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Foto: Axel Heimken, dpa
Foto: Axel Heimken, dpa

Trotz rekordhoher Neuinfektionszahlen verabschiedet sich Deutschlands nördlichster Nachbar seit Dienstag von allen im Land geltenden Corona-Beschränkungen.

Corona-Pandemie
04.02.2022

Europa macht sich locker: Welche Länder Corona hinter sich lassen

Von Andre Anwar

Es ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten, dennoch wagen viele europäische Länder den Schritt: Sie versuchen die Rückkehr zum Alltag – trotz hoher Corona-Zahlen.

Dicht aneinandergedrängt und ohne Mundschutz tanzen die jungen Dänen zu den Beats aus Richtung DJ-Pult. Bis spät in die Nacht feiern die Gäste des „Chateau Motel“, des größten Kopenhagener Nachtclubs an der Knabrostraede. Die Besucher können sich gleich auf vier Etagen zu je unterschiedlicher Musikrichtung vergnügen. „Es war, wie wenn die Kühe erstmals nach einem langen Winter aus ihren Ställen raus aufs Feld zum Grasen dürfen“, sagt der 26-jährige Student Simon und lacht. "In Deutschland hält man uns für wahnsinnig", schreiben die dänischen Zeitungen. Tatsächlich blickt Deutschland mit einer Mischung aus Staunen und Neid in Richtung Norden: Seit Dienstag sind bei den Skandinaviern alle Corona-Restriktionen beendet, Masken sieht man höchstens noch sporadisch, der Impfpass kann zu Hause bleiben. Corona, so scheint es, hat seinen Schrecken verloren.

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Dänemark hatte schon einmal einen "Freedom Day"

Und doch schwingt Unsicherheit mit. Schon einmal, im September vergangenen Jahres, hatte Dänemark fast alle Pandemie-Beschränkungen fallen gelassen. Eigentlich sollte das so bleiben. Doch der starke Anstieg der Neuinfektionen zwang das Land noch einmal in die Knie. Die alten Regeln kamen zurück. Obwohl die Infektionszahlen noch immer hoch sind und Omikron sich rasant verbreitet, wird nun erneut eine Wende eingeläutet: Seit Freitag wird Corona nur noch als geografisch begrenzte Epidemie bezeichnet und als nicht mehr gesellschaftsgefährdend angesehen.

Ausschließlich auf Begeisterung stößt das nicht. Kritiker bemängeln, dass die Öffnung des Landes zu einem schwierigen Zeitpunkt stattfinde: Die Sieben-Tages-Inzidenz liegt aktuell bei über 5000, Deutschland verzeichnet einen Wert von rund 1300, Österreich von rund 2500. Auch die wöchentlich gemeldeten Krankenhauseinweisungen liegen in Dänemark deutlich höher als in Deutschland. Dass die Dänen dennoch zuversichtlich sind, liegt daran, dass die Impfquote vor allem bei den über 60-Jährigen hoch ist. Aber auch daran, dass allein ein Drittel aller Dänen zwischen November 2021 und Februar 2022 eine Covid-Erkrankung durchgemacht und damit einen gewissen Immunschutz aufgebaut hat.

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Foto: Mads Claus Rasmussen, dpa
Foto: Mads Claus Rasmussen, dpa

Mette Frederiksen, Ministerpräsidentin von Dänemark, hebt trotz Rekordwerten an Neuinfektionen beinahe alle Corona-Beschränkungen auf.

„Der ist ein Meilenstein“, sagt Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. „Es ist wahrlich fantastisch, dass wir jetzt an diesem Punkt sind." Sie verspricht einen Frühling voller „Umarmungen, Partys und Festivals“. Gleichzeitig betont sie, wie wichtig es sei, Verantwortung zu übernehmen, um ältere Menschen und Risikogruppen vor einer Ansteckung zu schützen. In vier von fünf Pflegeeinrichtungen fehlte im Januar Personal wegen einer Corona-Erkrankung. Der dänische Gesundheitsminister Magnus Heunicke betont zugleich, dass die Zahl der Covid-Patienten, die auf der Intensivstation behandelt werden, in den letzten Wochen deutlich zurückgegangen sei. „Wir gehören zu den ersten Ländern der Welt, die die Beschränkungen aufheben können, und wir wissen, dass viele Länder uns beobachten werden", sagt er.

Einige beobachten Dänemark nicht nur, sondern folgen dem Weg. Vor den Theken in englischen Pubs herrscht Gedränge, Masken sind nur vereinzelt zu sehen. Auch in Großbritannien lässt sich leicht vergessen, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist. Im Gegenteil: Großbritannien zählt Tag für Tag 80.000 bis 100.000 neue Corona-Fälle, auch wenn die Omikron-Welle deutlich abgeflacht ist. Positive Fälle im engeren Umfeld sind zum Alltag geworden - vor allem für Familien mit Schulkindern. Schon seit Ende Januar sind in England die wenigen noch geltenden Maßnahmen ausgelaufen. Ob im Büro, im Stadion, im Fitnessstudio oder eben im Pub dürfen sich die Briten ohne Beschränkungen tummeln. Auch die anderen Landesteile genießen wieder größere Freiheiten. Eine Überlastung der Intensivstationen scheint abgewendet. Zuletzt wurden jedoch noch immer mehrere hundert Tote pro Tag gezählt.

