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Foto: Andy Wong, dpa
Foto: Andy Wong, dpa

Die Null-Covid-Strategie hat die chinesische Führung beendet. Jetzt steigen die Infektionszahlen offenbar dramatisch an - ebenso wie die Zahl der Toten. Doch noch gibt es keine Zahlen dazu.

Corona-Pandemie
16.12.2022

Corona-Chaos in China: Eine Million Tote befürchtet

Von Fabian Kretschmer

Während die Krematorien in Peking auf Hochbetrieb laufen, weist die offizielle Statistik keinen einzigen Corona-Toten aus.

In diesen Tagen fühlt sich Peking wie eine regelrechte Zeitmaschine an: Wie zu Beginn der Corona-Pandemie sind die Straßen der chinesischen Hauptstadt erneut gespenstisch leer. Und genau wie damals haben auch die offiziellen Informationen der Regierung ihren Bezug zur Realität vollkommen verloren: So meldete die nationale Gesundheitskommission am Freitag keinen einzigen Corona-Toten. Mehr noch: Seit der Öffnung des Landes Anfang Dezember ist laut den Statistiken niemand an Covid verstorben.

Dass die staatlichen Statistiken wenig glaubwürdig sind, ist noch überaus diplomatisch formuliert. Doch wie hoch die Dunkelziffer an Corona-Toten tatsächlich ist, lässt sich nach jetzigem Stand kaum seriös einschätzen. 

Ein erster prominenter Fall, der überaus gut dokumentiert ist, wurde diese Woche selbst von den Parteizeitungen aufgegriffen: Der ehemalige Fußballspieler Wang Ruoji, der bereits seit längerem an Diabetes litt, ist nach seiner Corona-Infektion im Alter von nur 37 Jahren gestorben. Auch er taucht nicht in den Statistiken auf.

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Krematorien laufen bis zehn Uhr in der Nacht

Erstmals haben nun Reporter der Financial Times ein Schlaglicht auf die wahren Ausmaße der Pekinger Corona-Welle geworfen. Mehrere Reporter der britischen Tageszeitung haben sich in den letzten Tagen sowohl in den Covid-Spitälern als auch den Krematorien der Stadt umgeschaut. Was sie sahen, deutet ohne Zweifel auf eine signifikante Übersterblichkeit hin: Die Bestattungsinstitute würden in diesen Tagen ein Vielfaches an Leichen beerdigen, als sonst für die Saison üblich, viele seien „Corona-positiv“ vermerkt. Die Mitarbeiter eines Krematoriums berichten zudem, sie würden derzeit bis nachts um zehn Uhr in Betrieb sein. 

Auch die holländische Tageszeitung Volkskrant berichtet von ähnlichen Zuständen. Sie zitiert einen Pekinger Bestatter mit den Worten: „Wegen Covid ist diese Woche die Nachfrage viel höher. Wir haben bereits jetzt keinen Platz mehr.“ Und laut Radio Free Asia ist die Warteliste für einen Termin bei den Pekinger Krematorien auf mehr als sechs Tage angestiegen. Weitere Enthüllungsberichte dürften folgen. Doch im Moment ist es das Virus selbst, welches Recherchen fast unmöglich macht: Wie die meisten Pekinger befindet sich das Gros der Korrespondenten mit Corona-Symptomen in Heimisolation. Stephen McDonell von der BBC schreibt auf Twitter: „Es ist schwer, jemanden in der Stadt zu finden, der sich in den letzten Wochen nicht mit Covid angesteckt hat.“ 

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Peking – von der "Null-Covid-Festung" zum Hotspot

In nur wenigen Tagen ist die Hauptstadt von einer nahezu uneinnehmbaren „Null Covid“-Festung mit rigiden Lockdowns zum weltweiten Corona-Hotspot avanciert. Die Öffnung erfolgte nicht nur plötzlich, sondern auch vollkommen unvorbereitet: Nach wie vor sind Selbsttests und fiebersenkende Medikamente auf dem freien Markt ausverkauft und in den Krankenhäusern haben sich große Teile des Personals infiziert. 

Der Grund für die radikale Kehrtwende ist vielfältig: Einerseits wurde der öffentliche Druck, der in einer landesweiten und weltweites Aufsehen erregenden Protestwelle Ende November gipfelte, immer größer. Gleichzeitig waren die wirtschaftlichen Indikatoren für dieses Jahr katastrophal. Der schlussendliche Auslöser könnte jedoch ein trivialer gewesen sein: Wie der Epidemiologe Mike Ryan von der Weltgesundheitsorganisation WHO am Mittwoch sagte, habe sich die Covid-Welle in China bereits lange vor der Öffnung zusammengebraut. Die Regierung habe also einsehen müssen, dass es trotz der rigiden Maßnahmen eine weitere Ausbreitung nicht mehr hätte stoppen können. 

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Foto: Andy Wong, dpa
Foto: Andy Wong, dpa

Arbeiter in Schutzkleidung warten in Peking auf die Durchführung eines Corona-Tests.

Wie viele Personen in den nächsten Wochen und Monaten an Covid sterben werden, versuchen Forscher in unterschiedlichen Modellrechnungen zu prognostizieren. Eine aktuelle Studie der Universität Hongkong geht von knapp einer Million Toten aus – es sei denn, die Seniorinnen und Senioren würden zeitnah eine vierte Booster-Impfung erhalten und hätten Zugang zu ausreichend Medikamenten. Doch beides scheint utopisch: Zwar werden bereits über 200.000 Impfspritzen täglich verabreicht, doch das gemessen an der Bevölkerungszahl von über einer Milliarde Menschen ist nach wie vor zu wenig.

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