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Foto: Peter Steffen, dpa (Archiv)
Foto: Peter Steffen, dpa (Archiv)

Nie genutzte Corona-Behelfsklinik in Hannover.

Corona-Pandemie
10.07.2021

Das Rätsel der verschwundenen Intensivbetten

Von Michael Pohl

Nach Ausbruch der Pandemie investierte der Bund Milliarden, um die Kliniken auf Tausende Corona-Kranke vorzubereiten. Nun fragen Kritiker: Wo ist das Geld hin?

Als im Frühjahr vergangenen Jahres die Corona-Pandemie aus China über Europa hereinbrach, gab es nicht nur aus dem italienischen Bergamo verstörende Bilder. In Hannover wurde beispielsweise in einer leeren Messehalle eine große Behelfsklinik mit 485 Betten samt medizinischen Geräten eingerichtet. In Betrieb ging sie nie, auch als eine Intensivstation zählte sie nicht. Doch in ganz Deutschland stellten Kliniken auf Notbetrieb um und sagten die allermeisten planbaren Operationen ab. Für tausende neuer Intensivbetten wurden Gerätschaften und Beatmungsanlagen eingekauft. Doch im Lockdown der ersten Welle kam die Notreserve kaum zum Einsatz, denn Deutschland blieb von befürchteten Horrorzuständen wie in Norditalien und anderen Staaten verschont.

Allein nach Bayern flossen 1,4 Milliarden Euro Ausgleich

Die Kliniken bekamen aber viel Geld als Ausgleich für verschobene oder ausgesetzte Operationen, um freie Kapazitäten zu schaffen – 2020 über zehn Milliarden Euro. Allein nach Bayern flossen dabei 1,4 Milliarden Euro, wie aus einer Aufstellung des Bundesgesundheitsministeriums für jede einzelne Klinik zu entnehmen ist: Spitzenreiter waren dabei das Klinikum Nürnberg mit 43 Millionen und das Klinikum Bamberg mit 29,7 Millionen Euro – fast doppelt so viel wie das Uniklinikum Augsburg mit 15,6 Millionen.

Der Bundesrechnungshof kritisierte angesichts der Milliardensummen jüngst „eine massive Überkompensation aus Steuermitteln“. Der Verband der gesetzlichen Krankenkassen sprach sogar von einem „goldenen Jahr der Krankenhausfinanzierung“. Die Kliniken hätten trotz erzwungenem Lockdown auf vielen Stationen unter dem Strich zehn Milliarden Euro mehr als im Nicht-Pandemiejahr 2019 eingenommen.

Der Bund zahlte nicht nur Ausgleichszahlungen, sondern auch Investitionszuschüsse für die Schaffung zusätzlicher Intensivbetten: Insgesamt flossen im vergangenen Jahr 686 Millionen Euro an die Länder, bei zugrunde gelegten 50000 Euro Kosten pro Einheit wären dies 13700 neue Intensivbetten.

Kliniken und Freistaat streiten vor Gericht um Zuschüsse

Doch wo sind diese Betten, fragt beispielsweise der bayerische FDP-Chef Daniel Föst. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Münchner FDP-Bundestagsabgeordneten erhielt Bayern aus dem Bundesprogramm 100 Millionen Euro zur Weiterleitung an die Krankenhäuser. „Dies entspricht einer rechnerischen Förderung von 2004 intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten“, heißt es in der Antwort.

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Allerdings habe das bayerische Gesundheitsministerium in vielen Fällen Förderanträge von Krankenhäusern abgelehnt, worauf Klinken gegen den Freistaat geklagt hätten. Deshalb gebe es „noch zahlreiche Gerichtsverfahren“. Laut der Übersicht des Bundesgesundheitsministeriums wurden zumindest 15,25 Millionen Euro ausbezahlt, allerdings sei diese Zahl nicht abschließend und vollständig.

FDP-Chef-Föst fordert lückenlose Aufklärung

„Die Förderung von gut 2000 zusätzlichen Intensivbetten in Bayern, die aber in den Kapazitätsstatistiken nirgends auftauchen, wirft schwerwiegende Fragen auf“, kritisiert FDP-Politiker Föst. „Die Ungereimtheiten bei den Intensivbettenkapazitäten auch in Bayern müssen lückenlos aufgeklärt werden“, fordert er. Schließlich seien beim Lockdown gegen eine Überlastung der Krankenhäuser Freiheits- und Grundrechte der Bürger eingeschränkt worden „Falls sich der Freistaat bei der Förderung von Intensivbetten querstellt, wiegt das doppelt schwer“, kritisiert Föst.

Immer wieder wird diskutiert, warum neue Intensivbetten nicht einfach erkennbar im Register der Robert–Koch-Institute der Intensivmediziner-Vereinigung DIVI auftauchen. Im Gegenteil, sowohl im August als auch im November schrumpfte die Reserve sogar um tausende zuvor gemeldeter Betten. Das Rätsel der verschwundenen Intensivbetten ist jedoch in beiden Fällen einfach zu lösen.

Nicht alle Intensiv-Reservebetten landen im aktuellen Register

Im August setzte der Bund zum Schutz des Krankenpflegepersonals die zu Beginn der Pandemie ausgesetzten Pflegepersonaluntergrenzen wieder in Kraft, um zum Beispiel Zwölfstundenschichten zu verhindern. Da im DIVI-Register nicht die bloßen Betten, sondern nur mit Personal betriebsfähige Plätze erfasst werden, sank die Zahl der freien Betten Anfang August schlagartig um 2500. Im November, als in der zweiten Welle so viele Covid-Patienten wie noch nie in den Kliniken landeten, ging auch die Notfallreserve um über tausend Intensivbetten zurück, denn die Klinken durften nur noch tatsächlich schnell verfügbare Plätze melden.

Inzwischen hat der Bund die Länder aufgefordert, bis 15. Juli zu prüfen, ob mit den Ausgleichszahlungen und Bettenzuschüssen alles korrekt zugegangen ist. Nordrhein-Westfalen hat die Prüfung 70 auffälliger Klinken bereits abgeschlossen. Dabei sei bislang „kein systematisches Fehlverhalten von Krankenhäusern festgestellt“ worden.

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