.

    Diese Erlebnisse begründen auch mein Mantra: Wir müssen Lehren aus der Pandemie ziehen und die Pflege nach vorne bringen – finanziell und qualitativ. Wertschätzung für die Frauen und Männer, die in der Pflege arbeiten, darf kein leeres Wort sein.“

    Manchmal rückte der Fußball für ihn in den Hintergrund: FCA-Trainer Markus Weinzierl.
    Manchmal rückte der Fußball für ihn in den Hintergrund: FCA-Trainer Markus Weinzierl. Foto: Stefan Puchner, dpa

    Markus Weinzierl, Trainer des Fußball-Bundesligisten FC Augsburg

    „Das Thema Corona ist weiterhin sehr präsent und allgegenwärtig bei uns. Es beschäftigt mich privat wie beruflich und lässt alltägliche Dinge nicht mehr als normal erscheinen. Wir haben in den letzten beiden Jahren gelernt, dass es Dinge gibt, die man eigentlich in dieser Form nicht glauben kann. Man muss unterscheiden und relativieren, mit welchen Dingen man sich wie intensiv beschäftigt. Deswegen ist der Job, der Fußball und die Bundesliga natürlich immer wieder relativ zu betrachten. Andererseits macht es auch Spaß, sich auf seine Aufgaben zu konzentrieren und sich auf gewisse Weise abzulenken. Wesentliche Themen bleiben aber in diesen Zeiten Corona oder der Ukraine-Krieg. Durch solche überlagernden Themen mussten wir alle lernen, andere Dinge zu relativieren.“

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