Die sommerlichen Temperaturen lassen den Corona-Stress der letzten Monate bei vielen Menschen gerade ein wenig in Vergessenheit geraten. Andere denken bereits mit Sorge an die nächste kalte Jahreszeit, so auch die Expertinnen und Experten des von der Regierung eingesetzten Corona-Rates. Ihr Bericht zur „Pandemievorbereitung auf Herbst/Winter 2022/23“, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, erinnert an den alten Goethe: „Da steh' ich nun, ich armer Tor. Und bin so klug als wie zuvor.“
Drei Szenarien haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausgearbeitet, die Bandbreite ist groß: Es könnte weniger schlimm als im letzten Herbst und Winter werden, genauso schlimm – oder schlimmer. Fest steht nach Einschätzung des Rates nur, dass „das Gesundheitssystem und die kritische Infrastruktur“ erneut erheblich belastet sein werden. Daran wäre dann aber nicht nur Corona schuld.
Scholz hofft auf Entscheidungshilfe
Kanzler Olaf Scholz hatte bei der Einsetzung des Gremiums im Dezember 2021 die Erwartung formuliert, dass dessen Erkenntnisse
sein könnten und „für mehr Akzeptanz und Transparenz“ in der Bevölkerung sorgen würden. Wenn sich der SPD-Politiker das 23-seitige Papier durchliest, könnte er allerdings enttäuscht werden. Denn „niemand weiß, was im Herbst und Winter passieren wird“, sagte Heyo Kroemer von der Berliner Charité. Die Stellungnahme sei deshalb der „sachliche Versuch, das mögliche pandemische Geschehen im Herbst und Winter zu beleuchten“.Eine wirkliche Voraussage wagen die Ratsmitglieder nicht. Sie entwickeln stattdessen Szenarien, die davon abhängen, ob es neue beziehungsweise schwerere Virusvarianten geben wird. Eine Frage, die sich viele Laien so auch stellen dürften.
Maskenpflicht kommt wieder
Im „günstigsten Szenario“ verbreitet sich im Land ein Virus mit „im Vergleich zur Omikron-Variante weniger krankmachenden Eigenschaften“. Großartige Corona-Maßnahmen wären demnach „nicht mehr oder nur für den Schutz von Risikopersonen notwendig“. Dem Rat zufolge kann es „zu höheren Infektionszahlen durch andere Atemwegserreger wie Influenza kommen“ – Erkältungen und Grippe treiben also wie jeden Herbst und Winter die Krankenzahlen nach oben. Entsprechend hoch, auch das ist keine neue Erkenntnis, wird die Belastung von Arztpraxen und Krankenhäusern sein.
Im „Basisszenario“ bleibt die „durch SARS-CoV-2 hervorgerufene Krankheitslast ähnlich wie bei den jüngst zunehmenden Omikron-Varianten“. Wenig wäre das nicht. Das Robert-Koch-Institut meldete zuletzt 84.655 Neuinfektionen, die Sieben-Tage-Inzidenz liegt demnach bei 238,1. „Die Pandemie ist definitiv nicht vorbei. Es macht also Sinn, sich auf den Herbst und Winter vorzubereiten“, sagte Kroemer. Es könnten im „Basisszenario“ dann auch wieder Corona-Regeln wie die Maskenpflicht, Abstandsgebote und Kontaktbeschränkungen eingeführt werden.
Wer Maske trägt, wird gehänselt
Das Horrorszenario eines völlig neuen Virus‘, zu dem es keine Erkenntnisse und Impfstoffe gibt, hat der Rat gar nicht erst beleuchtet. Das „ungünstigste Szenario“ geht vielmehr davon aus, dass sich eine neue Virusvariante verbreitet, „die zu einer erhöhten Krankheitsschwere führen würde“, wie der Charité-Experte Leif Erik Sander erklärte. Dann würden die Intensivstationen wieder volllaufen, auch vollständig Geimpfte könnten „ohne Zusatzimpfung bei Vorliegen von Risikofaktoren einen schweren Verlauf entwickeln“. Erst zum Frühjahr 2023 könnten allgemeine Schutzmaßnahmen wie Maskenpflicht und Abstandsgebot zurückgefahren werden.
Immerhin: Die Ausgangslage für die nächste kalte Jahreszeit ist zunächst einmal nicht so schlecht. Vor allem deshalb, weil nach Einschätzung des Rates „ein hoher Immunisierungsgrad in der Bevölkerung“ besteht. Neben der Bereitschaft, sich impfen zu lassen, gibt es bei vielen Menschen den Willen, auch ohne Pflicht eine Maske zu tragen. Was wiederum Probleme mit denjenigen nach sich zieht, die das nicht tun. Abschließend empfiehlt der Corona-Rat vor allem bei Kindern und vulnerablen Gruppen „der Stigmatisierung beim freiwilligen Tragen der Masken“ entgegenzuwirken.