Eine gute Woche ist es noch, bis es in München zu einer Art großem Gesundheitsexperiment kommt: Millionen Menschen werden sich zwischen Fahrgeschäften, Buden und in den Bierzelten drängen. Zweimal war das Oktoberfest ausgefallen, nun ist die Sehnsucht nach einer kleinen Flucht aus dieser krisenbehafteten Zeit gigantisch. Dass die bierselige Feier die Corona-Zahlen in die Höhe schießen lässt, ist weniger Spekulation als allgemeine medizinische Überzeugung. Schon in Straubing ließ das Gäubodenfest die Inzidenz auf deutschlandweite Rekordhöhen explodieren. Doch der Umgang mit den Infektionen ist routinierter geworden. Auch, weil vielen Menschen das Regelwerk inzwischen kaum mehr nachvollziehbar erscheint. Maskenpflicht im Zug, Maskenbefreiung im Flugzeug?
Konflikt zwischen Lauterbach und Buschmann
Vor dieser gesellschaftlichen Gemengelage beschloss der Bundestag am Donnerstag die neuen Corona-Regeln für den Herbst und Winter. Das Gesetzespaket der Ampel-Koalition erhielt 386 Stimmen. 313 Abgeordnete stimmten dagegen, 3 enthielten sich. Nun muss der Bundesrat noch zustimmen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) – einer der wenigen an diesem Tag, der im Parlament eine Maske trug – verteidigte die Planungen. "Wir sind diesmal sehr gut vorbereitet", sagte er mit Blick auf den Herbst und mahnte zugleich: "Wir dürfen es nicht zur Normalität werden lassen, dass 100 Menschen pro Tag sterben."
Sein Regierungskollege Marco Buschmann von der FDP machte den Spagat deutlich, der in dieser Frage zwischen den Koalitionspartnern nötig ist: "Wenn es nicht nötig ist, in Grundrechte einzugreifen, ist es nötig, nicht in Grundrechte einzugreifen." Trotzdem müsse man sich auf eine sich zuspitzende Infektionslage einstellen. Der Entwurf der Ampel-Koalition sei absolut verhältnismäßig. "Der enthält keine Lockdowns, keine Betriebsschließungen, keine Schulschließungen, keine Demonstrationsverbote", sagte Buschmann.
Was diesen Herbst von den Vorjahren unterscheidet, ist aus Lauterbachs Sicht ein Vierklang: So hätte die Zahl der schweren Verläufe durch Impfstoffe ausgebremst werden können. Bessere Medikamente könnten die Sterblichkeit aufgrund von Covid um mindestens 80 Prozent reduzieren. Auch die Datenlage habe sich verbessert – Kliniken melden etwa tagesaktuell die Zahl der verfügbaren Betten. Und dann werde auch die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes für zusätzliche Sicherheit sorgen.
Das sind die Corona-Regeln für den Herbst
Das Infektionsschutzgesetz sieht folgende Regeln auf Bundesebene vor, die vom 1. Oktober 2022 bis zum 7. April 2023 gelten sollen:
- Gesundheitsminister Lauterbach will eine neue Impf-Kampagne starten. Die Impfungen sollen unkompliziert für alle in Impfzentren, in Apotheken und in Arztpraxen erhältlich sein. In Bayern sind bislang 75,3 Prozent der Menschen mindestens einmal geimpft. Dreimal geimpft sind 58,8 Prozent.
- Eine FFP2-Maskenpflicht gilt in Krankenhäusern, in Arztpraxen und in Pflegeheimen. Bei Kindern zwischen 6 und 13 Jahren reicht eine OP-Maske, die angenehmer zu tragen ist.
- Um den Schutz besonders gefährdeter Pflegebedürftiger zu verstärken, müssen Heime zudem Beauftragte benennen, die sich um Impfungen, Hygiene und Therapien für Erkrankte etwa mit dem Medikament Paxlovid kümmern.
- In Fernzügen bleibt die FFP2-Maskenpflicht. Lauterbach verteidigte den Schritt. „Obwohl die Luftdurchwälzung im Flugzeug nicht perfekt ist, ist sie doch deutlich intensiver als in einem Bus oder einem Zug.“ Wenn die Corona-Lage es notwendig mache, werde die Bundesregierung aber per Verordnung auch in Flugzeugen eine FFP2-Maskenpflicht wieder einführen.
- In Heimen und Kliniken gilt auch künftig, dass Besucher einen negativen Test vorlegen müssen.
- Eltern bekommen zusätzliche Kinderkrankentage, also Tage, an denen sie ihre kranken Kinder versorgen können und von der Arbeit befreit sind. Pro Elternteil sind es 30 Kinderkrankentage.
Auch die Länder bekommen ein Instrumentarium an die Hand. Um es einzusetzen, braucht es einen Beschluss des Landtags. Die Regierung allein kann die Maßnahmen nicht beschließen. Möglich ist Folgendes:
- Wenn sich die Lage zuspitzt, kann eine Maskenpflicht in Innenräumen sowie im ÖPNV angeordnet werden. Anders als früher gibt es hierfür keine fixen Grenzwerte wie etwa den Inzidenzwert, die Entscheidung liegt im Ermessen der Länder.
- An Schulen und in Kindergärten können wieder Corona-Tests zur Pflicht werden. Eine Maskenpflicht in der Schule soll es höchstens ab der fünften Klasse geben – und auch dort nur, wenn eine Aufrechterhaltung des Präsenz-Unterrichts sonst gefährdet wäre.
- Sollte sich die Situation sogar noch kritischer entwickeln, wäre als nächste Stufe eine Maskenpflicht bei Veranstaltungen im Freien möglich. Auch die Abstandsregeln sollen dann wieder gelten.
- Betriebe könnten im schlimmsten Fall Hygiene-Konzepte vorlegen müssen.
Union steht Corona-Maßnahmen für den Herbst gespalten gegenüber
Damit liegen viele Maßnahmen, die in den Alltag eingreifen, in der Verantwortung der Bundesländer. Wie sehr die Pandemie inzwischen zum Instrument der politischen Inszenierung und der Parteipolitik geworden ist, zeigten die Einwürfe aus der Union. Erwin Rüddel, für die CDU im Gesundheitsausschuss, fordert ein Zurück zur Normalität. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) fordert hingegen eine Rückkehr zur Maskenpflicht in Flugzeugen.