Es ist ein Schritt, den der gerade ausgeschiedene Gesundheitsminister Jens Spahn nicht gehen wollte. Sein Nachfolger Karl Lauterbach geht ihn als einen der ersten seiner Amtszeit. Er und die Ampel-Parteien wollen an diesem Freitag die Corona-Impfpflicht für die Beschäftigten in Kliniken, Pflegediensten, Altenheimen, Arztpraxen, Rettungsdiensten und Behindertenwerkstätten beschließen.
Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen: Die Impfquote müsse gesteigert werden
Bis zum 15. März müssen sich alle Mitarbeiter impfen lassen – egal ob Hausmeister, Küchenfrau, Medizinerin oder Chef. So sieht es der Gesetzentwurf vor, der zuerst im Bundestag und nur Stunden später im Bundesrat verabschiedet werden soll.
Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen begründete die Notwendigkeit der Impfpflicht mit dem Schutz besonders gefährdeter Menschen. „Wenn man für andere Menschen Verantwortung trägt, ist es nicht allein eine individuelle Entscheidung, ob man geimpft ist oder nicht“, sagte Dahmen unserer Redaktion. Die Impfquote in Deutschland sei zu niedrig und müsse jetzt gesteigert werden, meinte der Abgeordnete, der selbst Arzt ist.
Impfpflicht: Droht eine Kündigungswelle in der Pflege?
Eine andere Sicht der Dinge hat Sebastian Froese, stellvertretender Geschäftsführer des Verbandes ambulanter Pflegedienste und stationärer Einrichtungen. „Die Impfung gegen Corona ist aus unserer Sicht eine sehr sinnvolle Sache. Dennoch stellen wir uns kritisch gegen eine berufsspezifische Impfpflicht“, sagte Froese. Die Sorge ist groß, dass zumindest ein kleiner Teil der Schwestern und Pfleger ihre Drohung wahr macht und kündigt, wenn die Impfpflicht kommt.
Pflege-Experte fürchtet: "Die neue Bundesregierung geht auf einen Testflug"
Dass überall Personal fehlt, ist vor allem bei Pflegediensten und in Heimen ein Zustand, der seit Jahren beklagt wird. Die Schätzungen reichen von 35.000 bis zu 200.000 fehlenden Fachkräften. Wegen der Alterung der Gesellschaft wird der Bedarf in den kommenden Jahren sogar noch zunehmen. Doch schon heute ist in vielen Betrieben die Lage angespannt, weshalb wenige Abgänge dazu führen könnten, dass ein Pflegedienst nicht mehr alle Alten und Kranken versorgen kann. „Da stellt sich die Frage, ist das zu Ende gedacht und gibt es einen Plan B? Ich habe die Befürchtung, die neue Bundesregierung geht auf einen Testflug“, kritisierte Froese.
Eine Untersuchung des Robert-Koch-Instituts ergab, dass 17 Prozent aller Beschäftigten in Pflegeheimen noch nicht geimpft sind. In Frankreich besteht bereits eine Impfpflicht im medizinischen Bereich. Rund 15.000 Schwestern, Pfleger und Ärzte von insgesamt 2,7 Millionen waren dort zeitweise suspendiert. Mittlerweile ist die Zahl deutlich auf unter 1500 gesunken. Finanzielle Einbußen und der Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben erzeugen Druck, sich doch die schützende Spritze geben zu lassen.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach plädiert für allgemeine Impfpflicht
Die Ampel will aber nicht bei der Impfpflicht für Gesundheitsberufe haltmachen: „Wir brauchen eine allgemeine Impfpflicht“, sagte Lauterbach in einem seiner ersten Interviews als Minister. Der Grünen-Gesundheitsexperte Dahmen bewertet die Lage ähnlich. „In einem zweiten Schritt werden wir, wenn andere Instrumente die Impfquote nicht weiter steigern, auch um eine allgemeine Impfpflicht nicht drum herumkommen.“
Thomas Petersen vom Institut für Demoskopie in Allensbach erklärt im Interview mit unserer Redaktion das Spannungsfeld. „Medizinisch wäre eine Impfpflicht sicherlich geboten, aber die Politik weiß, dass es eine Minderheit geben wird, die sich überrollt fühlen wird“, sagte der Meinungsforscher, fügte aber hinzu: „Wenn die Politik dann allerdings zum Schluss kommt, dass es aus übergeordneten Gründen doch eine Impfpflicht braucht, muss sie das durchsetzen.“