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In Spanien fällt die Maskenpflicht im Freien

Spanien ist über den Berg“, freut sich im Süden Europas die spanische Gesundheitsministerin Carolina Darias. Und ihr geben zumindest auch die Zahlen recht. Nach einem Höchststand der Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 1600 Mitte Januar ist sie inzwischen auf 872 gefallen. Viele Beschränkungen werden nach und nach aufgehoben, kommende Woche soll die Maskenpflicht im Freien fallen. Kontrolliert wurde sie kaum, und dennoch halten sich viele an die Vorschrift, wenn auch teils aus anderen Gründen. „Ich trage die Maske gegen die Kälte“, meinte etwa die elfjährige Sophie. In Spanien will man Corona künftig wie eine Grippe behandeln, immer mehr Menschen reagieren mit großer Gelassenheit auf die Infektion.

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Foto: Claudio Furlan, dpa
Foto: Claudio Furlan, dpa

In Italien ist der Impfstatus weiter ein wesentliches Kriterium.

Nachdem auch in Italien die Infektionszahlen in die Höhe schnellten, wächst auch dort der Optimismus. Das liegt daran, dass die Krankenhäuser noch weit davon entfernt sind, überfüllt zu sein. Die Politiker erwägen ein Ende des Ausnahmezustands und vieler Maßnahmen. Die Maskenpflicht im Freien dürfte etwa Ende nächster Woche auslaufen. Italien koppelt jedoch alle Öffnungsschritte an die Impfungen: Nur mit einem 2G-Nachweis darf man in Hotels, Restaurants, ins Kino, in Busse und Züge, auf öffentliche Veranstaltungen. Dass künftig geimpfte Schüler auch bei vielen positiven Fällen in der Klasse weiter in die Schule dürfen, lässt Familien auf einen besseren Frühling hoffen.

„Der Ausstieg beginnt“, frohlockt die Schweizer Boulevardzeitung Blick, und das bei täglichen Neuinfektionszahlen, die berechnet auf 100.000 Einwohner fast doppelt so hoch sind wie in Deutschland. Seit dieser Woche gibt es keine Pflicht zum Homeoffice mehr und keine Quarantänepflicht für Menschen, die mit Infizierten Kontakt hatten. Die Wirte freuen sich, weil Mitte Februar die 2G-Regel in Restaurants - Zutritt nur für Geimpfte und Genesene - fallen soll, ebenso wie etwa in Kinos und Museen. Auch die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr und Geschäften könnte Mitte Februar aufgehoben werden. Endgültig entscheidet die Regierung über die weiteren Lockerungen am 16. Februar. Erleichterungen gibt es auch für Reisende: Wer nicht geimpft oder genesen ist, soll bald wieder ohne obligatorischen Test einreisen dürfen.

In den Niederlanden wächst die Wut

Doch wie gespalten die Corona-Politik in Europa ist, zeigt ein Blick in ein anderes Nachbarland. In den Niederlanden wachsen die Wut und das Unverständnis. Im Januar endete zwar der harte Lockdown, alles ist im Prinzip wieder (bis 22 Uhr) geöffnet. Doch die Niederländer fordern: ein Ende aller Maßnahmen. Dass man noch immer einen Corona-Pass (3G) zeigen und eine Maske tragen muss, empört immer mehr Bürger. Und Niederländer halten sich sowieso nicht streng an die Regeln. Kontrollen oder sogar Bußbescheide gibt es kaum. Zwar werden täglich Höchstwerte bei den Neuinfektionen gemeldet, doch die Patientenzahlen in Krankenhäusern nehmen nur leicht zu. Wegen der Quarantäne-Regeln gibt es jedoch riesige Personalausfälle. Es fahren weniger Züge, in Krankenhäusern und Altenheimen wird die Versorgung eng und Kneipen und Restaurants können gar nicht voll öffnen, weil Kellner fehlen.

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Auch bei den Österreichern sorgt die Corona-Politik für Verwirrung. Einerseits kommt die allgemeine Impfpflicht, andererseits können auch getestete Ungeimpfte ab 19. Februar wieder am öffentlichen Leben teilnehmen. Obendrein sind die Tests kostenlos. Auch die Tourismusbranche ist mit Regeln konfrontiert, die nicht schlüssig erscheinen: Der Grüne Pass gilt bei der Einreise für Zweifach-Geimpfte 270 Tage, beim Einchecken im Hotel nur 180 Tage. Mit Blick auf geplante Lockerungen herrscht jedoch Erleichterung. So verschiebt sich am 5. Februar die Sperrstunde von 22 auf 24 Uhr. Lokal-, Theater- und Kinobesuche sind dann wieder einfacher möglich. (mit dpa)

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